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# taz.de -- Berliner Begegnungszonen: Klötze auf dem Weg
> Begegnungszonen sind das wohl umstrittenste Experiment der Berliner
> Verkehrspolitik. In der Bergmannstraße wird die Kritik mit massiver
> Bürgerbeteiligung gekontert.
Bild: Pilot aus Holz: der erste Parklet-Versuch in der Bergmannstraße
Wenn man an einem dieser Nachmittage zwischen Sommer und Herbst über die
Schöneberger Maaßenstraße schlendert, kommt das der Vorstellung von urbaner
Idylle ziemlich nahe: Menschen tafeln entspannt beim Inder auf dem Gehweg,
Kinder schlecken Eis, Touristen schlendern vom Nollendorf- zum
Winterfeldtplatz und zurück. Nur auf den Metallbänken, die auf der durch
bunte Betonklötze abgetrennten Fahrbahnhälfte stehen, mag gerade niemand
sitzen.
Bänke und Poller gehören zum wohl umstrittensten Verkehrsexperiment der
vergangenen Jahre: der ersten Berliner „Begegnungszone“. Spricht man
Menschen an, die sich oft hier aufhalten, erntet man bestenfalls
Augenrollen. „Was es gebracht hat? Nix“, sagt die Angestellte eines
Kleidungsgeschäfts, „nur unsere Lieferanten haben ein Problem, weil sie
nicht mehr vor dem Laden halten können.“ Eine Nachbarin setzt noch einen
drauf: „Ick wohne jetzt seit 31 Jahren hier und es war noch nie so
scheiße.“ Sie meint: die Verengung der Straße und der Wegfall von
Parkplätzen führen zu Staus. „Det Jehupe jeht mir sowas von auf den Nerv.“
2012 von der Senatsverkehrsverwaltung als eines von drei Test-Arealen
auserkoren und Ende 2015 baulich umgesetzt, hat die Umgestaltung der
Maaßenstraße über 800.000 Euro gekostet. Glaubt man den Erhebungen der
Verwaltung, hat es sich gelohnt: „Die wesentlichen Planungsziele wurden
erreicht.“ Demnach fahren weniger Autos durch die Maaßenstraße, und die,
die noch fahren, fahren langsamer. Die Zahl der Fußgänger soll sich dagegen
um ganze 30 Prozent erhöht haben. Befragungen zufolge begrüßten
PassantInnen den entschleunigten Verkehr ebenso wie die zusätzlichen
Sitzmöglichkeiten. Menschen mit Behinderung lobten die barrierefreien
Knotenpunkte.
Klingt prima, und doch haben auch nach drei Jahren alle was zu meckern.
„Begegnungszone Maaßenstraße gilt als gescheitert“, titelte unlängst die
Berliner Morgenpost, und tatsächlich ist es erstaunlich schwierig, jemandem
etwas Positives über das Projekt zu entlocken. AutofahrerInnen vermissen
ihre Parkplätze, FußgängerInnen fühlen sich vom Radverkehr bedrängt, der
auf ihre Flächen ausweicht, und praktisch alle haben ein ästhetisches
Problem mit der „Möblierung“.
Auf politischer Ebene ist die ungeliebte Zone ein gefundenes Fressen für
die Opposition. Die FDP tut sich besonders hervor damit, die Maaßenstraße
als Bauchlandung linker Planspiele zu karikieren. Und auch der Regierende
Bürgermeister, der vor ein paar Jahren als Stadtentwicklungssenator das
Konzept Begegnungszone mit dem Argument verteidigte, es entstehe nun mal
städtische Attraktivität, wenn man sich nicht immer dem Auto unterwerfe,
hat das Resultat mittlerweile als „großen Käse“ bezeichnet – aus dem man
lernen müsse.
## Ein Boulevard wird kommen
Das soll nun geschehen: in Form einer weiteren, wohl ebenso teuren
Umgestaltung. Das Landschaftsarchitekturbüro A24 hat nach mehreren
Werkstattverfahren zwei Varianten zur Verbesserung entworfen, im September
wurden sie auf einer Bürgerversammlung im Rathaus Schöneberg präsentiert.
