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# taz.de -- Neues Trans*-Gesetz in Uruguay: Eintrag? Frei
> Uruguayer*innen dürfen jetzt unbürokratisch ihren Geschlechtseintrag
> ändern. Damit hat das Land eines der liberalsten Trans*-Gesetze der Welt.
Bild: Für Aktivist*innen war die Gesetzesänderung in Uruguay ein Grund für F…
Das beschauliche Uruguay verbinden viele mit [1][legalem Gras], Matetee und
vielleicht noch mit dem linken Expräsidenten „El Pepe“. Aber Uruguay ist
nicht nur beim Thema Kiffen den meisten anderen Ländern weit voraus. Gerade
hat das südamerikanische Land das „Ley Integral para Personas Trans“
verabschiedet – ein Gesetz, nach dem die individuelle Geschlechtsidentität
aller Bürger*innen vollständig anerkannt werden soll. „Es ist das
wahrscheinlich weitreichendste Transsexuellengesetz der Welt“, sagt Rodrigo
Falcón vom Kollektiv Trans Boys Uruguay in einem Gespräch mit der taz.
Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, die Veränderung des Namens und
Geschlechtseintrags im Pass zu einem einfachen behördlichen Akt zu machen.
Wo vorher ein zeitaufwendiges juristisches Verfahren nötig war, soll
künftig ein Gang zum Amt reichen. Außerdem wird eine Ein-Prozent-Quote für
Trans* im öffentlichen Dienst angestrebt. Und Menschen, die während der
Militärdiktatur in Uruguay aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität Opfer
staatlicher Gewalt wurden, erhalten Reparationszahlungen von rund 350
Dollar pro Monat.
Von einer „furia amarilla“, einem gelben Toben, war die Rede, als das
Gesetz am 19. Oktober nach 10-stündiger Debatte im uruguayischen
Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. Gelb ist die Farbe der Pañuelos, der
Halstücher der Kampagne #LeyTransYa, auf Deutsch „Transgesetz jetzt“.
Erst im August hatte der Senat im benachbarten Argentinien [2][gegen ein
Gesetz für legale, sichere und kostenlose Schwangerschaftsabbrüche
gestimmt] – und damit gegen ein Meer aus grünen Halstüchern, deren
Träger*innen die Reform befürworteten. Nachdem also Grün in Argentinien
scheiterte, hatte Gelb in Uruguay Erfolg. Nicht nur das Publikum im
Abgeordnetenhaus in Montevideo, auch die meisten Politiker*innen der
Regierungspartei Frente Amplio trugen das gelbe Symboltuch bei ihren Reden.
62 von 88 Abgeordneten stimmten schließlich dafür.
## Ein Appell an die Zivilgesellschaft
Delfina Martínez, Aktivistin der Unión Trans, sagt in einem Gespräch mit
der taz, das Ziel der Kampane #LeyTransYa habe in erster Linie darin
bestanden, die Situation von Trans* öffentlich sichtbar zu machen. „Es ging
darum, an die Solidarität der Zivilgesellschaft zu appellieren, nicht, uns
mit unseren Feinden anzulegen. Dadurch konnte die Kampagne eine solch große
Reichweite und so viel Zustimmung erzielen.“
Dabei sei besonders wichtig gewesen, dass die Stimmen von Trans* in der
„ersten Person“ gehört würden, dass sie selbst die Kampagne anleiteten und
nicht nur „über sie“ gesprochen wurde. Jetzt habe sich politisch
durchgesetzt, was auf der Straße längst beschlossene Sache war. Am 29.
September hatten mehr als 120.000 Menschen an einem Diversity March in
Montevideo teilgenommen, eine erstaunliche Größe bei einem Land mit einer
Bevölkerung von rund dreieinhalb Millionen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Uruguay kein Problem mit Diskriminierung
von Trans* hätte. Wegen der Ausgrenzung durch Lehrpersonal und
Mitschüler*innen beenden nur 40 Prozent von Trans* die Mittelstufe, im
Schnitt verlassen sie bereits mit 14 Jahren das Bildungssystem, nur 23
Prozent erreichen eine formale Anstellung.
8 von 10 Trans*frauen üben irgendwann in ihrem Leben Sexarbeit aus, Trans*
über 50 verdienen im Schnitt nur etwa 100 Dollar im Monat – Probleme, auf
die die Kampagne mit einem viralen Onlinevideo hingewiesen hatte. Nun soll
sich das Bildungssystem verändern und das Lehrpersonal in Sachen
Trans*-Diskriminierung sensibilisiert werden. Außerdem sollen 2 Prozent
aller staatlichen Stipendien zukünftig an Trans* vergeben werden.
## Systematische Verfolgung von Trans*
In einem Bericht des Ministeriums für soziale Entwicklung, der 2016
veröffentlicht wurde, heißt es, dass die Lebenserwartung von Trans* in
Uruguay zwischen 35 und 40 Jahren liegt, nur 2 Prozent dieser
Bevölkerungsgruppe sind älter als 65 Jahre.
