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# taz.de -- Änderung des Personenstandsgesetzes: Einfach alles streichen?
> Die Große Koalition verschleppt die Einführung des
> Dritte-Option-Geschlechts. Es gibt viel Klärungsbedarf um die
> Geschlechtsoption „divers“.
Bild: Änderung des Personenstandsgesetzes gefordert: „männlich“, „diver…
Berlin taz | Nach einem Jahr „Arbeit“ ist das neue Gesetz zur „Dritten
Option“ immer noch nicht bereit zur Verabschiedung. Eigentlich sollte
bereits am Donnerstag im Plenum darüber abgestimmt werden. Jetzt müssen die
Ausschüsse aber nochmal ran – zu Recht und vielleicht besser spät als nie.
Zentrale Forderungen und Kritikpunkte der Verbände fanden nämlich immer
noch keine Beachtung.
Der überfällige Entwurf: Neben „männlich“ und „weiblich“ soll auf dem
Ausweis die dritte Option „divers“ eingeführt werden. Was sonst noch in den
Gesetzesentwurf soll, bleibt weiterhin unklar. Am Montag hatten die
Fraktionen daher Sachverständige zur Anhörung geladen. Von einer
„qualifizierten Debatte“ sprach danach Doris Achelwilm, Linken-Sprecherin
für Gleichstellungspolitik. „Es ging nicht mehr um die grundsätzliche
Frage, ob es verschiedene Geschlechtsidentitäten gibt.“ Dass das für
Achelwilm Grund genug ist, von einer „qualifizierten Debatte“ zu sprechen
und das Gepöbel der AfD in der Anhörung hingenommen wurde, zeigt, auf
welchem Niveau in Berlin gerade Politik gemacht wird.
Achelwilm beschreibt den bisherigen Weg des Gesetzes als holprig. Zum
Beispiel erreichte der erste Entwurf viel zu spät die Verbände, welche so
kaum noch die Möglichkeit zur Einflussnahme hatten. Während auf die
Partizipation von Betroffenen zunächst also wenig Wert gelegt wurde, wird
in seitenlangen Erklärungen sichergestellt, dass durch das Gesetz keine
zusätzlichen Kosten für die Wirtschaft entstünden.
Die Debatte am Montag zeigte, dass die Meinungen bei den Knackpunkten des
Gesetzes geteilt sind. Ein Problem des Entwurfs ist zum Beispiel die
Regelung zum ärztlichen Attest. Wer den eigenen Geschlechtseintrag ändern
möchte, müsste sich vorher eine „Variation der Geschlechtsentwicklung“
bescheinigen lassen. Was genau das bedeuten soll, bleibt unklar. Die
Sachverständige Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für
Menschenrechte plädierte dafür, die ärztliche Bescheinigungspflicht
abzuschaffen und stattdessen durch einen einfachen Antrag beim Standesamt
zu ersetzen.
In anderen europäischen Ländern ist das bereits gängige Praxis. Ihr
Argument: Geschlechtsidentität könne nicht fremdbegutachtet werden und
Arztbesuche stellten für Menschen, die beipielsweise in ihrer Kindheit
zwangsoperiert wurden, eine erhebliche Hürde dar. Das notwendige Verbot
solcher geschlechtsangleichender OPs selbst kam allerdings auch in der
Debatte kaum vor.
## Neue Debatte eröffnet
Im Bundestag stand am Montag plötzlich der neue Vorschlag einer
„eidesstaatlichen Erklärung“ im Raum, starkgemacht von Lucie Veith, der
Gründerin des Vereins „Intersexuelle Menschen e.V.“. Unter Eid sollten
Menschen aussagen, dass der gewünschte Eintrag seit mindestens drei Jahren
ihrer gelebten Geschlechtsidentität entspräche. Sie sollen also beweisen,
dass ihrem Wunsch nach einer Änderung des Geschlechtseintrags keine
betrügerischen Absichten zugrunde liegen und werden damit kriminalisiert.
