# taz.de -- Andreas Lösche über Rassismus: „Der Kontext ist die Katastrophe… | |
> Das Bild seiner ermordeten Schwester Sophia Lösche wird von Rechten | |
> instrumentalisiert. Jetzt hat der Politiker Anzeige gegen die AfD | |
> erstattet. | |
Bild: Die Meinung der Angehörigen und Verstorbenen interessiert rechte Demonst… | |
Die Veranstalter eines sogenannten Trauermarsches in Chemnitz am 1. | |
September dieses Jahres sollen sich vor Gericht verantworten. Das findet | |
Andreas Lösche, Grüner Kreisrat aus Bamberg. Im Rahmen der Kundgebung | |
hatten Demonstranten neben anderen Fotos von Kriminalitätsopfern im | |
Großformat auch das Bild von Lösches Schwester Sophia vor sich hergetragen. | |
Sophia war im Juni mutmaßlich von einem marokkanischen Lkw-Fahrer ermordet | |
worden. | |
taz: Herr Lösche, Sie haben Anzeige erstattet gegen die AfD Chemnitz, gegen | |
Björn Höcke und gegen unbekannt: also gegen alle, die Sie dafür | |
verantwortlich machen, dass das Bild Ihrer Schwester in Chemnitz gezeigt | |
und vereinnahmt wurde. Warum gegen genau die? | |
Andreas Lösche: Die Chemnitzer AfD war offensichtlich der Veranstalter | |
dieses sogenannten Trauermarsches. Björn Höcke als Mitveranstalter, der da | |
auch vorne mit dabei war, genauso wie Lutz Bachmann. Und dann geht es gegen | |
die Träger der Plakate. | |
Welche Straftat werfen Sie dieser Gruppe vor? | |
Das ist die widerrechtliche Verwendung eines Bildes. Wenn ein Bild von der | |
Polizei zur Fahndung benutzt wird, ist es frei verwendbar, zum Beispiel von | |
den Medien. In dem Moment, in dem das Opfer gefunden wird und der Täter | |
dingfest gemacht wird, erlischt dieses Recht. Dass das Bild verwendet | |
wurde, fände ich noch nicht einmal so schlimm, wenn es in einem anderen | |
Kontext wäre. Der Kontext ist die Katastrophe. Ihr Bild wird für etwas | |
verwendet, was ihrer Haltung zu 100 Prozent entgegensteht. | |
Um welche Veranstaltungen geht es? | |
Jetzt erst einmal nur um Chemnitz. Bei der Pegida-Demo am 3. September in | |
Dresden haben die das Gleiche wieder gemacht. Wir überlegen, ob wir das | |
noch gesondert anzeigen. Außerdem geht es nicht nur um diese Veranstaltung, | |
sondern auch darum, dass Höcke und Bachmann das Bild fleißig in sozialen | |
Medien gepostet haben. Davon haben wir Screenshots. | |
Haben Sie damit gerechnet, dass das Bild bei rechten Kundgebungen gezeigt | |
wird? | |
Am Anfang war ich ziemlich fassungslos. Ich wusste schon im Juni, als | |
irgendwann klar wurde, dass es ein marokkanischer Lkw-Fahrer ist: Das ist | |
das perfekte Fressen für die Rechten. Das war kein Migrant, er war auf dem | |
Weg nach Hause, nach Marokko. Da hätte Merkel 2016 machen können, was sie | |
will, der wäre so oder so gefahren. Sophia ist nicht das Opfer eines | |
Flüchtlings oder eines Einwanderers. Aber was nicht passt, wird passend | |
gemacht. Höcke hat im August angefangen, sie in seinen Reden durch den | |
Dreck zu ziehen. Und trotzdem wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass | |
sie da 21 Leute auf Plakaten durch die Gegend tragen würden. Wir können uns | |
das nicht gefallen lassen. Auf keinen Fall. | |
Sie haben den Rechten ja von Anfang sehr aktiv und laut widersprochen. Was | |
kamen da für Reaktionen? | |
Unser erster Widerspruch war eine Reaktion darauf, dass wir gesehen haben, | |
