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# taz.de -- Theater über Hetze: Hass mit Hängeschultern
> Arthur Millers „Hexenjagd“ hätte sich für aktuelle Bezüge angeboten. Am
> Thalia-Theater inszeniert Stefan Pucher das Stück über Denunziation
> irritierend historistisch.
Bild: Schrill überzeichnete Figuren in historischen Gewändern: In Stefan Puch…
Hamburg taz | Gerade noch stand er als Angeklagter auf dem meterhohen
Holzturm, hoch oben auf dem Scheiterhaufen. John Proctor und Rebecca Nurse
sollen gehenkt werden. Dann wird die Szene dunkel. Die Abtrünnigen, die
sich angeblich mit dem Teufel verbündet hatten, sind tot.
Doch plötzlich, völlig unvermittelt, taucht Jörg Pohl als John Proctor wie
ein Deus ex Machina wieder auf, aus dem tiefen Schwarz. Der Spot geht an,
direkt auf ihn, er tänzelt, selbstbewusst und singend, die Holzstufen
hinunter. Eine Showtreppe ist das Holzkonstrukt von Bühnenbildnerin Barbara
Ehnes jetzt, Pohl mimt darauf den Rockstar. „There is no God“, singt er
lässig in Mick-Jagger-Manier. Diese Szene versprüht Charisma, Witz und
Ironie. Sie ist verdammt kurz, aber bemerkenswert und grandios – gerade
weil sie so unpassend wirkt in dieser „Hexenjagd“-Inszenierung.
Denn sonst ist der dreistündige Rest des Abends erschreckend nah am
Naturalismus gebaut. Stefan Pucher inszeniert Arthur Millers Stück so werk-
und texttreu, dass es irritiert. Die Schauspielerinnen sind dafür in
sittsame dunkelblaue Kleider gepackt, mit Langarmblusen und weißen Hauben.
Die Kostüme der männlichen Mitspieler erzählen ebenfalls von einer Zeit, in
der ein fanatischer Pfarrer den Kirchgängern noch gottesfürchtigen Respekt
einflößen konnte und in der ein Richter im langen Frack das Recht nach
Belieben in seine Richtung bog. Kostümbildnerin Annabelle Witt fügt ihre
Figurenzeichnung perfekt ein in das Konzept, das sich Pucher für diesen
Abend offensichtlich erdacht hat: Millers Stück so historistisch wie
möglich auf die Bühne zu bringen.
## Hexen-Hysterie
Ein kurze Weile trägt diese Idee auch und man folgt gespannt der starken
Geschichte, die Miller – basierend auf wahren Tatsachen – aus der dunklen
Vergangenheit der US-amerikanischen Stadt Salem erzählt. In dieser
puritanischen Gemeinde, in der Spaß ein Fremdwort ist, kommt es 1692 zu
einer hysterischen Jagd auf vermeintliche Hexen. 200 Menschen müssen wegen
angeblicher Zauberei vor Gericht, 24 davon werden zum Tode verurteilt.
Dabei hatten doch eigentlich nur ein paar Mädchen im Wald getanzt.
Am nächsten Morgen aber liegen einige von ihnen mit seltsamen Symptomen im
Bett. Gut, es war ein Frosch in der Suppe an jenem Abend im Wald, es wurde
Blut getrunken und vielleicht gab es auch eine Geisterbeschwörung. Die
Stadt jedenfalls ist in Aufruhr. Der ortsansässige Priester stellt die
verängstigten Mädchen zur Rede. Doch sie – allen voran Abigail Williams –
beschuldigen andere, schwächere, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
Nah an den historischen Fakten erzählt Miller den Stoff im Jahre 1953 nach
und zeigt mitten in der McCarthy-Ära, mitten in der Kommunistenhetze, dass
die historischen Ereignisse noch immer aktuell sind, wenn Verdacht,
Verschwörung und Verfolgung auf Fake News basieren. Der Bogen zur heutigen
Gegenwart ließe sich leicht schlagen – doch Pucher lässt ihn aus.
Stattdessen inszeniert er den Stoff als konventionelle, fast museale
Nacherzählung, in der das erstklassige Ensemble in großen Teilen des Abends
zum stereotypen Chargenkabinett verkümmert.
## Erklärtexte vom Erzähler
Schrill überzeichnet sind die Figuren, der wuchtige und erregbare
Dorfpriester Reverend Hale wird laut, sobald er den Gottesglauben in Gefahr
sieht. John Proctor mimt – wenn er nicht gerade eine lässige Gesangseinlage
gibt – den verwegenen, schuldbeladenen Bauern mit ausweichendem Blick und
Hängeschultern. Abigail, die leidenschaftliche Anstifterin, gibt die
Entschlossene und Siegessichere, während Proctors Frau Elizabeth sich still
und abgründig in die Opferhaltung fügt.
Bald hasst sich die ganze Dorfgemeinschaft, intrigiert, denunziert und
agiert dabei meist recht manieriert, oftmals schreiend und keifend. Gegen
die aufgeheizte Stimmung kommt auch der hinzugebetene und ruhig
inspizierende Pfarrer und Hexenexperte aus Beverly, Reverend John, nicht
an.
Schließlich windet sich zwischen den Hand- und Wortgemengen schlängelnd ein
mysteriöses, magentafarbenes Plüschtier: Tituba – die/das Fremde –,
gespielt und getanzt von Sylvana Seddig. Später übernimmt Seddig – aus
nicht nachvollziehbaren Gründen und ganz ohne Dringlichkeit – eine
Erzählerrolle. Ganz vorn am Bühnenrand steht sie dann und verankert das
Geschehen mit didaktischen Erklärtexten doppelt in der Historie. Die Rolle
der Tituba stand ihr deutlich besser.
Dann und wann wird die sich zuspitzende Handlung mit Musik, klirrenden
Psalmengesängen und Videos von Waldereignissen so kunstvoll wie künstlich
gesteigert. Doch Aktualitätsbezüge tauchen deshalb noch lange nicht auf.
Es ist irritierend, wie pflichtbewusst ausgerechnet Stefan Pucher Millers
Drama erzählt, wie nonchalant er Meta-Ebenen auslässt, wie schulterzuckend
er auf Gegenwärtiges verzichtet. Nein, es ist nicht nur irritierend. Es ist
ermüdend, belanglos und ärgerlich.
5 Oct 2018
## AUTOREN
Katrin Ullmann
## TAGS
Theater
Denunziation
Hetze
Thalia-Theater
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