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# taz.de -- Gesicht der Novemberrevolution: Hamburgs „roter Diktator“
> Als vor 100 Jahren in Hamburg die Revolution ausbrach, setzte sich
> Heinrich Laufenberg an deren Spitze. Sein Stern sank in kurzer Zeit.
Bild: Chefs des Arbeiter- und Soldatenrates: Heinrich Laufenberg, Wilhelm Heise
Hamburg taz | Es dauerte keine 48 Stunden, da war der Funke von Kiel nach
Hamburg übergesprungen: Die alte Ordnung, an deren politischer Spitze die
Hamburgische Bürgerschaft und der Senat standen, wurde in der Nacht zum 6.
November 1918 von aufständischen Matrosen hinweggefegt. Ein paar Wochen
übernahm ein Arbeiter- und Soldatenrat die Macht in Hamburg. Dessen
Vorsitzender, der zu den sogenannten Linksradikalen zählende Heinrich
Laufenberg, avancierte in Hamburg für kurze Zeit zum Anführer.
Laufenberg lehnte den Krieg ab und war entschlossen, die Lage der armen
Schichten substanziell zu verbessern. Wenngleich ihn vor allem die
bürgerliche Presse als „roten Diktator“ beschimpfte, waren Gewerkschaften
und Sozialdemokrat*innen von seinem keifenden Ton schnell derart genervt,
dass sie ihn nach wenigen Wochen stürzten.
Dabei symbolisierte Laufenberg geradezu perfekt den innerlinken Konflikt
zwischen pragmatischen Lösungen und radikalen politischen Ansichten, der
immer auch mit persönlichen Anfeindungen verbunden war. Als am 12. November
1918 der Senat, die jahrhundertealte Machtinstitution des Bürgertums,
kurzerhand für abgesetzt erklärt und die rote Fahne auf dem Rathaus gehisst
wurde, stellte sich auch die Führungsfrage – und damit die Frage der
politischen Ausrichtung.
Gewerkschaften und die Sozialdemokraten als größte Arbeitervertretungen
wollten bürgerliche Kräfte in den Rat miteinbeziehen, Linksradikale und
Kommunisten waren strikt dagegen. Am Ende wurde wohl auch deshalb ein
linksradikaler „Dickschädel“, wie die Sozialdemokraten Laufenberg nannten,
Vorsitzender des Rats, weil die SPD zu zögerlich war.
## Die „extremste Richtung“ der SPD
1872 wurde er im rheinischen Köln in ein katholisch-bürgerliches Milieu
geboren, nach dem Philosophie- und Volkswirtschaftsstudium trat Laufenberg
der Zentrumspartei bei und begann für die der Partei nahestehende
Zeitschrift Germania zu schreiben.
Erst nachdem er in Kontakt mit den Schriften von Marx und Engels gekommen
war, wandte er sich der Sozialdemokratie zu und fand sich schnell in ihrem
linken Flügel wieder. Laut eines Polizeidossiers war er der „extremsten
Richtung“ der SPD zuzuordnen. 1908 kam er nach Hamburg, wo er im Auftrag
der SPD die lokale Geschichte der Arbeiterbewegung erforschen sollte. Seit
1911 schrieb er an der zweibändigen „Geschichte der Arbeiterbewegung in
Hamburg, Altona und Umgegend“.
Doch statt sich vornehmlich um die Vergangenheit seiner Partei zu kümmern,
mischte er sich lautstark in die Gegenwart ein und bekämpfte die
SPD-Führung aufs Schärfste: Als der Erste Weltkrieg ausbrach, die Führung
der SPD die Zustimmung zu den Kriegskrediten gab und die Burgfriedenpolitik
beharrlich verteidigte, gehörte Laufenberg zu den entschiedensten Gegnern
dieser Politik.
Das war eine Position, die später entscheidend war für die Wahl zum
Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrats. Denn mit dieser Position war
er in der Hamburger Arbeiterschaft Anfang November 1918, noch kurz vor Ende
des Krieges, die prädestinierte Führungspersönlichkeit.
Laufenberg überragte die meisten Menschen. Sein markanter Schnäuzer und der
lange Soldatenmantel, in dem er sich präsentierte, als sei er auf direktem
Wege von den Schützengräben gekommen, taten ihr Übriges, um als legitimer
Volkstribun durchzugehen.
