# taz.de -- "Pogrom"-Prozess: Der Mob von Mügeln | |
> Im Sommer hatten sich im sächsichen Mügeln acht Inder in eine Pizzeria | |
> geflüchtet, vor der eine wütende Menge tobte. Frank D. war vorn dabei und | |
> wurde nun zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. | |
Bild: Frank D. wurde zu acht Monaten Haft verurteilt | |
Der Mob diskutiert nicht. Er weiß, was er will. Wohin er will. Er baut sich | |
vor seinem Ziel auf und lässt seine Wut anschwellen. Er nährt sich mit | |
Schaulustigen, die sich an seiner Hitze wärmen. Dann werden aus 10 Menschen | |
schnell 20, aus 20 werden 40, und am Ende sind es 80. Der Mob feuert seine | |
mutigsten Mitglieder an, um sie später wieder aufzunehmen, in seine | |
schützende Anonymität. | |
Frank D. war Teil der Menge, die sich in einer Sommernacht in der | |
sächsischen Kleinstadt Mügeln gegen acht Inder aufheizte. Er sagt, dass die | |
Emotionen am Kochen waren. "Ein ganz unbeschreibliches Gefühl." Frank D. | |
war vorne, einer der Ersten. | |
Neonazis schlagen regelmäßig zu in Deutschland, obwohl Inder eher selten | |
ihre Opfer sind. Doch der Fall Mügeln sorgte im Sommer wochenlang für | |
Schlagzeilen. Denn er weist eine Besonderheit auf. Den Mob. | |
Frank D. ist selbst gerade ziemlich in Bedrängnis. Er sitzt im Saal 213 des | |
Amtsgerichts Oschatz, umzingelt von Fotografen und Kameramännern. Sein | |
Verteidiger hat ihn zehn Minuten vor Prozessbeginn hereingeführt. Solange | |
die Verhandlung noch nicht begonnen hat, darf geknipst und gedreht werden. | |
Der Angeklagte verbirgt sich hinter einem Schal und fummelt sich mit | |
zitternden Händen eine Sonnenbrille aufs Gesicht. Jetzt klackern die | |
Blitzlichter noch heftiger. Frank D. atmet schnell. Er hat Angst. | |
Als die Verhandlung läuft - die Kameras sind abgezogen, die Sonnenbrille | |
liegt auf dem Tisch -, entspannt er sich. Ein 23-Jähriger mit großen Augen, | |
der als Baumaschinenführer 950 Euro netto rauskriegt und Motorräder liebt. | |
Er erzählt von jenem Abend, an dem Mügeln sein Stadtfest feierte. An der | |
Raiffeisenbank am Markt habe er seinen Kumpel gefunden, mit blutendem Bein. | |
Immer und immer wieder habe dieser gesagt: "Die haben mich abgestochen." | |
Frank D. erklärt, dass er zur Pizzeria gelaufen sei, weil er dort die | |
Schuldigen vermutete. Nein, er habe gar nicht gewusst, dass es Inder waren, | |
die sich dort eingeschlossen hatten. Dort habe eben die Menge gestanden. | |
"Ich arbeite selber mit Ausländern zusammen und hab keine Probleme damit. | |
Sind alles Menschen", sagt D., in der Pizzeria von Amarjit Singh habe er | |
sich schon Döner geholt. Er hört sich besonnen an. Einer, der Fehler | |
eingesteht. Er habe am Rathaus einen Gitterrost rausgehoben und in die | |
Scheibe der Pizzeriatür geworfen. Leider. Es sieht nicht nach acht Monaten | |
ohne Bewährung aus zu diesem Zeitpunkt. | |
Wo war Bonanza? | |
Die Strategie des Verteidigers ist einfach: Scheibe eingeschlagen, aber | |
keine ausländerfeindlichen Parolen gerufen. Sachbeschädigung: ja - | |
Volksverhetzung: nein. Ein Junge, dem halt mal die Sicherungen | |
durchgeknallt sind. Der sagt, dass er so ein bis eineinhalb Flaschen Wein | |
