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# taz.de -- Kommentar Kretschmer und Chemnitz: Sächsische Semantik
> Der Landeschef schnürt „Mob“, „Hetzjagd“ und „Pogrom“ zusammen u…
> stempelt Fake News drauf. Er bestärkt damit jene, die „Lügenpresse“
> rufen.
Bild: Plötzlich international bekannt: Karl-Marx-Monument in Chemnitz
„Der Mob diskutiert nicht. Er weiß, was er will. Wohin er will. Er baut
sich vor seinem Ziel auf und lässt seine Wut anschwellen. Er nährt sich mit
Schaulustigen, die sich an seiner Hitze wärmen. Dann werden aus 10 Menschen
schnell 20, aus 20 werden 40, und am Ende sind es 80. Der Mob feuert seine
mutigsten Mitglieder an, um sie später wieder aufzunehmen, in seine
schützende Anonymität.“
Dieser Einstieg stand [1][2007 in einer Gerichtsreportage der taz] – es
ging um die Attacke auf acht Inder, die eine Menge in der sächsischen
Kleinstadt Mügeln verfolgte. In einem Prozess, den ein Amtsrichter
akribisch leitete, wurde die Tat rekonstruiert, kurz: Sachsens Justiz weiß,
was ein Mob ist.
Die Definition von damals trifft die Bilder aus Chemnitz. Man erkennt sie
wieder in den Fernsehbildern und Korrespondentenberichten des Montagabends,
nur dass da Tausende durch die Stadt liefen; manche zeigten den Hitlergruß,
andere warfen Flaschen, wieder andere provozierten Polizisten. „Wir sind
Adolf-Hitler-Hooligans“, wurde gegrölt. Die Menge applaudierte. Man erkennt
den Mob auch in den Bildern, die einen Tag vorher gemacht wurden, am
Sonntag, beispielsweise, [2][das ZDF hat sie jetzt gezeigt]: Wütende
Menschen laufen durch die Stadt: „Elendes Viehzeug!“,„Das ist unsere
Stadt!“, „Für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer!“
Aber nun hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer vor dem Landtag
gesagt. „Klar ist: Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein
Pogrom.“
Tatsächlich steht Pogrom für etwas anderes, der Begriff wurde im
Zusammenhang mit antisemitischen Übergriffen in Russland Ende des 19.
Jahrhunderts bekannt. Als SA-Horden in der Nacht vom 9. auf 10. November
1938 in Deutschland brandschatzten und mordeten, ging dies als
Novemberpogrom in die Geschichte ein. Der Begriff sollte nicht inflationär
gebraucht werden. Und Hetzjagd? Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den
Begriff verwendet – und jetzt ihre Position nochmal bekräftigt. Der
Chefredakteur der Chemnitzer Freien Presse, die in den vergangenen Tagen
großartig gearbeitet hat, [3][schrieb, seine Reporter hätten Jagdszenen
beobachtet, aber keine Hetzjagd, die voraussetze, dass Menschen andere
länger vor sich hertrieben]. In der Frage, ob gehetzt oder gejagt worden
ist, liegt allerdings auch Zynismus. Wer um sein Leben rennt, hat keine
Zeit für semantische Rätsel. Trotzdem sollte man genau prüfen, was man weiß
und wie man es beschreibt, auch wir.
Genauigkeit ist aber das, was Kretschmer fehlt. Er schnürt aus den drei
Begriffen ein Paket, haut einen Fake-News-Stempel drauf und adressiert es
an jene Chemnitzer, die sich im Verteidigungsreflex empören. Merkel und die
Lügenpresse waren’s: sagt sogar Kretschmer – so oder so ähnlich. Der
CDU-Politiker will Leute zurückholen in die Demokratie, als deren größte
Gefahr er den Rechtsextremismus benennt. „Wir müssen die Menschen zu
Verbündeten machen“, hat er gesagt.
Aber bitte nicht sich zum Verbündeten der Rechten.
6 Sep 2018
## LINKS
[1] /Pogrom-Prozess/!5190417
[2] https://www.zdf.de/politik/frontal-21/chemnitz-hetze-luegen-und-geruechte-1…
[3] https://www.freiepresse.de/chemnitz/chemnitz-darum-sprechen-wir-nicht-von-h…
## AUTOREN
Georg Löwisch
## TAGS
Chemnitz
Sachsen
CDU
Rechte Gewalt
IG
Hans-Georg Maaßen
Michael Kretschmer
Schwerpunkt Rassismus
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Politische Kunst
Chemnitz
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