| # taz.de -- "Sommernachtstraum" am Thalia-Theater: Die Liebe im Dazwischen | |
| > Stefan Puchers Hamburger Inszenierung des "Sommernachtstraums" erreicht | |
| > stilsicher das selbst gesteckte Ziel eines "Trips zwischen den Welten". | |
| Bild: Zauberhafte Welt der Elfen: Die Drag-Queen Titania (Sebastian Rudolph) un… | |
| HAMBURG taz | Wenn es will, kann sich das Thalia Theater in ein | |
| beeindruckendes Kino verwandeln. Von der Decke hängt dann eine Leinwand, | |
| die es mit denen in Multiplexen locker aufnehmen kann. In | |
| Schwarz-Weiß-Großaufnahmen werden darauf an diesem Theaterabend die | |
| Charaktere eingeführt, die nach der Film-Ouvertüre live auf der Bühne | |
| weitermachen. Es sind Charaktere mit Namen wie Demetrius, Hermia oder | |
| Lysander. Namen, bei denen ein Fluchtreflex einsetzt bei allen Menschen, | |
| die nicht Philosophie, Theaterwissenschaften oder Geschichte studiert | |
| haben. | |
| Aber Lysander in Großaufnahme auf einer Leinwand, das geht. Über das | |
| Mienenspiel Lysanders erfahren die Zuschauer, was los ist: Lysander und | |
| Hermia lieben sich, aber Hermia soll Demetrius heiraten. Der hat ein | |
| Problem damit, dass seine versprochene Ehefrau einen anderen will. Und er | |
| hat seinerseits eine Verehrerin: Helena, eine Freundin Hermias, stellt ihm | |
| nach. | |
| Schon die Ausgangssituation von Shakespeares „Sommernachtstraum“ ist | |
| einigermaßen kompliziert und Regisseur Stefan Pucher macht mit seiner | |
| Filmeinspielung alles richtig: Sein Schwarz-Weiß-Film zitiert das Melodram | |
| der 1930er-Jahre, und das ist nicht nur komisch und sehr gut gemacht, | |
| sondern auch als grundlegende Orientierung wichtig. Schließlich spielt der | |
| „Sommernachtstraum“ in einem Zauberwald, in dem es bald drunter und drüber | |
| geht. | |
| Es treten auf: Ein zerstrittenes Elfenkönigspaar, ein Diener, ein Esel und | |
| eine Truppe Laienschauspieler. Mit Hilfe von Liebeskraut werden die | |
| Liebenden umgepolt, das heißt: Ihre Liebe ändert die Zielperson. So geht es | |
| hin und her und schnell kennt sich keiner mehr aus. | |
| Aus elisabethanischer Sicht ist der „Sommernachtstraum“ erotische | |
| Unterhaltung mit der Erkenntnis, dass die Liebe, zauberhaft wie sie ist, da | |
| hinfällt, wo sie will – unabhängig davon, was die Menschen gerne hätten. Am | |
| Thalia Theater ist der „Sommernachtstraum“ anspruchsvolle Unterhaltung, die | |
| zeigt, wie zauberhaft das Theater sein kann, wenn man seine Mittel | |
| ausnutzt, es um Film und Live-Musik erweitert und hervorragende | |
| Schauspieler hat. | |
| Das Elfenkönigspaar kommt hier aus dem Reich der Sado-Maso-Szene, die | |
| Königin ist eine entrückte SM-Drag-Queen und der König ein bodenständig | |
| beleibter Leder-Kumpel. Immer wieder bringen atmosphärisch dichte, | |
| traumhafte Filmsequenzen den Hardcore-Underground nahe, während sich die | |
| vier liebenden Menschenwesen zwischen 80er-Jahre-Kostümen, überzeichneter | |
| Stummfilm-Theatralik und Biedermeier-Attitüde nicht verorten lassen. | |
| Hinzu kommt der Auftritt der Studio Braun-Komiker Rocko Schamoni und Heinz | |
| Strunk, die die Laienschauspieler geben und der dunklen SM-Erotik | |
| Dada-Klamauk entgegensetzen: „Ich werde eine Wand spielen, an der die | |
| Poesie Blasen schlagen wird“, sagt Schamoni, der eine Wand spielt. | |
| Eine lange Zauberwald-Szene strickt Regisseur Pucher um eine Videoleinwand | |
| herum. Auf der läuft eine Projektion, die vorgibt, von den Schauspielern | |
| betreten werden zu können: Die Schauspieler steigen zwischen Bühne und | |
| Leinwandprojektion hin- und her, als wären sie übernatürliche Wesen. Eine | |
| andere Szene parodiert eine Theateraufführung als Kinderfasching. Und | |
| dazwischen gibt es immer wieder meist düstere Rockmusik, zu der die | |
| SM-Drag-Queen bedeutungsschwanger singt. | |
| Das Stück ist das dritte in Puchers Reihe „Trip zwischen den Welten“, in | |
| der er sich zuvor dem Dichter Hans Christian Andersen und der Figur Don | |
| Quichotte gewidmet hat. Beim „Sommernachtstraum“ besteht dieser Trip | |
| wiederum aus einem Trip zwischen den Gestaltungsmitteln: Der | |
| Film-Musik-Comedy-Klassiker-Mix nutzt die Shakespeare-Vorlage als Rahmen | |
| für die Aufgabe, das richtige Mischungsverhältnis für einen schlauen und | |
| zugleich unterhaltsamen Theaterabend zu finden. Das ist Pucher gelungen. | |
| Über die Liebe ist damit aber nicht viel gesagt. Nur, dass sie in allen | |
| möglichen Welten vorkommt – und auch beim Trip dazwischen. | |
| 27 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Irler | |
| Klaus Irler | |
| ## TAGS | |
| Theater | |
| Thalia-Theater | |
| Drama | |
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