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# taz.de -- Pastor Wolfram Hädicke über Köthen: „Inne halten“
> In Köthen stellt sich die St. Jacob Kirche gegen den Hass. In einer ihrer
> Einrichtungen wurden die möglichen Täter der tödlichen Auseinandersetzung
> betreut.
Bild: Gedenken an den verstorbenen Markus B. in Köthen: „Du lebst in unseren…
Herr Hädicke, als Sie von dem [1][tragischen Tod von Markus B.] hörten, was
waren ihre ersten Gedanken?
Wolfram Hädicke: Oh je, dachte ich. Meine Gedanken waren bei der Familie
von Markus B., aber auch gleich war die Sorge da, was nun [2][auf uns zu
rollen könnte]. Die Geschehnisse in Chemnitz waren mir mehr als eine
Warnung.
Die mutmaßlichen Täter waren in einer Einrichtung in ihrer Trägerschaft?
In den vergangenen Jahren hatten wir sechs jugendliche Flüchtlinge aus
Afghanistan bei uns im Kinder- und Jugendhilfezentrum „Arche“ aufgenommen.
Das Jugendamt hatte sich an uns gewendet, um unbegleitete jugendliche
Flüchtlinge aufzunehmen. Das Miteinander zwischen den Jugendlichen und den
Mitarbeitern lief ohne große Reibungen, das waren fast Musterschüler,
freundlich, lerninteressiert und zuvorkommend. Mit diesen positiven
Erfahrungen nahmen wir auch gerne wieder Jugendliche aus Afghanistan auf,
als das Jugendamt fragte. Zu dieser Gruppe gehörten die beiden jetzt
Inhaftierten und der Geflüchtete. Und ich muss sagen, diese Gruppe war
wesentlich schwieriger.
Was meinen Sie mit der Formulierung?
Im Miteinander traten schnell Probleme auf. Sie hielten sich an keine
Regeln, zeigten insbesondere keinen Respekt vor den Mitarbeitern, es kam zu
Gewalttätigkeiten. Später waren auch Drogen im Spiel. Polizeieinsätze waren
die Folge. Im Raum stand zudem, dass einer ein Gefährder sein sollte.
Wie reagierte Ihre Einrichtung?
Wir versuchten, an die einzelnen in dieser Gruppe besser heranzukommen. Wir
überlegten, welche Traumatisierungen sich hier vielleicht auswirken, welche
psychologische Problematik vorliegen könnte oder ob eine Steuerung von
anderen Personen im Hintergrund dieses Verhalten hervorrief. Interne
Fortbildungen zu Radikalisierungsprozessen fanden auch statt. Ich
befürchte, dass wir sie trotz aller Mühe unserer hoch engagierten
Mitarbeiter nicht erreichten. Im Nachhinein habe ich sie auch immer eher
als Gruppe und weniger als einzelne wahrgenommen. Aber all diese Aspekte
müssen auch nicht automatisch zu so einer Gewalt führen.
Seit Sonntag richten Sie in der St. Jacobs Kirche Friedensgebete aus. Wer
kommt zu Ihnen?
Nicht bloß gläubige Menschen kommen. Die Kirche scheint für viele gerade
jetzt ein Ort des Beisammenseins zu sein, um zu gedenken, inne zu halten
und auch nachzudenken. Der Gottesdienst beginnt mit Orgelmusik und einem
Psalm, dann kann wer mag nach vorne gehen und eine Kerze anzünden und dann
folgt ein Gebet. Beim letzten Gebet dauerte das Kerzenanzünden eine halbe
Stunde – so groß war der Zuspruch. Vielleicht darf man die Teilnehmer als
Zivilgesellschaft von Köthen bezeichnen, die auch einen Ort zum Trauern
suchen und hierfür nicht auf Aufmärsche gehen möchten.
Gestern Abend haben Sie eine „Erklärung“ abgegeben?
Wir wollten damit auch Gerüchten entgegenwirken, weil in der Öffentlichkeit
bekannter wurde, dass einer der Täter bis vor vier Monaten bei uns war und
der andere Täter bis vor einem Jahr. Ich habe da ganz offen die Probleme
mit diesen Personen benannt, aber auch die positiven Erfahrungen mit den
andere Geflüchteten.
Sie haben auch Geld für die Familie von B. gesammelt.
Ja, wir möchten auch für die Familie da sein. Das gesammelte Geld soll für
die Bestattung sein.
Hat sich die Stimmung in der Stadt geändert?
Wenn ich durch die Stadt gehe, erlebe ich keine atmosphärische Veränderung.
Doch wenn die Aufmärsche laufen, spürt man die Gewalt und den Hass. Viele
Köthener haben da Angst. Die Mehrheit in der Stadt scheint aber eher
unberührt.
Und in Ihrem direkten Umfeld?
Die Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, sind stark
betroffen. Bis zu jenem Abend lief die Integration von Flüchtlingen in
Köthen dank dieses Engagement so gut, dass der Bundespräsident diese Arbeit
von „Willkommen in Köthen – Weltoffen und bunt“ auszeichnete. Sie fürch…
nun, dass der rassistische Resonanzboden in der Stadt mehr Zuspruch finden
könnte. Diese Sorge haben auch die Flüchtlinge. Sie haben Angst, dass das
auf sie zurückfällt und sie haben eine Wut auf die Täter.
Werden Sie angefeindet?
Die üblichen Wutbotschaften kamen. Der Jugendpfarrer wurde schon stärker
angegangen.
Am Sonntag erfolgt ein weiterer Aufmarsch des rechten Spektrums …
… aus den Grund werden wir am Samstag den Marktplatz und die umliegenden
Straßen mit Friedensbotschaften verzieren.
16 Sep 2018
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## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Köthen
Rechte Gewalt
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Polizei Sachsen
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