## Lebensmittelknappheit in Hamburg
Doch was machte er tatsächlich? Zunächst ließ er Flugblätter verteilen, in
denen zu Ruhe und Ordnung aufgerufen wurde. Außerdem versicherte er, dass
das Privateigentum der Leute nicht angetastet werden sollte. Bald beschloss
der Rat die Einführung des Acht-Stunden-Tages, verbesserte den
Kündigungsschutz und schuf ein Arbeitsamt.
Drängend aber war vor allem die große Lebensmittelknappheit in der
Millionenstadt. Die Lösung dieses Problems hatte, da waren sich alle einig,
absolute Priorität. Als Laufenberg und die übrigen Mitglieder des Arbeiter-
und Soldatenrats merkten, dass für die Umsetzung ihrer Vorhaben eine hörige
Verwaltung vonnöten war, wurde nach am 18. November der Senat wieder
eingesetzt, nachdem die Senatoren bereits einen Tag nach ihrer Entmachtung
ihre Amtsgeschäfte wieder aufgenommen hatten.
Während die neue Machtinstitution also eher pragmatisch Politik betrieb und
die Verbindungen zum Bürgertum und den abgesetzten Eliten nicht völlig
kappen wollte, präsentierte sie sich nach außen mit revolutionären Parolen:
„Die Diktatur des Proletariats ist nicht mehr fern“, rief Laufenberg den
Massen vor dem Rathaus entgegen.
Inhaltlich gar nicht weit auseinander, waren innerhalb des Rats die Gräben
aufgrund persönlicher Abneigungen noch tiefer als zum Bürgertum. Als ein
Putschversuch, angeblich von Gewerkschaften und Sozialdemokraten
angeleitet, scheiterte, war Laufenberg auf dem Zenit seiner Macht. Doch die
drängenden Alltagsprobleme der Bevölkerung konnte auch er nicht lösen,
versuchte es aber immer wieder mit eigenmächtigen Beschlüssen – der Titel
des „roten Diktators“ war geboren.
Die ständigen Beschimpfungen von Gewerkschaften und Sozialdemokraten,
verbunden mit dem Versuch, eine Diktatur des Proletariats zumindest zu
proklamieren, waren dann zu viel des Guten. Die große Mehrheit der
Hamburger Arbeiterbewegung wollte einen schrittweisen Fortschritt, keine
unordentliche und permanente Revolution. Wo andernorts im Norden, in
Braunschweig oder Bremen etwa, schon die Räterepublik ausgerufen worden
war, war die Hamburgische Sozialdemokratie auch damals schon voll auf
Ordnung ausgerichtet.
## SPD übernahm die Macht
Nach zwölf Wochen übernahmen die Sozialdemokraten die Macht im Arbeiter-
und Soldatenrat, gleichzeitig setzte die SPD auf Reichsebene die
parlamentarische Demokratie durch. Von Laufenberg waren am Ende alle nur
noch genervt.
In seiner alten SPD, seiner ersten großen politischen Liebe, hat er bis zu
seinem Lebensende einen Intimfeind gefunden. „Mit ehernem Tritt“ will er
sie nach seinem Sturz „zermalmt“ sehen. Und auch von seinen einstigen
politischen Wegbegleitern sah er sich verstoßen und verleumdet. Wohl nicht
ganz zu Unrecht behauptet der Historiker Joachim Paschen, die einzige
Partei in der Laufenberg glücklich geworden wäre, wäre die
Laufenberg-Partei gewesen.
Vollkommen ins Abseits hatte er sich dann aber mit seiner Befürwortung des
Nationalkommunismus gestellt. Nationalismus und Kommunismus gemeinsam? Das
war auch für die letzten treuen Gefolgsleute zu viel. 1920 war er noch
Gründungsmitglied der Kommunistischen Arbeiterpartei (KAPD), einer
Abspaltung vormaliger KPD-Mitglieder. Doch auch dort wollte man nichts von
diesen Ideen hören und schloss ihn aus.
In den 1920ern versuchte er, eine Druckerei aufzubauen. 1932 starb
Laufenberg völlig verarmt und isoliert.
9 Nov 2018
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Novemberrevolution 1918
SPD Hamburg
Der 9. November
Hamburg
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Frauenwahlrecht
Novemberrevolution 1918
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