# taz.de -- Nach Chemnitz: Auf Köthens Straßen | |
> Nach einem Todesfall in Sachsen-Anhalt mobilisieren rechte bis | |
> rechtsextreme Gruppen nach Köthen. Viele, die mitlaufen, sind | |
> organisierte Nazis. | |
Bild: Rund 2.500 Menschen nahmen an dem sogenannten Trauermarsch teil | |
KÖTHEN taz | Als sich am Sonntagabend gegen 19 Uhr der sogenannte | |
Trauermarsch in Köthen in Bewegung setzt, hat die Polizei die – vorläufigen | |
– Ergebnisse aus dem Obduktionsbericht bereits mitgeteilt. Der Mann, 22, | |
ein Deutscher, der in der Nacht zu Sonntag [1][nach einer | |
Auseinandersetzung mit zwei afghanischen Männern in Köthen starb], so heißt | |
es da, sei „einem akuten Herzversagen erlegen, das [2][nicht im direkten | |
kausalen Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen] steht.“ | |
Das kann vieles heißen – oder gar nichts. | |
Mit den „erlittenen Verletzungen“, damit ist gemeint: Mit den Verletzungen, | |
die ihm mutmaßlich ein 18- sowie ein 20-jähriger Mann – beide laut Polizei | |
afghanische Staatsbürger, Asylbewerber, beide inzwischen in | |
Untersuchungshaft – zuvor zugefügt haben könnten. Dies, so teilt die | |
Polizei mit, sei der Stand nach „einem ersten, mündlich übermittelten | |
Obduktionsergebnis.“ | |
Was genau sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf einem Spielplatz in | |
Köthen, Sachsen-Anhalt, zugetragen hat – das ermittelt die Polizei derzeit | |
noch. | |
Köthen ist das neue Chemnitz | |
Zu diesem Zeitpunkt, am Sonntagnachmittag, ist Köthen bereits fast zu einer | |
neuen Metapher geworden, glaubt man den Beiträgen, die im Internet die | |
Runde machen. In rechten und rechtsextremen Gruppen, via WhatsApp und | |
Facebook, wird bereits dazu aufgerufen, in die Kreisstadt in Sachsen-Anhalt | |
zu kommen; [3][so wie vor zwei Wochen, in Chemnitz]. | |
Als der „Trauermarsch“ am Sonntagabend beginnt, sind mehrere hundert | |
Menschen dem Aufruf gefolgt, zahlreiche aktive und ehemalige NPD-Aktivisten | |
sind in Köthen versammelt, viele Männer, die Freien Kameradschaften | |
angehören, auch Angehörige der Neonazi-Partei „Die Rechte“ haben zu der | |
Demonstration aufgerufen. Einige tragen T-Shirts mit der Aufschrift | |
„Division Sachsen-Anhalt“, auf anderen T-Shirts steht „Legion Nord Thor | |
Steinar“. Auf dem Rücken eines Mannes in einem roten Pullover steht | |
„Volksgemeinschaft. Einer für alle, alle für einen. Familie, Volk und | |
Vaterland.“ | |
Es sind sicher nicht nur organisierte Neonazis, die hier, zunächst | |
schweigend, mitlaufen. Aber viele derjenigen, die hier mitlaufen, sind | |
organisierte Neonazis. Auch als sie am Spielplatz in der Franzstraße | |
ankommen, wo in der Nacht zuvor die Auseinandersetzung stattfand, sind sie | |
still. Die meisten schweigen. | |
Erst als um 20 Uhr ein Mann namens David Köckert, im Gesicht stark | |
tätowiert, zum Mikrofon greift, ändert sich die Stimmung, mit einem mal. | |
Köckert ist Gründer der extremistischen Thügida-Bewegung in Thüringen | |
gewesen, ehemaliger NPD-Kader, Stadtrat in Greiz, eigens angereist heute, | |
wie einige andere Neonazi-Kader auch, die ebenfalls nicht aus Köthen | |