Die eine hat eine leicht mäandrierende Fahrbahn, die andere eine gerade
(„Boulevard“). Auf alle Fälle soll der Raum für den Fußverkehr noch einm…
deutlich zunehmen, die Sitzgelegenheiten bekommen wohl eine Holzoptik, und
zwischen Fahrbahn und Gehweg sind wieder eindeutigere Schwellen geplant.
„Mehr Ordnung und mehr Klarheit“ verspricht sich Stadträtin Christiane Hei…
(Grüne) von der Begegnungszone 2.0. Sie glaubt, dass die deutsche
Mentalität mit dem Ursprungskonzept hinter den Zonen – dem in den
Niederlanden entwickelten „Shared Space“ – ihre Probleme hat. „Wir muss…
lernen, dass auf einer abstrakten Ebene viele Menschen Sympathie für Shared
Space hegen. Aber das Kernelement, dass man Rücksicht nimmt und in der
Begegnung klärt, wer Vorfahrt hat, wird von den Anwohnern im Alltag eher
als Unsicherheit und Unordnung erlebt.“
Zur viel geschmähten Optik sagt Heiß, das Planungsbüro habe
herausgearbeitet, dass vielen die „verspielte Möblierung“ einfach nicht
gefalle. „Die Begegnungszone funktioniert, aber viele sagen: Wir fühlen uns
nicht wohl.“ Deshalb werde jetzt eine neue, „klare Formensprache“
entwickelt. Und was die Probleme mit den Staus angehe, betont Heiß, daran
seien die FalschparkerInnen schuld, die die vorgesehenen Lieferzonen
blockierten. Wenn 2019 die Umgestaltung beginne, werde es bereits
Parkraumbewirtschaftung im Stadtteil geben – davon verspricht sie sich
Entlastung.
## Erst mal ein Pilot
Nebenan in Kreuzberg ist alles ein wenig anders gekommen als geplant. Im
September 2015 startete hier die Bürgerbeteiligung für die
[1][Begegnungszone Bergmannstraße], aber umgebaut ist die alternative
Flanier- und Fressmeile noch lange nicht. Zwei „Parklets“ – Elemente mit
Sitzgelegenheiten, die den Raum von je zwei Parkplätzen beanspruchen –
stehen seit dem Frühjahr an der Ecke zur Nostitzstraße. Sie dienen als
„Pilot“ für eine wiederum nur temporäre Begegnungszone, einen
anderthalbjährigen Test, der in diesen Tagen startet.
Ganz unterschiedliche Module werden gerade zwischen der Straße Am
Tempelhofer Berg und der Zossener Straße installiert: stylische
Sitzgelegenheiten mit und ohne Begrünung, Fahrradbügel, Querungshilfen mit
rollstuhlgerechten Rampen. Viele Parkplätze fallen weg, dafür werden feste
Lieferzonen ausgewiesen. Am Gesundheitszentrum wird eine sogenannte
Dunkelampel aufgebaut – „Anforderungs-LSA“,im Fachjargon, wobei LSA für
„Lichtsignalanlage“ steht. Sie zeigt nur auf Anforderung von FußgängerInn…
rotes Licht für den Verkehr. Eine Grünphase gibt es auf Straßenseite nicht
und entsprechend auch keine feste Rotphase. Auf der gesamten Länge wird –
wie in der Maaßenstraße – Tempo 20 gelten.
