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# taz.de -- Landtagswahl Hessen 2018: Grünes Hessen, blaues Blut
> Weite Waldungen gehören Adligen, bürgerlich ist die Gewässerkultur. Ein
> Überblick der Naturschauspiele des „Volksstaates“ Hessen.
Bild: In Hessen wird bisweilen scharf geschossen
In Hessens Mitte befindet sich ein kleines Mittelgebirge namens Vogelsberg,
darin der Ort Herbstein, wo ein Fernsehsender einst den Mittelpunkt der
alten BRD ermittelte. Das Gebirge ist kalt und karg, weswegen es hier nur
wenig Äcker, aber viel Wald gibt. Dieser gehört zum Teil dem Ortenberger
Fürsten zu Stolberg-Roßla. Man darf in seinen Forst nicht mit einem Pferd
rein, aber das Militär kann darin jederzeit mit Panzern üben. Für die
Manöverschäden bekommt er viel Geld.
Dem Forst benachbart ist der Büdinger Wald, 8.500 Hektar, die dem
Ysenburger Fürsten gehören. Der hält darin weiße Hirsche. Die schlimmsten
Wilderer wurden früher von den Ysenburgern als Förster in Dienst genommen.
Einer ihrer Förster hielt den Guinessrekord im Kleinschreiben, er schaffte
100 Zeilen auf eine Postkarte. Weil er darüber stark kurzsichtig wurde,
erschoss er aus Versehen ein Pferd, seitdem nannte man ihn „Pony-Päng“.
Den größten Wald besitzt in Hessen das Geschlecht der Riedesel: 14.000
Hektar. Für die Frankfurter ist der Taunus am nächsten, Alexander von
Humboldt bezeichnete ihn als „das schönste Mittelgebirge der Welt“. Der
„Naturpark Taunus“ wird alljährlich von 18 Millionen Waldgängern
heimgesucht. Es sollen dort Wildkatzen und Uhus leben und die nicht gerade
seltenen Waschbären, die man 1934 in Hessen ausgesetzt hat. Gesehen habe
ich dort noch keines dieser Tiere.
Für den Autor des Buches „Die schönsten Wälder Hessens“, Gerhard
Zimmermann, ist der Taunus, weil er so überlaufen ist, nicht mehr
sonderlich attraktiv – im Gegensatz zum Weltnaturerbe „Kellerwald“, in dem
sich Hessens einziger Nationalpark befindet. Er „verfügt über eines der
größten unzerteilten Buchenwaldgebiete Deutschlands“. Und dann ist da noch
bei Kassel der Habichtswald mit dem Bergpark Wilhelmshöhe, der Kaufunger
Wald und der Reinhardswald mit seinen „riesenhaften Eichen“.
Wenn es nach dem Willen der Grünen geht, soll dieser „Märchenwald“ zu
Teilen der Windkraft geopfert werden. Der bisherige Widerstand aus der
Bevölkerung hat daran nichts ändern können. Ebenso wenig der jahrelange,
teilweise militante Widerstand der Vogelsberger gegen den „Wasserraub“ der
Stadt Frankfurt. Der Bürgermeister des höchsten Vogelsberg-Ortes
Ulrichstein schimpfte in diesem Sommer: „Wenn ich dann höre, dass das gute
Vogelsberger Wasser in Frankfurt genutzt werden soll, um die Bäume zu
gießen, treibt es mir die Zornesröte ins Gesicht.“ Die Frankfurter spülen
zudem ihre Toiletten mit dem Trinkwasser, das zum Teil auch aus dem
Burgwald unweit von Marburg stammt.
## Eisvögel, Wasseramseln und Segelflieger
Die Fulda, mit 220 Kilometern Hessens längster Fluss, hat zwar noch keine
Trinkwasserqualität, aber sie wird immer sauberer, behauptet der Hessische
Rundfunk. Die Fulda entspringt auf Hessens höchstem Berg, der Wasserkuppe
in der Rhön. An ihren Ufern haben sich Eisvögel und Wasseramseln
angesiedelt. Im Biosphärenreservat Rhön, das auch Teile von Bayern und
Thüringen umfasst, sind auf den mageren Böden vor allem die Orchideen
interessant, für die es extra einen Pfleger gibt, der dafür sorgt, dass sie
nicht von anderen Pflanzen überwuchert werden. An und auf der Wasserkuppe
entstand Deutschlands Segelflug-Technik und dazu eine Thermikforschung,
weil die Sieger des Ersten Weltkriegs Deutschland den Motorflug verboten
hatten.
