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# taz.de -- Bundestag über Personenstandsgesetz: Divers oder was?
> Das Parlament berät die Neufassung des Personenstandsgesetzes. Der
> Bundestag zeigt sich modern, Minister Seehofer fehlt.
Bild: Luana aus Argentinien hatte schon 2013 das Recht, ihr Geschlecht selbst z…
Berlin taz | Sven Lehmann von den Grünen tauchte am Donnerstagabend ganz
besonders gekleidet am Redner*innenpult des Bundestags auf: In einem Shirt
mit dem [1][Symbol für alle gender]. Das Symbol vereint „männlich“,
„weiblich“ und das, was zukünftig „divers“ heißen soll. Doch bereits …
wenigen Sätzen musste Lehmann auf Anweisung des Präsidiums sein Sakko
zuknöpfen. Denn politische Symbole sind im Bundestag verboten.
Die drei Knöpfe seines Sakkos verdeckten das Logo jedoch nur bedingt. Und
auch seine Message blieb eindeutig: „Krank sind nicht intergeschlechtliche
Menschen, sondern krank ist ein System, das Menschen in Schubladen pressen
will, wo sie nicht hingehören. Es sollte allen Menschen selbst überlassen
sein, über ihr Geschlecht zu bestimmen.“
Es ging an diesem 11. Oktober im Bundestag um einen Gesetzesentwurf zum
sogenannten Personenstandsgesetz. Nebst den Optionen „weiblich“ und
„männlich“ oder „ohne Angabe“ soll es dort künftig den zusätzlichen …
„divers“ geben.
So weit, so unzureichend, denn viel mehr steckt im Gesetzesentwurf, den
Horst Seehofers Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat im August
2018 vorlegte, bislang nicht drin. Seehofer selbst hatte es am
Donnerstagabend gar nicht erst für notwendig befunden, aufzutauchen.
## Forderungen von Betroffenen
Das Gesetz soll bis zum Jahresende verabschiedet werden. Im jetzigen
Entwurf bleibt es jedoch weit hinter den Möglichkeiten zurück, die der
[2][Beschluss] des Bundesverfassungsgerichts vom Herbst 2017 zulassen
würde. Dort wurde vorgeschlagen, den staatlichen Geschlechtseintrag
generell abzuschaffen, wie es auch die meisten Inter* und Trans*Verbände
fordern.
Im Bundestag wurde indes trotz dieser steilen Vorlage nur eine
Minimallösung diskutiert. Ausgespart blieben zentrale Forderungen, wie etwa
Operationen und Hormonbehandlungen an intergeschlechtlichen Kindern im
frühkindlichen Alter zu verbieten.
Außerdem wird von Betroffenenverbänden, wie etwa der Kampagnengruppe
„Dritte Option“ kritisiert, dass der Geschlechtseintrag auch im neuen
Gesetzesentwurf von medizinischen Attesten abhängig gemacht wird. Inter*
Personen hätten häufig massive Diskriminierungen seitens der Medizin
erfahren. Sie jetzt erneut zu einem ärztlichen Gutachten zu verpflichten
und ihre Selbstzuschreibung zu hinterfragen, sei unzumutbar.
Denn bei Geschlechtsidentitäten geht es um mehr als Chromosomensätze und
Genitalgrößen. Es handelt sich nicht um Fragen, die ausschließlich durch
medizinische Untersuchungen geklärt werden können. Beim derzeitigen
Gesetzentwurf bleibt zweifelhaft, wer überhaupt Zugang zur Option „divers“
bekommt. Warum also nicht gleich die generelle Abschaffung der staatlichen
Geschlechtskontrolle?
## Offensichtlich Bullshit
Marc Henrichmann von der CDU/CSU warnte vor solchen „Schnellschüssen“.
Aufgrund des Zeitdrucks bis Ende Dezember solle nun erstmal die „kleine
Lösung“ verabschiedet werden. Sein Argument, den Geschlechtseintrag
beizubehalten, war die angebliche Gefahr des Missbrauchs der den
Konservativen so wichtigen „Frauenförderung“.
Henrichsmann Sorge besteht darin, dass Männer sich als Frauen ausgeben
könnten, um ihre Chancen auf bestimmte Förderungen zu erhöhen – was
offensichtlich Bullshit ist. Viel zu starr sind nach wie vor die
gesellschaftlichen Vorstellungen von Mann und Frau, als dass sich plötzlich
alle einen Spaß daraus machen würden, öffentlich in ein anderes Geschlecht
zu schlüpfen. Natürlich braucht es weiterhin strukturelle Frauen*förderung
und Frauen*schutzräume, aber diese sollten nicht auf der
personenstandsrechtlichen Erfassung durch den Staat, sondern auf
Selbstzuschreibung beruhen.
Sieht man über Beatrix von Storchs (AfD) Wettern gegen die
„Genderideologie“ und ihre Warnung vor einem „Kreuzzug gegen die
Zweigeschlechtlichkeit“ hinweg, zeigten sich die Parteien offen für eine
tiefgreifendere Gesetzesänderung. Fast alle Abgeordnete, unter Ausnahme von
AfD und CDU/CSU, sprachen sich dafür aus, OPs und Hormonbehandlungen bei
Kindern zu verbieten und die längst überfällige Reform des
Transsexuellengesetzes, das zu großen Teilen noch auf dem Stand von 1980
ist, gleich mit vorzunehmen.
Anstelle ärztlicher Gutachtenstorturen könnte die Personenstandsänderung
auch zu einem leichten Verwaltungsakt beim Standesamt gemacht werden, wie
es in anderen Ländern, zum Beispiel Argentinien, Irland, Dänemark oder
jüngst auch Chile bereits der Fall ist.
Jens Brandenburg von der FDP forderte die SPD auf, ihren
Koalitionspartner*innen von CDU/CSU Druck zu machen und sich nicht auf dem
jetzigen Gesetzesentwurf auszuruhen. An Horst Seehofer gewandt, sagte
Brandenburg: „Es ist höchste Zeit, dass Trans* und Inter* auch in Ihrem
Ministerium eine Heimat finden.“
12 Oct 2018
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Gender-Symbol#/media/File:Gendersign.svg
[2] /!5061055/
## AUTOREN
Julia Wasenmüller
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