# taz.de -- Die Deutsche Bahn und die Mobilitätskrise: Dieses Land ist unmodern | |
> Deutschland steckt in einer Mobilitätskrise, und die Bahn hat | |
> entscheidenden Anteil daran. Dabei sind ihre Aufgaben im Grundgesetz | |
> festgehalten. | |
Bild: Ob dieses Laub schon zu einer Verspätung führen wird? | |
Ah, der Nahverkehr liegt Ihnen am Herzen und die Bahn auch? Dann brauchen | |
Sie Geduld. Schon die Fahrt mit dem Bus zum Bahnhof zeigt, ob Sie der | |
Herausforderung gewachsen sind, denn vielerorts dürfte es vor hundert | |
Jahren mit der Pferdekutsche schneller gegangen sein. Damals war das | |
Streckennetz noch immens. Allein in Preußen gab es mehr Schienenwege als | |
heute die 33.500 Schienenkilometer in ganz Deutschland. | |
Moderne Gesellschaften sind mobile Gesellschaften, lässt die Bahn den | |
Trendforscher Mathias Haas [1][auf ihrer Homepage] sagen. Das ist skurril. | |
Schließlich demonstriert die Bahn Tag für Tag, wie unmodern Deutschland | |
ist. Hier sind Dieselloks noch das Transportmittel des 21. Jahrhunderts, | |
denn nur 60 Prozent der Strecken sind elektrifiziert. In der Schweiz sind | |
es 100 Prozent. | |
Die Umstellung auf Batteriebetrieb erfolgt hierzulande jedoch schleppend – | |
wie alles bei der DB. Internet gibt es nur im ICE, Verspätungen sind | |
normal, Anschlüsse klappen nicht, Nachtzüge sind abgeschafft. | |
Gründe für Verspätungen gibt es bei der Bahn immer: im Sommer die Hitze, im | |
Winter die Kälte, im Herbst das Laub, im Frühjahr die Stürme. Dazu die | |
Streckensperrungen und die „Stellwerkfehler“ – ein besonders beliebter | |
Verzögerungsgrund. Reisen mit der Bahn, so das Fazit, wird immer | |
unkomfortabler. | |
In Deutschland gibt es eine Mobilitätskrise, und die Bahn hat | |
entscheidenden Anteil daran. Nicht nur die Züge sind überfüllt, auch | |
Straßen sind verstopft und Flüge fallen aus. Viele Menschen würden gerne | |
von klimaschädlichen Verkehrsmitteln auf die Bahn umsteigen. Doch | |
angesichts der Unzuverlässigkeit und Unbequemlichkeit der Bahn lassen sie | |
das lieber. Geradezu irre ist, dass auf vielen Inlandsstrecken ein Flug | |
billiger ist als die Zugfahrt, die Kosten fürs Taxi zum Flughafen mit | |
eingerechnet. | |
Am Donnerstag hat die Bahn nun angekündigt, die Preise weiter anzuheben. | |
Was für ein Irrweg. Flugzeugtickets werden dagegen [2][eher billiger]. | |
Die Bahn hatte 2016 einen Marktanteil am Personenverkehr im Inland von nur | |
9,8 Prozent, Busse von 5,6 Prozent und Flugzeuge von 0,9 Prozent. Autos und | |
Motorräder kommen auf gigantische 83,8 Prozent. Auch wenn der Staat nach | |
wie vor mehr Geld in Straßen als in Schienen steckt – in einem guten | |
Zustand sind auch Fahrbahnen und Brücken nicht. | |
Moderne Infrastruktur: Fehlanzeige. Dafür ist eine völlig andere | |
Verkehrspolitik nötig, die auf ökologische Transportmittel setzt. Dazu | |
müssen Bund, Länder und Kommunen investieren – in gute Verkehrsleitsysteme, | |
in mehr E-Verkehr, in Fahrradstraßen und vor allem in die Bahn. Die | |
Verkehrswende ist eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste | |
Modernisierungsprojekt in Deutschland. | |
## Refeudalisierung statt Modernisierung | |
Andere europäische Länder stecken viel mehr Geld in die Instandhaltung und | |
Modernisierung ihrer Bahnnetze, [3][in Deutschland] sind es 67 Euro pro | |
Bundesbürger, in der Schweiz 362 Euro, in Österreich 187 Euro, in | |
Großbritannien 165 Euro. In Deutschland dagegen setzten Bahnmanager und | |
Bundesregierung auf Prestigeprojekte wie das Milliarden Euro verschlingende | |
Stuttgart 21. | |
Bahnmanagement und Bundesregierung betreiben eine Refeudalisierung des | |
Bahnfahrens – das ist das Gegenteil von Modernisierung. Wer Geld hat, kann | |
von umsichtigem Servicepersonal umsorgt in der 1. Klasse bequem reisen und | |
in der schicken Bahnhofs-Lounge auf den verspäteten Zug warten. Wer | |
mittellos ist, bleibt in der Kälte stehen. Spartickets gibt es wenige, sie | |
müssen weit im Voraus gebucht werden. | |