was in den sozialen Netzwerken passiert und welche Kommentare unter den | |
Artikeln stehen. Teilweise Hunderte, das meiste alles andere als schön, | |
nach dem Motto „Selbst schuld“. Dann ging es auch direkt mit E-Mails von | |
Fake-Accounts los. Wüste Beschimpfungen. Wir haben die Zeitungen um einen | |
sensiblen Umgang mit dem Thema gebeten, in der Hoffnung, dass die | |
Kommentarspalten deaktiviert werden. Damit war die Hetze erst einmal | |
ausgebremst. Das heißt, dann ging es nur noch direkt oder über Twitter. Das | |
ist in dem Moment aber auch abgeflacht, weil es uns gelungen ist, diese | |
Bühne abzuschaffen. | |
Als Politiker sind Sie eine öffentliche Person. Wie viel kam direkt bei | |
Ihnen an? | |
Vor allem E-Mails oder Nachrichten via Messenger. Da kam schon einiges. | |
Aber in der Regel von Fake-Accounts. Das hat sich dann relativ schnell | |
beruhigt. Vielleicht weil sie gemerkt haben, ich reagiere auf so etwas | |
nicht. Das ist meistens die beste Reaktion. Dann wird es ihnen zu | |
langweilig. Es waren aber schon ein paar Hundert Hassmails. Du hast es da | |
mit Leuten zu tun, die jedweden Anstand verloren haben. Die haben keinen | |
Respekt vor dem Opfer und keinen Respekt vor der Wahrheit. Sie lügen, sie | |
missbrauchen einen Fall, verdrehen ihn inhaltlich ins komplette Gegenteil … | |
Ich will mit solchen Leuten auch nichts zu tun haben. | |
Sie setzen sich dem aber nun ja weiter aus. | |
Ja. Das muss ich schon im Namen meiner Schwester machen. Sie hätte das auch | |
gemacht. Sie hätte auf keinen Fall gewollt, dass sie von irgendwelchen | |
Rechten durch den Dreck gezogen wird. Ich habe das Gefühl, dass mir gar | |
nichts anderes übrig bleibt. Das können wir uns und auch ihr nicht gefallen | |
lassen. Man tut ihr damit ja wieder Gewalt an. Und das sind die, die | |
angeblich die deutschen Frauen beschützen wollen. Sie tun das Gegenteil. | |
Sie haben der Presse gesagt, alles, was ermittelt wurde, kam von | |
Angehörigen und Freunden. Das war Ende August. Würden Sie das heute genauso | |
sagen? | |
Einhundert Prozent der Ermittlungsergebnisse, die dazu geführt haben, den | |
Täter zu finden, sind auf die Arbeit der Angehörigen zurückzuführen. Das | |
ist Fakt. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir durch den Kontakt mit der Spedition | |
den Standort des Fahrers ausfindig gemacht haben, hat die deutsche Polizei | |
praktisch nichts getan. Die haben sich noch gestritten, ob Sachsen oder | |
Bayern zuständig ist. Wenn wir das nicht aus lauter Verzweiflung selbst in | |
die Hand genommen hätten, hätten wir vermutlich nie eine Leiche gefunden | |
und nie einen Täter. Die wären ja noch nicht einmal nach Schkeuditz zu der | |
Tankstelle gefahren und hätten sich die Videobänder angeschaut. | |
Haben Sie das Gefühl, dass die Sache bei der Polizei intern aufgearbeitet | |
wird? | |
Es gab bis heute zumindest nicht den Punkt, wo man sich bei uns | |
entschuldigt hat. Insofern kann ich nicht beobachten, dass eine | |
Aufarbeitung passiert. Die Innenminister von Sachsen und Bayern haben beide | |
ein Schreiben mit dem Protokoll der ersten vier Tage von mir bekommen. | |
Darin steht auch, dass die Polizei zu uns gesagt hat, sie unternehme erst | |
einmal nichts. Auf dieses Schreiben habe ich bis jetzt | |
Eingangsbestätigungen erhalten. In Sachsen kam die von der Beschwerdestelle | |
