| # taz.de -- Dritte Geschlechtsoption: Sicher nicht der große Wurf | |
| > Der Bundestag beschloss den dritten Geschlechtseintrag „divers“ – mit | |
| > verpflichtendem Attest. Kritiker*innen sehen darin eine Bevormundung. | |
| Bild: Geschlecht und Sexualität – ein buntes Spektrum | |
| Berlin taz | Es hätte ein historischer Tag sein können. Künftig gibt es | |
| neben „männlich“ und „weiblich“ im Personenstandsregister die dritte | |
| Geschlechtsoption „divers“. Das hat der Bundestag am späten Donnerstagabend | |
| beschlossen und damit einem [1][Gesetzentwurf der Koalitionsparteien | |
| zugestimmt]. | |
| SPD und Union befanden sich mit der Gesetzesänderung in Zugzwang. Das | |
| [2][Bundesverfassungsgericht hatte im Herbst 2017 festgestellt], die | |
| bisherige Rechtslage sei diskriminierend. Nur noch bis Ende des Jahres – | |
| also in knapp zwei Wochen – hatte die Regierung Zeit, daran etwas zu | |
| ändern. | |
| Glaubt man der CDU-Abgeordneten Bettina Margarethe Wiesmann, wird | |
| Diskriminierung nun endlich entschieden entgegengewirkt: „Intersexuelle | |
| Kinder wachsen künftig nicht mehr mit dem Gefühl einer Differenz zwischen | |
| der (…) Außenwahrnehmung und dem eigenen (…) Empfinden auf“. Ob sich die… | |
| Prognose bewahrheitet, wird allerdings von vielen Seiten angezweifelt. | |
| Die Freude hält sich auf Seiten der Betroffenen und Fürsprecher*innen der | |
| Geschlechtervielfalt in Grenzen. Verhalten erklärt der Bundesverband | |
| Intersexuelle Menschen e.V.: „Das neue Gesetz ist möglicherweise ein erster | |
| Schritt in eine richtige Richtung, aber ganz sicher nicht der ‚große Wurf‘, | |
| den wir und mit uns viele andere Menschen in unserem Staat, die sich für | |
| eine volle Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt einsetzen, erhofft | |
| hatten.“ | |
| ## Grüne wollten Geschlecht weniger eng auslegen | |
| Auch Linke und Grüne im Bundestag sind unzufrieden mit der ausgehandelten | |
| Lösung. Die Änderung betrifft ausschließlich Menschen, die biologisch | |
| angeblich widersprüchliche Merkmale aufweisen und daher nicht einem | |
| Geschlecht zugewiesen werden – also Intersexuelle. | |
| Geschlecht definiert die Bundesregierung im Entwurf damit im engen Rahmen | |
| biologischer Merkmale. Ein Antrag der Grünen, dies bei der aktuellen | |
| Gesetzesänderung weiter zu fassen, wurde abgelehnt. Die Fraktion wollte | |
| auch Menschen, die weder Männer noch Frauen sind, die Möglichkeit des | |
| Eintrags „divers“ geben – selbst wenn sie scheinbar eindeutige | |
| Geschlechtsmerkmale besitzen und daher traditionell einem Geschlecht | |
| zugewiesen würden. | |
| „Niemand kann über sein Geschlecht besser Auskunft geben als jeder Mensch | |
| selber“, sagte der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann. Er kritisierte zudem, | |
| dass der Entwurf Intersexuelle pathologisiere und bevormunde. Damit sprach | |
| er auch die Quasi-Attestpflicht an, die auf großen Widerstand in der | |
| Opposition und bei Interessensverbänden gestoßen war. | |
| Auf Drängen der Union wurde festgeschrieben, dass Betroffene zur Änderung | |
| ihres Eintrags im Geburtenregister ein ärztliches Attest benötigen. Nur in | |
| begründeten Ausnahmefällen soll auch eine eidesstattliche Erklärung des*der | |
| Betroffenen ausreichen. | |
| ## CDU vergleicht Geschlecht mit Alter | |
| Die Notwendigkeit einer ärztlichen Bescheinigung bemängelt auch | |
| Intersexuelle Menschen e.V. Dem liege offensichtlich die „veraltete | |
| Sichtweise der ‚Störung der Geschlechtsentwicklung‘ zugrunde“. „Zudem … | |
| durch diese Vorgabe intergeschlechtlichen Personen das | |
| Selbstbestimmungsrecht vorenthalten“, erklärt der Verband. | |
| Doris Achelwilm von der Linksfraktion warf im Bundestag die Frage auf: „Was | |
| soll eigentlich Schlimmes passieren, wenn Menschen ab einem gewissen Alter | |
| über ihren Geschlechtseintrag durch Selbstaussage auf dem Standesamt | |
| entscheiden können?“ Die Antwort aus Unions-Perspektive lieferte der | |
| CDU-Politiker Marc Henrichmann. | |
| Er argumentierte, dem Personenstandsregister komme etwa im rechtlichen | |
| Kontext „Beweiswert“ zu. Daher lasse es „keine subjektive Komponente der | |
| Selbsteinschätzung zu“. Er erinnerte jedoch auch daran, dass die ärztliche | |
| Bescheinigung zur Registeränderung nicht neu ausgestellt werden und keine | |
| Diagnose enthalten müsse. Ihmzufolge dürfte eine solche Bescheinigung in | |
| den meisten Fällen bereits vorliegen. | |
| ## Koalition gelobt weitere Gesetzänderungen für 2019 | |
| Dann jedoch zog Henrichmann das gesamte Thema ins Lächerliche. Er erzählte | |
| im Bundestag von dem Niederländer, der unter anderem wegen Problemen beim | |
| Online-Dating gerichtlich erwirken lassen wollte, dass sein offizielles | |
| Alter um 20 Jahre gesenkt wird. Eine lustige Geschichte. Aber keineswegs | |
| vergleichbar mit dem zugewiesenen Geschlecht. | |
| Nicht nur befindet sich Geschlecht biologisch in einem Spektrum – anders | |
| als das eindeutig feststellbare Alter. Zudem ging selbst aus dem Urteil des | |
| Bundesverfassungsgerichts hervor, dass Geschlecht auch von sozialen | |
| Faktoren mitbestimmt wird. | |
| Zwar gelobten SPD und Union, im Jahr 2019 dann auch das | |
| [3][diskriminierende Transsexuellengesetz] anzugehen und sogenannte | |
| geschlechtsangleichende Operationen von Minderjährigen zu verbieten. Auch | |
| beinhaltet der aktuelle Gesetzentwurf inzwischen, dass der Eintrag „divers“ | |
| bei nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen nicht vorgenommen muss, sondern | |
| kann – um Zwangsoutings vorzubeugen. Dennoch hätte der Bundestag bereits in | |
| diesem Jahr deutlich weitergehen können. | |
| 14 Dec 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aenderung-des-Personenstandsgesetzes/!5554623 | |
| [2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/1… | |
| [3] /Bundesvereinigung-Trans-ueber-WHO/!5514747 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Emminghaus | |
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