Von den mehr als 5.000 Bahnhöfen in Deutschland gehören ganze 21 nach dem | |
eigenen Bewertungssystem der Bahn zur Spitzenkategorie, etwa die in Berlin, | |
Köln, Hamburg oder München. Das sind zu Shoppingmalls mit Fressmeile | |
umgebaute Gebäude mit Fahrkarten- und Informationsschaltern. Auch die 87 | |
Bahnhöfe der Kategorie 2 sind noch mit Personal besetzt. Bei den 239 | |
weiteren der Kategorie 3 ist das bereits ungewiss. Von den übrigen mehr als | |
4.000 Bahnhöfen verdienen die meisten diesen Namen nicht. | |
Dabei ist die Bahn ein so wichtiger Teil der Infrastruktur, dass ihre | |
Aufgaben im Grundgesetz festgehalten sind. Als 1994 die westdeutsche | |
Bundesbahn und die ostdeutsche Reichsbahn zusammengelegt wurden, hat der | |
Bundestag das Grundgesetz geändert. „Eisenbahnen des Bundes werden als | |
Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt“, heißt es dort | |
seitdem. | |
## Trotzdem fahren Menschen gerne Zug | |
Die Bahn ist eine Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent dem Bund gehört. | |
Bundesbahn und Reichsbahn waren dagegen Staatsbahnen, die wie Behörden | |
geführt wurden. Klingt unsexy, hatte aber einen Vorteil: Sie mussten keinen | |
Gewinn erwirtschaften. | |
Seit 1994 ist die Bahn dagegen unternehmerisch ausgerichtet und faktisch | |
von der staatlichen Aufgabe der Daseinsvorsorge befreit. Ursprünglich | |
sollten die Aktien an der Börse verkauft werden. Das ist 2008 wegen der | |
Finanzkrise abgesagt worden. Doch schon im Vorfeld ist die Bahn mit Blick | |
auf die erhofften guten Bewertungen von Analysten und Investoren auf | |
Rentabilität getrimmt worden; Personalabbau, Streckenkürzungen, nur die | |
nötigsten Investitionen und kaum Modernisierungen waren die Folge. | |
Obwohl die Bahn deshalb unzuverlässig und das Angebot dürftig ist, ziehen | |
es immer mehr Menschen vor, am Bahnsteig zu warten, statt im Stau zu | |
stehen. Bis 2030 will die Bahn das bisherige Angebot um 25 Prozent | |
auszubauen. Auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht einen | |
drastischen Ausbau vor, 2030 sollen doppelt so viele Menschen mit der Bahn | |
reisen wie heute. Das kann nur funktionieren, wenn die Bahn ihren Kurs | |
grundlegend ändert – ist aber nicht in Sicht. | |
In einem Brief an seine leitenden Mitarbeiter monierte Bahnchef Richard | |
Lutz kürzlich, die Leistungen seien nicht zufriedenstellend, das gelte | |
„gleichermaßen für Wirtschaftlichkeit, Qualität und Pünktlichkeit“. Dann | |
verhängte er eine Ausgabensperre – wegen Schulden in Höhe von 20 Milliarden | |
Euro. Mit noch mehr Sparen sind die Probleme aber nicht in den Griff zu | |
bekommen. Die Bahn ist trotz der Schulden reich. Sie hat im In- und Ausland | |
Tochtergesellschaften, etwa in der Logistikbranche, die sie verkaufen | |
könnte. | |
## Mit Gewinn keine Moderne | |
Doch auch wenn der Börsengang erst einmal von der Tagesordnung genommen | |
wurde, die Bahn wird immer noch in der Logik des Shareholder Value geführt. | |
Für eine moderne Verkehrsinfrastruktur fühlen sich die Manager im Bahntower | |
am Potsdamer Platz in Berlin nicht zuständig. Sie kommen größtenteils aus | |
der Auto-, Luftfahrt- und Finanzbranche. | |
Sie formen aus der Bahn einen gigantischen Konzern, der auf der ganzen Welt | |
Geschäfte macht und dem Wachstum im globalen Logistik- und Speditionswesen | |
wichtiger ist als die Infrastruktur hierzulande. Die Bundesregierung | |
wiederum könnte das ändern, aber außer unverbindlichen Absichtserklärungen | |
kommt nichts von ihr. | |
Das alles zeigt: Wenn der Gewinn das ausschlaggebende Kriterium für eine | |
bessere Infrastruktur ist, findet die Moderne nicht statt. | |
7 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://inside.bahn.de/reisen-zukunft-interview-mathias-haas/ | |
[2] /Gewerkschafter-ueber-Streiks-bei-Ryanair/!5531972 | |
[3] /Bahn-saniert-und-sperrt-Strecken/!5536726 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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