stammen. Köckert schreit jetzt, er hetzt, im wahrsten Sinne des Wortes. | |
„Ein Rassenkrieg gegen das deutsche Volk“ | |
Köckert wird nun sagen, dass es nichts nützt, nur zu demonstrieren, | |
„rumzublöken“, wie er sagt. Dass es nichts nützt, nur „Dampf abzulassen… | |
Er sagt: „Das einzige, was diese Scheiß-Biep-Kunden verstehen, ist wenn man | |
sie zuhause stellt, wenn man vor ihren Türen auf sie wartet. [4][Wenn sie | |
genau das wiederbekommen, was sie uns zumuten, und zwar Auge um Auge, Zahn | |
um Zahn].“ | |
Da klatschen die, die drumrumstehen. | |
Köckert wird vorrechnen, dass „die Weißen“ weltweit zurückgedrängt werd… | |
er wird sagen, dass sie sich wehren müssten. Köckert, wie er so dasteht | |
eigentlich eine bemitleidenswerte Erscheinung, wird sagen: „Und zwar ist es | |
Krieg und das kann man wirklich so sagen. Ein Rassenkrieg gegen das | |
deutsche Volk, was hier passiert und dagegen müssen wir uns wehren. Wollt | |
ihr weiterhin die Schafe bleiben, die blöken, oder wollt ihr zu Wölfen | |
werden und sie zerfetzen?“ | |
Da klatschen sie wieder. Es ist die klassische Sprache eines | |
Volksverhetzers; vorbestraft übrigens – wegen Volksverhetzung. Aber die | |
Polizei schreitet nicht ein. Die Menge, die um ihn herum steht, jubelt und | |
klatscht, wie er so spricht. | |
2.500 Demonstranten | |
In der ersten Reihe stehen vor allem Männer, im klassischen Gestus des | |
Nazihooligans; aber auch einige Frauen. Es werden noch einige weitere | |
Redner folgen, Männer stets, und wiederholt werden sie hier „zum offenen | |
Mikrofon“ rufen, in der Hoffnung, dass auch Köthener selbst sich zu Wort | |
melden, doch das geschieht zunächst nicht. Dann, ganz am Ende, meldet sich | |
eine junge Frau, die sagt, sie sei 23 Jahre alt und aus Köthen und sie | |
sagt, in Richtung Journalisten: „Ihr sollt Euch mit Euren scheiß Kameras | |
verpissen. Wir brauchen Euch hier nicht.“ | |
Als sich schließlich die Demonstration erneut in Bewegung setzt, ist es | |
eine wütende, rufende Menge. Meist sind es Männer, die skandieren | |
„Deutschland den Deutschen, wir sind das Volk“ oder „Kriminelle Ausländer | |
raus“. Die Polizei, die stark in der Stadt präsent ist, mit Einsatzkräften, | |
die etwa aus Göttingen und Dresden zur Verstärkung gekommen sind, begleitet | |
die Demonstration. | |
Am Ende des Abends wird die Polizei mitteilen, dass sich 2.500 | |
Demonstranten an der Demonstration in der 26.000-Einwohner-Stadt beteiligt | |
haben. Die Gegendemonstration, spontan ins Leben gerufen vom Bündnis | |
„Dessau Nazifrei“, zählte nach Polizeiangaben 200 Teilnehmerinnen und | |
Teilnehmer, die teils aus Berlin angereist waren. Diese reisten unter | |
Polizeischutz ab, herauseskortiert aus der Stadt, vielleicht, um nicht den | |
Wölfen zu begegnen. | |
10 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Streit-in-Sachsen-Anhalt/!5534126 | |
[2] http://www.presse.sachsen-anhalt.de/index.php?cmd=get&id=897276&ide… | |
[3] /Faktenlage-nach-Maassens-Behauptung/!5531208 | |
[4] https://twitter.com/martinkaul/status/1038840200493858817 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Anna Lehmann | |
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