| # taz.de -- Landtagswahl Hessen: Bleiben oder gehen | |
| > Am Sonntag wählt Hessen einen neuen Landtag. Was kann die Wahl für den | |
| > Bund bedeuten? Die wichtigsten Fragen – und Antworten. | |
| Bild: Die Großen schrumpfen, die Kleinen wachsen: Die Wahl in Hessen ist entsc… | |
| ## Wonach sieht’s gerade aus in Hessen? | |
| Wahrscheinlich geht die Talfahrt der Volksparteien weiter. Umfragen zufolge | |
| werden Union und SPD zusammen um die 20 Prozent verlieren. Laut der letzten | |
| Erhebungen würde die jetzige schwarz-grüne Regierung knapp ihre Mehrheit | |
| verlieren. Falls das so kommt, beginnt noch in der Nacht auf den Montag ein | |
| interessantes Spiel der machtpolitischen Möglichkeiten: eine knappe | |
| CDU-geführte Große Koalition, eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP, Jamaika | |
| mit CDU, Grünen und Liberalen. Möglich wären auch Grün-Rot-Rot oder | |
| Grün-Rot-Gelb unter Führung der Grünen. Oder Rot-Grün-Rot, angeführt | |
| [1][von einem Ministerpräsidenten Thorsten Schäfer-Gümbel.] | |
| ## Klingt doch ganz spannend. Aber alle reden von Krise – wo ist die denn? | |
| Das Parteiensystem ist in einer Krise, die es so seit siebzig Jahren nicht | |
| gab. Es ist zwar normal, dass die Parteien, die in Berlin regieren, | |
| Landtagswahlen deftig verlieren. Die BürgerInnen sorgen so dafür, dass die | |
| Bundesregierung im Bundesrat keine Mehrheit hat und nicht durchregieren | |
| kann. Aber einen so krassen Absturz nach nur wenigen Monaten | |
| Regierungsarbeit hat es noch nie gegeben. Wir erleben gerade die Auflösung | |
| des Systems mit zwei Volksparteien – einer eher rechten und einer eher | |
| linken. Wenn eine untergeht, zieht sie die andere mit. | |
| ## Was kommt danach? | |
| Die Großen schrumpfen, die Kleinen wachsen. In Hessen kann Tarek Al-Wazir | |
| Ministerpräsident werden, wenn die Grünen vor der SPD liegen. | |
| ## Wenn das passiert, was macht dann die SPD? | |
| Noch mehr kriseln. [2][Und sich aus der Groko in Berlin befreien, die ihr | |
| die Atemluft nimmt.] | |
| ## Nach nur sechs Monaten raus aus der Groko? Ist das nicht wieder nur eine | |
| Idee der SPD-Linken, aus deren Plänen ja sowieso nichts wird? | |
| Vor drei Wochen stimmte das noch. Aber das ist typisch für Umbruchphasen: | |
| Was vor ein paar Wochen noch allgemeines Nicken hervorrief, erntet nun | |
| Kopfschütteln. Das katastrophale Ergebnis in Bayern und die Kurve nach | |
| unten in Umfragen haben Partei und Fraktion in den Alarmzustand versetzt. | |
| Mit Merkel zu regieren hat die SPD schon zwei Wahlniederlagen beschert. | |
| Jetzt scheint es noch schlimmer zu werden. Die SPD in Nordrhein-Westfalen | |
| will raus aus der Groko. Und in Niedersachsen, eigentlich Zentrale des | |
| Pragmatismus, haben viele die Nase voll von der Groko, auch beim rechten | |
| Flügel, bei Seeheimern und Netzwerkern schwindet die Groko-Verteidigung. | |
| ## Also wird die SPD die Regierung verlassen? | |
| Ja. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und mit welcher | |
| einleuchtenden Begründung. Das kann dauern. Aber: [3][Wenn die SPD in | |
| Hessen mies abschneidet] und von den Grünen überholt wird, kann es schnell | |
| gehen. Die Parteispitze macht Anfang November eine Klausur. Da kann es rund | |
| gehen. | |
| ## Trotzdem: Was wäre für die SPD gewonnen, wenn die Macht weg ist? | |
| Nichts. Das wäre nur der Griff zur Notbremse, es gibt keinen Plan B. Man | |
| würde nur den Zustand beenden, weiter hilflos dem Absturz zuschauen. | |
| ## Liegt’s an der Führung? | |
| Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz sind mit dem Versprechen | |
| angetreten, professioneller und verlässlicher als Gabriel und Schulz zu | |
| sein. Und die Quadratur des Kreises zu schaffen – nämlich weiterhin solide | |
| und geräuscharm zu regieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die SPD | |
| als Alternative erkennbar wird. Funktioniert hat beides nicht. | |
| Die Hysterieaktionen von CSU und Seehofer haben Stabilität als Grund für | |
