# taz.de -- Kommentar Helene Fischer und Chemnitz: Sie ist mehr | |
> Helene Fischer spricht sich „gegen Fremdenfeindlichkeit“ und für | |
> #wirsindmehr aus. Gut, dass der Protest gegen rechts die linke Nische | |
> verlässt. | |
Bild: Ist 'ne Gute: Helene Fischer | |
[1][Laut und schön war es Montagabend in Chemnitz] – mehr als 60.000 | |
Menschen kamen in die Stadt, in der ein Nazimob Tage zuvor alles, was nach | |
deutsch-völkischer Sichtweise irgendwie ausländisch aussah, bedrohte und | |
verfolgte – und zwar sehr konkret, wie Fernsehbilder belegen konnten und | |
können. [2][Kraftklub, Trettmann, Campino, Feine Sahne Fischfilet und | |
K.I.Z. traten auf] und versicherten, sich den Zumutungen der Rechten nicht | |
ergeben zu wollen. | |
Und zugleich war es auch ein bisschen beängstigend: Hat das popästhetische | |
Bündnis gegen rechts und für ein buntes Deutschland nicht für mehr | |
gereicht? Wo waren denn jene Held*innen etwa des Schlagergeschäfts, die man | |
doch bitte auch um Positionierung zu bitten hätte? Wolfgang Niedecken von | |
BAP erklärte, intellektuell durchaus fragwürdig, selbst wenn sie zugesagt | |
hätte, nämlich Helene Fischer, hätte es nicht gepasst. | |
Ja, warum eigentlich nicht? Denn Helene Fischer hat nun beim (natürlich | |
ausverkauften) Konzert in Berlin keinen Zweifel gelassen, wo sie steht: | |
„Erhebt gemeinsam mit mir die Stimmen gegen Gewalt, gegen | |
Fremdenfeindlichkeit!“, rief sie ihrem Publikum entgegen | |
Schon vor dem Auftritt hatte sie bei Instagram geschrieben: „Wir können und | |
dürfen nicht ausblenden, was zurzeit in unserem Land passiert, doch wir | |
können zum Glück auch sehen, wie groß der Zusammenhalt gleichzeitig ist – | |
das sollte uns stolz machen. Musik als Zeichen der Verbundenheit und immer | |
ist es Liebe, die gewinnt. Ich freue mich darauf, heute mit euch dieses | |
Zeichen zu setzen! #wirbrechendasschweigen #wirsindmehr #schreiteslaut | |
#liebe #peace.“ | |
Nur Opportunismus? | |
Okay, das klingt jetzt durch die Entertainerin nicht gerade wie ein aus den | |
Grüften der linksszeneastischen Kreise geborenes Statement, aber, eingedenk | |
des Publikums, das auf Helene Fischer schwört wie auf keine Zweite, ist es | |
an Klarheit nicht zu übertreffen: Die Fischer, gelernte Musicalsängerin, | |
durch Lieder wie „Atemlos“ die Kirsche auf der Torte des | |
Selbstverständnisses der gesellschaftlichen Mitte, weiß, dass es inzwischen | |
um mehr geht als ein paar zu managende Probleme um das Dasein von | |
Flüchtlingen in Deutschland. Sie weiß selbst, als gebürtige Kasachin ebenso | |
migrantisch geprägt wie viele Millionen ihrer Fans, was sich gehört: | |
Lebensweltliches Einverständnis mit ihrem Land, das so bunt ist, wie es die | |
Rechten – von Nazis bis AfD – gern abgeschafft wünschen. | |
[3][Ihr jetzt vorzuwerfen, ihre Stellungnahme komme zu spät] oder sei gar | |
durch ihr Management diktiert, weil opportun, hat den Charakter von | |
gedankenschwacher Infamie. Gerade Musiker*innen mit „linker“, jedenfalls | |
nicht rechter Haltung zur Welt kultivieren ihr Linkssein auch für den | |
Markt: Als Mitte der 80er Jahre deutsche Musiker*innen der | |
Bob-Geldof-Konzerte um „Live Aid“ nachzuahmen suchten, waren deutsche | |
Schlagerstars ausgegrenzt. Man wollte unter sich bleiben, Grönemeyer, | |
Lindenberg, Nena, Niedecken, eben die einschlägig Bekannten. Außer Gitte | |
Haenning war niemand akzeptabel. Man wollte ästhetistisch kein echtes | |
Popprodukt als politischen Marker lancieren, sondern sich selbst als | |
Kulturlinke profilieren. Sie alle standen, um ihren deutschen Beitrag zum | |
Live-Aid-Projekt glaubwürdig zu machen, dann doch „Nackt im Wind“: ein | |
hübsch klingendes, sentimentales Schnöselschnulzlein, das sich von den | |
gesellschaftlichen Tiefebenen inklusive Schlager abgrenzte. | |
Und heute? Wirklich Anti-AfD-artig ist Roland Kaiser, der sein Publikum | |
provoziert mit deutlichen Ansagen. In Dresden. Vor Zehntausenden von | |
Menschen, von denen vermutlich viele irgendwie Pegida und AfD nicht schlimm | |
finden. Ein echtes Bündnis für demokratische Vielfalt, für ein „buntes“ | |
Deutschland und #wirsindmehr setzt darauf, gerade jene zu inkludieren, die | |
man geschmäcklerisch doch gern außen vor lässt: Helene Fischer, Stefanie | |
Hertel, Andrea Berg und wie sie alle heißen, die man in Caffè-Latte-Häusern | |
nicht hört, aber in jenen Umfeldern, die so gern für die gesellschaftliche | |
Mitte gehalten werden. | |
Ein Bündnis im Pop mit sich selbst – das ist wie die „Sammlungsbewegung“ | |
von Sahra Wagenkecht: Predigten an die schon bekehrte Gemeinde. | |
Man möchte besser sagen: Jede*r, der sich der Vergiftung der | |
gesellschaftlichen Atmosphären verweigert, ja, ihr eine Antwort gibt, ist | |
willkommen. Feine Sahne Fischfilet, darf man anfügen, haben für solche | |
Allianzen schon immer ein weites Herz gehabt. Helene Fischer – das ist eine | |
Gute. | |
5 Sep 2018 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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