der Polizei Sachsen. Das heißt, genau die Leute, die es zu kontrollieren | |
gilt, sollen mir jetzt antworten. | |
Die Polizei argumentierte damals mit der Statistik: Die meisten vermissten | |
Personen würden wiederauftauchen. | |
Nein. Es gab keine Argumentation der Polizei. Man hat einfach nichts | |
gemacht. Ich behaupte, und dabei bleibe ich, man hat uns am Anfang nicht | |
richtig zugehört. Man hat das einfach als Routinefall abgeheftet. Dabei war | |
der Fall klar: Eine Tramperin steigt in einen Lkw, schreibt noch: Sitze | |
beim Marokkaner Bob auf dem Truck. Dann geht das Handy aus, und sie kommt | |
nie beim Geburtstag ihres Vaters an. Mein Vater hat gesagt, ich werde meine | |
Tochter nie wiedersehen. Ich habe gesagt, Sie müssen zu 99 Prozent von | |
einem schweren Gewaltverbrechen ausgehen. Die Reaktion darauf war, sie als | |
vermisst ins System einzugeben. Es hat keine aktive Suche stattgefunden. | |
Stehen Sie denn auch in Kontakt mit Angehörigen anderer Opfer, die in | |
Chemnitz auf den Plakaten zu sehen waren? | |
Nein. Es könnte höchstens sein, dass ich es nicht weiß. Während der letzten | |
Monate haben mich öfter Angehörige von Opfern von Gewalttaten kontaktiert. | |
Die haben mir unisono geschrieben: Verlassen Sie sich bloß nicht auf die | |
Polizei. Bis die anfangen zu laufen, ist eh alles zu spät. Und Zeit ist der | |
wichtigste Faktor. Dass die Polizei das nicht versteht, ist mir | |
schleierhaft. | |
Gab es für Ihre Arbeit ein Vorbild, einen Plan? | |
Nur die reine Verzweiflung. Und die Hoffnung, sie vielleicht doch noch | |
irgendwie … Obwohl uns das eigentlich allen klar war. In der hoffnungslosen | |
Situation klammerst du dich trotzdem an den dünnsten Strohhalm. Also haben | |
wir gesucht, was das Zeug hält, online, in Teams, im Wald, Fährlinien | |
informiert, falls der Lkw auftaucht … | |
Hat diese Erfahrung Ihr Bild von der Polizei verändert? | |
Es wurde schwer erschüttert. Ich habe kein Vertrauen mehr in diese Truppe. | |
Was mich am meisten ärgert, ist, dass es niemand gibt, der den Arsch in der | |
Hose hat, sich hinzustellen und zu sagen, es tut uns leid. Sophia war in | |
unseren Augen nie ein Vermisstenfall. Es gab vom ersten Moment den Verdacht | |
eines schweren Gewaltverbrechens. | |
Es gibt viele Menschen, die Sophia selbst oder Sie als Politiker der Grünen | |
verantwortlich machen. Was sagen Sie denen? | |
Bis jetzt gar nichts. Wenn ich etwas sagen müsste, würde ich sagen, die | |
Argumentation ist Unsinn. Mir wird vorgeworfen, Sophia sei ein Opfer der | |
Migrationspolitik, die von den Grünen unterstützt würde. Dieser Lkw-Fahrer | |
wäre so oder so diese Strecke gefahren. Er ist kein Migrant. Er könnte | |
genauso aus Polen, Österreich, Deutschland kommen. Insofern ist die | |
Behauptung, dass unsere Politik etwas mit dem Tod meiner Schwester zu tun | |
hat, vollkommener Schwachsinn. Das wäre das, was ich sagen würde. Ich führe | |
aber keine Twitter-Diskussionen, das ist sinnlos. Wenn es mal in einem | |
bestimmten Kreis die Gelegenheit gäbe, würde ich es vielleicht machen. | |
Wobei ich nicht der Meinung bin, dass man der AfD zu viel Platz einräumen | |
sollte. Das ist genau der Fehler, den wir in diesem Land seit Jahren | |
machen. | |
18 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Thamm | |
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