Ein Nebenfluss der Fulda ist der Breitenbach. Hier – in Schlitz – entstand
nach dem Zweiten Weltkrieg die vielleicht kleinste limnologische
Forschungsstation. Das Flüsschen ist kaum einen Meter breit und vier
Kilometer lang. „Das Besondere an ihm ist, dass er nichts Besonderes ist.
Sein Charakteristikum ist das Normale, er steht repräsentativ für viele
Mittelgebirgsbäche“, berichtet der Stationsleiter und Experte für
Steinfliegen Peter Zwick.
Der Breitenbach wurde von Anfang an ganzheitlich – ökologisch – erforscht,
also in allen Aspekten und Wechselwirkungen: die Umgebung, das Wasser, die
Temperatur, Pflanzen, Pilze und Tiere, Mikroorganismen zu verschiedenen
Tageszeiten, die Strömung zu verschiedenen Jahreszeiten und so weiter.
Mittlerweile sind über 1.500 verschiedene Arten im und am Breitenbach
nachgewiesen. Er ist wahrscheinlich das weltweit am gründlichsten
untersuchte Fließgewässer.
Gegründet wurde die Flussstation von Joachim Illies und drei weiteren
Kriegsheimkehrern, nachdem der Graf von Schlitz ihnen ein Grundstück und
einige Gebäude überlassen hatte. Illies’ Sohn Florian veröffentlichte 2006
ein schönes Buch über Schlitz: „Ortsgespräch“. Sein Vater interessierte
sich vor allem für Süßwasserinsekten. Mit den Jahren wurde er immer
gläubiger.
In seinem letzten Buch „Der Jahrhundert-Irrtum“ (1982) schrieb er: Zwar
gebe es eine schrittweise Generationenkette von der Amöbe bis zum Menschen,
aber der Darwinismus mit seiner Reduktion auf Mutation und Selektion sei
eine unzulässige Vereinfachung allen Evolutionsgeschehens. Hinter der
Evolution stehe mehr; das sei etwas bisher Unverstandenes; dieses
Unverstandene bilde die Brücke zum Religiösen.
Als ich das Städtchen anlässlich eines Reiterfestivals besuchte, begrüßte
die Gräfin ihre Gäste, darunter den Springreiter Hans Günter Winkler, mit
den Worten: „Willkommen in meinem kleinen Schlitz!“ Ganz in der Nähe
befindet sich der Eisenberg, wo vor 40 Jahren die hessische
Friedensbewegung entstand. Weil dort der „thüringische Balkon“ an die
„hessische Taille“ stößt, hatten die Amis dieses „Fulda Gap“ als „G…
Zero“ ausgewiesen – und mit Atomsprengköpfen vermint, um die dort
möglicherweise angreifenden „Russen“ sogleich zu verstrahlen. Davor – im
Vogelsberg – hatten sie mehrere Giftgaslager angelegt, die nächstgelegenen
Siedlungen profitierten davon: Es entstanden damit Arbeitsplätze für
Objektschützer, jeder Ort bekam ein Dorfgemeinschaftshaus, und die
Europa-Korrespondentin des New Yorker schrieb eine einfühlsame Reportage
über „Die Schlacht am Eisenberg“.
Inzwischen haben engagierte Förster dafür gesorgt, dass auf dem Schlitzer
Hausberg neben „der notwendigen forstwirtschaftlichen Nutzung auch der
Natur genügend Raum für eine gesunde Entwicklung eingeräumt“ werde. Seltene
Pflanzen treffe man dort genauso an wie selten gewordene Tiere, heißt es
auf osthessen-news.de.
27 Oct 2018
## AUTOREN
Helmut Höge
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