| die Große Koalition durchgestrichen Und Scholz’ Versuch, via Rente 2040 die | |
| SPD zu profilieren, hat auch nicht gezündet. | |
| ## Was macht eigentlich Kevin Kühnert? | |
| Abwarten und twittern. | |
| ## Stürzt die CDU ihre Vorsitzende Merkel, wenn Bouffier nicht mehr | |
| Ministerpräsident ist? | |
| Möglich. Hessen ist eines der wichtigsten Länder für die CDU, dort regiert | |
| Angela Merkels treuer Gefolgsmann Volker Bouffier skandalfrei mit den | |
| Grünen. Fiele Bouffier, wäre dies nicht nur als Wunsch [4][nach einer | |
| dynamischeren Landesführung, etwa den Grünen], zu verstehen. Es wäre | |
| zugleich die harte Strafe für das grausige Koalitionsschauspiel in Berlin. | |
| ## Wieso denn? Wenn in Berlin einer Stunk macht, ist das doch Horst | |
| Seehofer. | |
| Als Regierungschefin trägt Angela Merkel die Verantwortung. Spätestens seit | |
| sie wohl willens, aber nicht mehr in der Lage war, im Frühsommer den | |
| Dauerstörer Horst Seehofer zu entlassen, ist klar: Sie ist schwach. Dann | |
| rebellierte im September auch noch die Unionsfraktion offen und machte | |
| statt Merkels Wunschkandidat Volker Kauder den strebsamen Ralph Brinkhaus | |
| zum Fraktionschef. Seitdem wankt der Grund unter der Kanzlerin. | |
| ## Wäre es geschickt, wenn die CDU Angela Merkel ein bisschen stürzen | |
| würde? | |
| Ja. Beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg wird sich zeigen, ob und wie | |
| weit ihr der CDU-Mittelbau zu folgen bereit ist. Sie wird antreten. Schon | |
| bei ihrer letzten Kandidatur 2016 holte sie nach einer flammenden Rede | |
| („Ihr müsst mir helfen“) nur 89,5 Prozent der Stimmen. Bei der | |
| konsensverliebten CDU gilt so was als Denkzettel. | |
| ## Warum überlässt Merkel denn nicht jemand anderem den Vorsitz? | |
| Viele in der Partei wünschen sich das. Die Parteizentrale könnte schon mal | |
| erste Reformen anstoßen, um ab der Mitte der Legislaturperiode mit neuen | |
| Gesichtern und Ideen in den Wahlkampf für 2021 zu starten. Und seit Angela | |
| Merkel Anfang dieser Woche in einem Interview erklärt hat, die Nachfolge | |
| von der jeweiligen Amtsinhaberin selbst regeln zu lassen, sei noch immer | |
| „total schiefgegangen“, gibt es zarte Hoffnungen, dass Merkel den | |
| Wettbewerb um die CDU-Spitze freigibt. | |
| ## Und, wer wäre da in Sicht? | |
| Für Hamburg haben drei No-Names ihre Gegenkandidatur erklärt, aber das ist | |
| wurscht. Wichtig sind diese drei: Annegret Kramp-Karrenbauer; Armin Laschet | |
| und Jens Spahn. Die Saarländerin und der Nordrhein-Westfale sind klar im | |
| Team Merkel. Seit ihrem Start als Generalsekretärin im Februar baut AKK | |
| fleißig an ihrer Machtbasis in der Partei. Und Laschet hat gezeigt, dass er | |
| Wahlen gewinnen kann, ohne gegen Minderheiten zu hetzen. Der frühere | |
| Merkel-Antipode Jens Spahn wiederum fällt, seit er Gesundheitsminister ist, | |
| weniger mit Intrigen als mit Sacharbeit auf. Das könnte sich schnell wieder | |
| ändern, sobald er Parteivorsitzender ist, schließlich wäre er dann vielen | |
| Merkel-Gegnern etwas schuldig. Sein Nachteil: Er ist mit 38 Jahren immer | |
| noch verdammt jung. | |
| ## Könnte Merkel nicht einfach nur Kanzlerin bleiben? | |
| In vielen Ländern der Welt beneidet man die Deutschen um ihre uneitle und | |
| bienenfleißige Kanzlerin. Und tatsächlich, außenpolitisch, vor allem | |
| europapolitisch, ist Angela Merkel ein Schwergewicht. Sie selbst sagt, dass | |
| Parteivorsitz und Kanzleramt für sie zwingend zusammengehören. Aber | |
| innenpolitisch ist sie deutlich geschwächt; der Verlust der hessischen | |
| Staatskanzlei trotz guter Sacharbeit würde dies einmal mehr illustrieren. | |
| ## Und warum lässt Merkel dann den Parteivorsitz nicht los – und macht | |
| Platz für einen ordentlichen Übergang? | |
| Es ist vermutlich banal. 18 Jahre Parteivorsitzende, 13 Jahre Kanzlerin und | |
| der zunehmende Glaube, unentbehrlich zu sein. | |
| 26 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| Stefan Reinecke | |
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