Wie das ankommt, steht in den Sternen. Bei einer Befragung zu den mit knapp
120.000 Euro nicht billigen Pilot-Parklets war das Meinungsbild laut
Senatsverwaltung gespalten: Die Hälfte freute sich über den Zuwachs an
nichtkommerziellem öffentlichen Raum. Was die andere Hälfte denkt, ist
nicht schwer herauszufinden: „Ein Freibrief für Partypeople“ seien die
Parklets, sagt eine genervte Anwohnerin. Man müsse trinkfreudigen Touristen
nicht auch noch Sitzgruppen anbieten, wo sie weiterfeiern könnten, wenn die
Restaurants schließen. Als eine Ladenbesitzerin vor ein paar Jahren ein
Bänkchen zum Ausruhen auf die Baumscheibe vor ihrer Tür stellte, habe ihr
das Ordnungsamt dagegen die Hölle heiß gemacht.
„Wenn die temporäre Begegnungszone ausgewertet wird, kann das Ergebnis auch
die Totalabräumung sein – oder bestimmte Elemente werden positiv bewertet
und beibehalten“, sagt Hans-Peter Hubert. Der Sprecher der [2][Initiative
„Leiser Bergmannkiez“], die seit zehn Jahren für eine Verkehrsberuhigung im
Viertel kämpft, ist mit dem Thema vertraut wie wenige andere. Als die
Gruppe im Jahr 2013 erfuhr, dass der neuralgische Punkt im Kiez, die
Kreuzung an der Marheinekehalle, von der Begegnungszone ausgespart werden
sollte, machte sie mobil und bewirkte schließlich einen gegenteiligen
Beschluss der BVV. Was daraus wird, steht in den Sternen (die
Senatsverwaltung besteht auf freier Durchfahrt), aber seitdem ist die
Initiative ein fester Player in Sachen Begegnungszone.
## Ganz dicke Bretter
Inzwischen hat Hubert gelernt: „Dicke Bretter sind dicke Bretter.“ Trotzdem
bewertet der Politologe, der seit 30 Jahren in der Friesenstraße wohnt, das
zeitlich und finanziell massiv ausgeweitete Beteiligungsverfahren mit
Workshops und Onlinebefragungen positiv: Es gebe nach anfänglichen
Protesten mittlerweile einen „sehr konstruktiven Dialog“, und obwohl gerade
unter den Gewerbetreibenden viele überhaupt nichts davon halten, den Status
quo anzutasten, weil sie um ihre Kundschaft fürchten, könnte am Ende ein
Kompromiss stehen, von dem alle etwas haben.
Fragt man die Verkehrsverwaltung, ob das langwierige Herantasten in
Kreuzberg sich lohnt, ist die Antwort ein klares Ja. Der mittlerweile
verstorbene grüne Baustadtrat Hans Panhoff und die Senatsverwaltung hätten
den BürgerInnen 2016 versprochen, ihren Wunsch nach einer testweisen
Einführung der Begegnungszone zu erfüllen, das werde nun eingelöst. „Wir
betreten mit einem solchen Test im Übrigen Neuland“, sagt Sprecherin
Dorothee Winden. „Die Fachwelt schaut auf Berlin.“
Dass so etwas Geld koste, sei immer klar gewesen, so Winden. Auch Hubert
findet, die Kosten seien ein „Totschlagargument. Politische Prozesse kosten
immer Geld und es müssen ja Fachleute ran.“ Verbesserungswürdig findet er
trotzdem einiges: Seit den Wahlen 2016 gebe es nicht nur eine neue
Senatorin und einen neuen Stadtrat, auch das Planungsbüro und die Agentur
für die Bürgerbeteiligung hätten gewechselt. „Die einzigen Akteure, die von
Anfang an dabei sind, sind die Beamten in der Verwaltung und wir. Bei
manchen Treffen verbringen wir die Hälfte der Zeit damit, anderen
Beteiligten den Stand der Dinge zu erklären.“
Am 25. Oktober wird mit einem Infostand auf der Bergmannstraße über das
Vorhaben informiert, am 12. November startet die Onlinebeteiligung auf
[3][mein.berlin.de].
19 Oct 2018
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/politik_planung/fussgaenger/bergmannst…
[2] http://leiser-bergmannkiez.de/
[3] http://mein.berlin.de
## AUTOREN
Claudius Prößer
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