Sven Lehmann von den Grünen stellte zum Ende der Anhörung noch eine
entscheidende Frage: „Gibt es überhaupt eine Alternative zur gänzlichen
Streichung des Geschlechtseintrags, wenn alle hier besprochenen Optionen
von Gutachten durch Dritte abhängen, die wiederum Fremdbestimmung
bedeuten?“ Lehmann eröffnete damit eigentlich eine ganz neue Debatte, die
alles zuvor Diskutierte hinfällig machte. Aus verfassungsrechtlicher
Perspektive steht einer Streichung nämlich nichts entgegen, sie wurde sogar
im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen. Und wenn es
tatsächlich um Gleichstellung geht, dann müsste es heißen: Entweder alle
gehen zum Amt, um ihre Geschlechtsidentität „feststellen“ zu lassen oder
der Eintrag wird abgeschafft. Das würde die ganze Kostendebatte um das
Gesetz auch entschärfen – es gäbe nämlich keine.
Insgesamt ist es absurd, dass diese Debatte um den medizinischen Nachweis
überhaupt noch geführt werden muss, wenn bereits aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts hervorgeht, dass sich das Geschlecht nicht allein
nach genetisch-anatomisch-chromosoimalen Merkmalen bestimmen oder gar
herstellen lässt, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt
wird. Das Gesetz verbleibt in einem Diskurs der Pathologisierung. Es presst
Menschen in die Kategorie der „von binären Normen abweichenden
Sonderlinge“, anstatt anzuerkennen, dass es eine Vielzahl von
Geschlechtsidentitäten gibt. Es wird von Minderheitenbedarfen gesprochen,
anstatt zum Beispiel durch Bildung die gesellschaftlichen Bilder von „Mann
und Frau und nichts weiter“ zu verändern. Rigide Geschlechtervorstellungen
betreffen schließlich uns alle.
## Vier Änderungsanträge
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, hieß es dann am Mittwochmorgen aus dem Büro
der Linksfraktion, als klar war, dass die Entscheidung aufgeschoben wird.
„Wir werden uns dafür einsetzen, dass es für alle Personen möglich wird,
ihre Geschlechtsbezeichnung selbstbestimmt zu wählen“, erklärte Achelwilm.
Die insgesamt vier Änderungsanträge von Seiten der Linken und Grünen sind
eine Chance, dass das Gesetz doch noch um notwendige Punkte ergänzt wird.
„Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass mit dem neuen Gesetz auch das
veraltete Transsexuellengesetz (TSG) abgeschafft und lediglich das
Offenbarungsverbot beibehalten wird“, so Achelwilm. „Und sollte es im
Dezember tatsächlich zur Verabschiedung einer Minimallösung unter Beibehalt
der Attestpflicht kommen, dann können wir davon ausgehen, dass es Klagen
geben wird.“
Teilweise machte aber auch die Anhörung selbst Hoffnung: Die Fragen der
Konservativen zeichneten sich nämlich durch so viel Inhaltsleere aus, dass
sie ein bischen die Angst vor einem rechten Takeover im Bundestag nahmen.
Von Storch fürchtete zum Beispiel, dass die Möglichkeit der
Selbstbestimmung des Geschlechts dazu führen könnte, dass Menschen auch ihr
Alter plötzlich beliebig ändern wollen würden.
Und bei der Union? Ein paar anzugtragende CDU-Politiker hielten sich nach
der Anhörung noch vor dem runden Saal auf: „Ja, da hat man aber mal was
gelernt heute“, sagte einer. In der letzten Plenarwoche des Jahres im
Dezember soll das Gesetz nun verabschiedet werden. Mal sehen, was die Groko
aus den neuen Erkenntnissen macht.
28 Nov 2018
## AUTOREN
Julia Wasenmüller
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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Geschlechter
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