drinhatte. Zwei Flaschen, rundet der Verteidiger später auf. Und die | |
Scheibe hatte auch schon ein Loch. "Ausländer raus"?, "Bringt sie alle um"? | |
- er hat nichts davon gehört. Und gerufen auch nicht. | |
Es ist der Richter, der diese Erzählung stört. Amtsgerichtsdirektor Klaus | |
Denk ist ein hagerer Mann. Er spricht ein erdiges Fränkisch, und wenn er | |
ein Wort wie "bläken" benutzt, holt er die Ereignisse auf den Boden zurück. | |
"Erzählens", ermuntert er die Zeugen, und mit seinen Zwischenfragen | |
versucht er, sich die Ereignisse dieser Nacht begreiflich zu machen, für | |
die es weder in Franken noch in Sachsen Beispiele aus der jüngsten | |
Geschichte gibt. "Wie in einem billigen Western", sagt Denk einmal. | |
Vielleicht helfen solche Bilder, vielleicht sind sie irreführend. Bei | |
Bonanza ist es manchmal so gewesen, dass der Mob durch Virginia City | |
drängte. Aber im vorletzten Moment ging dann immer Sheriff Roy Coffee | |
dazwischen, oder der aufrechte Ben Cartwright kam von der Ponderosa | |
angeprescht. | |
In Mügeln muss Ben Cartwright verhindert gewesen sein an diesem 19. August | |
2007. | |
Immerhin gab es einen Sheriff, obwohl das Wort nicht recht passt auf Jürgen | |
Rudolph. Der Polizeibeamte vom Revier Oschatz ist ein kleiner, rundlicher | |
Mann von 55 Jahren. Er trägt keine Uniform im Zeugenstand, sondern Jeans | |
und eine Strickjacke. Man stellt sich vor, wie er in einem Kleingarten | |
jätet oder mit Autofahrern ordentlich über Knöllchen debattiert. Jürgen | |
Rudolph und ein Kollege haben sich dem Mob entgegengestellt. | |
Zwei gegen achtzig | |
Er stand vor dem Eingang der Pizzeria, und vor ihm schwoll die Menge an. | |
Die Polizei solle die Deutschen schützen, riefen sie, nicht die Ausländer. | |
Er wartete auf Verstärkung. Spürte, wie der Mob sich aufheizte. Wie es | |
voller und enger wurde. "Türkenschweine, macht euch heime!" Bierflaschen | |
flogen. Aus einzelnen Rufen wurden Chöre. "Deutschland den Deutschen!" | |
"Wären die reingegangen?", fragt der Richter. - "Man wäre dort | |
reingegangen. Da bin ich felsenfest überzeugt." | |
Zwei gegen achtzig. Irgendwann rückte eine halbe Hundertschaft Polizisten | |
an. | |
Frank D. hört sich die Aussagen ruhig an. Ein Mügelner, der am Markt wohnt, | |
berichtet, dass er den Mann beobachtet habe, der sich den Gitterrost griff. | |
Nein, das Gesicht habe er nicht gesehen, das tätowierte Spinnennetz auf dem | |
Arm aber schon. So ein Tattoo hat der Angeklagte. Nein, er habe ihn keine | |
Parolen rufen hören. | |
Auch ein weiterer Zeuge aus Mügeln und die beiden sächsischen Angestellten | |
des Wirtes können die Rufe nicht dem Angeklagten zuordnen. Amarjit Singh | |
selbst sagt, er habe Frank D. durch die Scheibe gesehen, als sie noch nicht | |
zerschlagen war. Wie der Angeklagte gegen die Scheibe trat. Wie er | |
reinwollte mit anderen. Der Inder spricht vorsichtig, fast unhörbar leise. | |
Er sagt: "Wir haben Todesangst gehabt." | |
"Ich wollte mich bei Ihnen persönlich entschuldigen", meldet sich Frank D. | |
Sein Anwalt schaut zufrieden. Gut gemacht. | |
Beim Staatsanwalt sind wenig Regungen zu erkennen. Als die nationale und | |