Der Aktivist Rodrigo Falcón führt das unter anderem auf die systematische
Verfolgung von Trans* während der Diktatur in Uruguay zwischen 1973 und
1985 zurück: „Wenn Trans*frauen auf die Straße gingen, um einzukaufen oder
andere alltägliche Erledigungen zu machen, konnten sie jeden Moment
festgenommen und abgeführt werden. Folter, Schläge und Vergewaltigungen
folgten. Es gibt nur sehr wenige Überlebende aus dieser Zeit.“
Um die Reparationszahlungen, die das Gesetz jetzt vorsieht, zu erhalten,
muss man allerdings beweisen, dass man von Verfolgung betroffen war. Laut
Rodrigo Falcón ist das problematisch für Trans*männer. „Bei den meisten
dieser Fälle handelte es sich um Trans*frauen. Trans*männer waren einfach
nicht so sichtbar und sind es auch heute nicht.“
Falcón gründete vor vier Jahren das Kollektiv „Trans Boys Uruguay“, die
erste Anlaufstelle für Trans*männer überhaupt. Mittlerweile arbeitet Falcón
auch mit Familien von Trans*kindern zusammen, informiert über die
juristische Situation, medizinische Möglichkeiten und darüber, wie Eltern
ihre Kindern bestmöglich empowern können „Die Zusammenarbeit mit den
Familien hat uns nochmal eine andere Stimme gegeben.“ Leider zähle es in
der Gesellschaft mehr, wenn Cis-Eltern ihre Trans*kinder verteidigten, als
wenn Trans* das selbst täten.
## Leichterer Zugang zu Hormonbehandlungen
Das neue Gesetz soll auch die Pathologisierung über das Gesundheitssystem
beenden. Personen über 18 wird das Recht zugestanden, körperliche
Veränderungen im Sinne ihrer geschlechtlichen Identität vorzunehmen – durch
Hormone oder chirurgische Eingriffe, ohne dass dafür juristische oder
behördliche Bescheinigungen vorgelegt werden müssen. Zum Vergleich: Der
deutsche Gesetzesentwurf zur „Dritten Option“, der gerade im Bundestag
debattiert wird, macht den Geschlechtseintrag weiterhin von medizinischen
Gutachten abhängig, was Trans*verbände scharf kritisieren.
Auch Minderjährigen soll der Zugang zu Hormonbehandlungen erleichtert
werden – für Aktivistin Delfina Martínez besonders wichtig. „Minderjähri…
Trans*Personen müssen sonst auf klandestine Methoden zur Veränderung ihres
Körpers zurückzugreifen. Zum Beispiel werden Indrustrieöle injiziert oder
sie schlucken freiverkäufliche Hormontabletten ohne eine medizinische und
psychologische Betreuung.“
„Progressive Autonomie“ heißt das Prinzip, nach dem auch Menschen unter 18
selbst über ihre Geschlechtsidentität und ihren Körper bestimmen dürfen.
Bei einer chirurgischen Veränderung der Genitalien ist aber weiter das
Einverständnis der Eltern nötig. „Wenn wir bedenken, dass viele Trans* vor
ihrem 18. Lebensjahr von zu Hause rausgeworfen werden und keinen Kontakt
mehr zu ihren Eltern haben, ist diese Entscheidung zu kritisieren“, sagt
Martínez.
Auch für Rodrigo Falcón ist mit dem Gesetz noch nicht alles getan: „Meine
alltägliche Arbeit mit Trans*kindern und deren Familien zeigt mir, dass ein
neues Gesetz noch lange nicht bedeutet, dass dieses auch in der Realität
umgesetzt wird.“ Falcón verweist auf ein früheres Gesetz zur Änderung des
Namens- und Geschlechtseintrags, das in Uruguay bereits 2009 verabschiedet
worden ist. „2015 bekamen wir immer noch Anrufe von Trans*männern aus
Uruguay, die uns davon erzählten, dass die Mitarbeiter*innen in den
zuständigen Behörden behaupteten, ein solches Gesetz gebe es nicht.“
## Noch viel Arbeit
Auch jetzt werde er noch viel Arbeit damit haben, zu überprüfen, ob das
Gesetz wirklich Anwendung finde, ob die Reparationen wirklich gezahlt
würden, ob die Namensänderung wirklich so leicht möglich sei, wie es heißt.
Delfina Martínez zieht dennoch ein hoffnungsvolles Fazit, nennt das Gesetz
historisch: „In Lateinamerika finden gerade extrem gegenläufige Prozesse
statt. Wenn wir nach Brasilien blicken, sitzt dort neuerdings der
ultrarechte Jair Bolsonaro im Präsidentenpalast. Gleichzeitig wurde mit der
Afrobrasilianerin Erica Malunguino dieses Jahr zum ersten Mal eine
Trans*frau in den Kongress von São Paulo gewählt.“
In Uruguay gab es eine Petition der evangelikalen Gruppierung Misión Vida,
die 30.000 Unterschriften gegen den Gesetzesvorschlag sammelte. Eine
Gegenkampagne von #LeyTransYa bekam jedoch doppelt so viele Unterschriften
wie die fundamentalen Christ*innen. Martínez ist sich sicher, dass auch die
Reform in Sachen Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien irgendwann noch
durchkommt. Dass der Wandel, die „Furia“ in Gelb und Grün, nicht mehr zu
stoppen ist.
2 Nov 2018
## LINKS
[1] /Legales-Marihuana-in-Uruguay/!5431536
[2] /Abstimmung-in-Argentiniens-Senat/!5526951
## AUTOREN
Julia Wasenmüller
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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