internationale Presse über Mügeln berichtete, war die Rede davon, dass ein | |
erfahrener Ermittler die Sache in die Hand nehmen werde. Dieser Jurist ist | |
erst 33 Jahre alt, kleine runde Brille, sparsame Gesten, präzise Fragen. Er | |
hat sich bei der Staatsanwaltschaft Leipzig spezialisiert. Neonazis, | |
Hooligans, die Polizisten angreifen, es fällt eine Menge an in der Gegend. | |
Ihm ist es nicht so recht, wenn sein Name in den Medien erscheint. Er ist | |
vorsichtig. | |
Der Staatsanwalt steckt noch mittendrin in der Sache. Er versucht | |
Brauchbares, Glaubwürdiges aus über hundert Zeugenaussagen herauszufiltern, | |
vieles ist widersprüchlich, vieles parteiisch. Er wertet aus, gleicht ab, | |
hört Zeugen erneut. Einmal ist da die Auseinandersetzung beim Festzelt, wo | |
die Inder tanzten und wo geschubst wurde. Vor dem Zelt fand ein Kampf mit | |
abgeschlagenen Flaschen statt, bei dem Inder und Deutsche verletzt wurden, | |
darunter auch der Kumpel von Frank D. Es gibt acht Verdächtige. Ob und wann | |
sie angeklagt werden, ist offen. | |
Diesen Komplex hat der Staatsanwalt abgetrennt von den Taten vor der | |
Pizzeria. Was den Teil angeht, sind aus einem Mob von 80 Leuten nur acht | |
Verdächtige geblieben, bei vieren reichte es für eine Anklage. Ein | |
18-Jähriger muss 600 Euro für einen guten Zweck stiften. Ein 35-Jähriger | |
kam mit einem Strafbefehl über 1.500 Euro davon. Dem dritten waren die | |
2.600 Euro zu viel. Weil er Widerspruch einlegte, folgt im Januar noch ein | |
Prozess. | |
Frank D. ist der Einzige, dem ein Gewaltakt vorgeworfen werden kann: das | |
Zertrümmern der Scheibe. | |
Die Zeugen sagen aus. Es fallen Worte wie "grölen", "hasserfüllt", | |
"aufstacheln". Als es darum geht, dass ein paar Mann auch einen Gullydeckel | |
rauswuchteten, um die Tür endlich durchzukriegen, benutzt ein Zeuge den | |
Ausdruck "Deckel zur Gosse". | |
Den Amtsgerichtsdirektor Klaus Denk berührt dieser Fall. "Wir haben uns im | |
Vorfeld eines Pogroms befunden", sagt er bitter, als er ausführlich sein | |
Urteil begründet, und das Gesicht färbt sich rot dabei. Das Fränkisch | |
schlägt stark durch in diesen Minuten. Er wirft dem Angeklagten vor zu | |
lügen. Er fragt scharf. Was denn, bitte schön, gewesen wäre, wenn nur | |
Deutsche in die Auseinandersetzung auf dem Fest verwickelt gewesen wären? | |
Gar nichts. Ob vielleicht das die Aggressionen ausgelöst habe, dass es auch | |
mal Inder gewagt hätten, ausgelassen zu feiern in Deutschland? Was passiert | |
wäre ohne die Polizisten vor der Pizzeria? Wie es wohl ankäme, wenn er die | |
Strafe zur Bewährung aussetzte? "Wenn man solche Fälle unbestraft | |
durchgehen lässt, dann wirkt so was wie ne Aufforderung zum Tanz." | |
Der Angeklagte stützt das Kinn auf die Hand, die Journalisten wittern, dass | |
das Urteil härter ausfallen wird. | |
"Die Fälle häufen sich", sagt Richter Denk. Der Satz bezieht sich auf | |
Gewalt auf Festen, auf rassistische Gewalt. Und er bedeutet eigentlich | |
nicht weniger, als dass Mügeln nur ein kleiner Teil ist in einer Masse. | |
5 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |