# taz.de -- Neues Polizeigesetz in Bayern: Ohne Anklage im Gefängnis | |
> Seit einem Jahr darf die Bayerische Polizei Menschen ohne Anklage bis zu | |
> drei Monate inhaftieren. Und sie tut es auch, wie aktuelle Zahlen zeigen. | |
Bild: Gegen die Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes wurde im Vorfeld scho… | |
BERLIN taz | Ohne Anklage in Präventivhaft festsitzen, Dauer ungewiss – was | |
sich nach einem Zustand in einer hoffentlich weit entfernten Diktatur | |
anhört, ist in Bayern seit gut einem Jahr möglich. Mit der Einführung des | |
neuen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) durch die Bayerische Landesregierung | |
kann die Polizei des Bundeslandes Menschen schon bei „drohender Gefahr“ in | |
Haft nehmen, wenn also noch kein konkreter Rechtsverstoß vorliegt. Anstatt | |
wie zuvor zwei Wochen in Untersuchungshaft auf Basis des Verdachts einer | |
Straftat, kann die Polizei betreffende Personen jetzt bis zu drei Monate | |
festhalten, nur auf Grundlage einer „drohenden Gefahr“ – und diesen | |
Zeitraum beliebig erweitern. | |
Wie weit diese präventive Inhaftnahme in Bayern bis jetzt angewendet wird, | |
geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der | |
Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, Katharina Schulze, hervor. | |
[1][Zuerst berichtete die Süddeutsche Zeitung darüber]. Seit Einführung der | |
Neuregelung des Präventivgewahrsams zum 1. August 2017, also vor gut einem | |
Jahr, saßen elf Menschen länger als zwei Wochen in einer Zelle. Der | |
Zeitraum reichte von 15 Tagen bis zu zwei Monaten, so der Bericht. | |
Für die Grünen-Politikerin Katharina Schulze ist diese Zahl zu hoch. Sie | |
fordert mehr Transparenz im Bezug auf den präventiven Gewahrsam. Die | |
Staatsregierung solle dem Landtag gegenüber eine generelle Berichtspflicht | |
haben, und damit mindestens einmal jährlich Anzahl, Dauer und Gründe der | |
Inhaftnahmen von mehr als zwei Wochen aufschlüsseln. Außerdem reiche sie | |
gerade eine zweite Anfrage ein, so Schulze, um mehr über die Hintergründe | |
der Inhaftierungen erfahren zu können. | |
## Beunruhigende Zahlen und funktionslose Technik | |
Unter Berufung auf das Innenministerium weist die Süddeutsche Zeitung | |
darauf hin, [2][dass es sich bei allen vorbeugend Inhaftierten um | |
Asylsuchende handelt]. Den härtesten Fall stellt eine zweimonatige | |
Ingewahrsamnahme eines mutmaßlich gewalttätigen Syrers wegen drohender | |
politisch motivierter Kriminalität dar. Sieben der kürzer Inhaftierten | |
seien wegen des Verdachts auf Beteiligung an Landfriedensbruch in Gewahrsam | |
genommen worden. Aus der Haft heraus seien sie anschließend auf | |
verschiedene Aufnahmezentren verteilt worden. | |
Die Tatsache, dass die Neuregelung des Präventivgewahrsams bis jetzt nur | |
und gerade gegen Asylsuchende angewendet wurde, beunruhigt Johannes König | |
vom Bündnis [3][noPAG, das eine große Anzahl an Organisationen, die sich | |
gegen das Polizeiaufgabengesetz in seiner jetzigen Form stellen, | |
versammelt.] Für ihn ist dies allerdings nicht überraschend. Nach der | |
Einführung des sogenannten „Gefährdergesetzes“, also der ersten | |
Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes im August 2017, gehe man mit den | |
neuen Möglichkeiten vorbeugender Maßnahmen offensichtlich vor allem gegen | |
Geflüchtete vor. Denn die Gesetzesverschärfung eigne sich zur Vereinfachung | |
von Abschiebungen. Mit Hilfe des Aufenthaltsgebotes, also der Verpflichtung | |
für Asylsuchende, in ihrer Einrichtung zu bleiben, das im Gefährdergesetz | |
enthalten ist, könnten Flüchtlingsunterkünfte praktisch zu Gefängnissen | |
gemacht werden. „Das Gesetz ist klar rassistisch motiviert“, zieht Johannes | |
König Fazit. | |
In der zweiten Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes am 25. Mai 2018 | |
wurden weitere mögliche Präventivmaßnahmen der Polizei eingeführt. In vier | |
Fällen wird aktuell die elektronische Fußfessel angewandt, so die | |
Ministeriumsantwort. Im Gegensatz dazu kamen andere neue Befugnisse nicht | |
zur Anwendung: weder die neuen Möglichkeiten der Videoüberwachung noch die | |
der DNA-Analyse. Der Grund dafür ist denkbar banal: Es fehlt an der | |
Technik, die neuen Möglichkeiten überhaupt umsetzen zu können. „Die | |
Bayerische Polizei verfügt derzeit über keine technischen Systeme, um die | |
Rechtsgrundlage im Polizeiaufgabengesetz zur sogenannten intelligenten | |
Videoüberwachung, die auf die automatisierte Erkennung von Mustern bei | |
Gegenständen beschränkt ist, in der Praxis anzuwenden“, heißt es in dem | |
Bericht. | |
Die Grünen-Innenpolitikerin Schulze kritisiert diese „Placebopolitik“ im | |
Bezug auf die technischen Möglichkeiten der Videoüberwachung der | |
CSU-Regierung sehr scharf. „Wir haben eine Rechtsgrundlage für etwas, wofür | |
die Polizei noch gar keine Geräte hat und noch gar keinen richtigen Plan, | |
sich solche Geräte anzuschaffen. Das ist keine sinnvolle Gesetzgebung“, | |
erklärt Schulze weiter. Und betont, dass diese Angelegenheit schließlich | |
auf dem Rücken der Polizist*innen ausgetragen werde, die Gesetze bekommen, | |
die praktisch nicht umsetzbar sind. | |
## Das neue Gesetz ist sehr umstritten | |
Es verwundert, dass neben der Süddeutschen nur wenige Medien die Ergebnisse | |
der Anfrage der Grünen aufgegriffen hat, obwohl das Polizeigesetz hohe | |
Wellen schlug. Schon nach seiner Ankündigung [4][kam es landesweit zu | |
Protesten gegeben, in München waren Anfang Mai 30.000 Menschen auf die | |
Straße gegangen]. Aber auch in vielen kleineren Städten hatten ungewöhnlich | |
große Demonstrationen stattgefunden. | |
Den gewaltigen Widerstand erklärt sich Schulze damit, dass die | |
vorherrschende Meinung in der Bevölkerung und deren Sicherheitsempfindem | |
dem der CSU entgegen lief. „Die Menschen wissen: Bayern ist das sicherste | |
Bundesland mit der niedrigsten Kriminalitätsstatistik. Da wollen sich die | |
Menschen nicht ihre Freiheitsrechte von der CSU beschneiden lassen.“ | |
Wichtig ist ihr bei dieser Protestbewegung: „Wir demonstrieren gegen die | |
CSU-Regierung, nicht gegen die Polizei“, denn die müsse in ihrem Job | |
unterstützt werden mit sinnvoller Innenpolitik. | |
Trotz der landesweiten Kritik hatte die CSU mit ihrer Mehrheit beide | |
Novellierungen des Polizeiaufgabengesetzes im Parlament beschlossen. Dass | |
auch sie keine große Nachricht aus den präventiven Inhaftierungen macht, | |
scheint erstmal irritierend. Doch Johannes König von noPAG betont: „Ihr | |
Umgang mit den Massendemonstrationen, die mehrmals organisiert wurden, | |
zeigt eine große Nervosität.“ Im Vorfeld wurde jegliche Kritik am geplanten | |
Gesetz der Regierung als „Fake News“ abgetan, [5][vor der aktuellsten Demo | |
„ausgehetzt“ hatte die CSU versucht, mit Plakaten] Demonstrierende zu | |
diskreditieren. Dies ging aber nach hinten los. „Deswegen wollen sie die | |
neuen Zahlen wohl nicht als Erfolg verkaufen“, schätzt König die | |
CSU-Zurückhaltung ein. | |
## Die Grünen reichten schon zwei Klagen ein | |
Die Grünen, insbesondere die Innenpolitikerin Katharina Schulze, waren | |
[6][von Beginn an gegen die Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes]. | |
Schon in der Parlamentsdebatte um das Gesetz erhob sie schwere Vorwürfe: | |
Mit der Präventivhaft käme man zu nah an eine Schutzhaft heran, und die | |
zusätzlichen Befugnisse der Polzei gingen viel zu weit. „Es darf nicht | |
sein, dass die CSU immer mit ihrer unseriösen, maßlosen Sicherheitspolitik | |
durchkommt“, plädierte sie zum Abschluss ihrer Rede zum PAG. | |
„Im Sommer 2017 bei der ersten Novelle haben nur wir Grünen uns gegen diese | |
Gesetzesänderung gestemmt“, erzählt Schulze. SPD und Freie Wähler hatten | |
sich enthalten. Die Grünen klagten nach dieser ersten Verschärfung gegen | |
den Begriff der „drohenden Gefahr“, der aus ihrer Sicht zu schwammig für | |
das Bestimmtheitsgebot der Bayerischen Verfassung sei und gegen den | |
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Aus letzterem Grund ginge den | |
Grünen auch die elektronische Fußfessel als Präventivmaßnahme zu weit. Und | |
schließlich verstoße die „Unendlichkeitshaft“ gegen die | |
Freiheitsgrundrechte, so die Partei. Alles in allem bestehe die Gefahr, | |
dass vor allem die Freiheitsrechte der Bürger beschnitten würden, meinen | |
die Grünen. | |
Nachgelegt haben die Grünen nun im Juni dieses Jahres, nachdem sie eine | |
Expertenrunde zur Verfassungsmäßigkeit oder -widrigkeit des erweiterten | |
Polizeiaufgabengesetzes einberufen hatten. Sie klagten gegen die | |
erweiterten Maßnahmen der Polizei im Bezug auf die „drohende Gefahr“, da | |
hier die Zuständigkeiten von Polizei und Verfassungsschutz zu sehr | |
verschwimmen würden. Bis so eine Klage Wirkung zeigt, kann es allerdings | |
dauern; gerechnet wird mit einer Antwort in ungefähr einem Jahr. | |
22 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/bayern/praeventivhaft-elf-personen-in-bayern-oh… | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/bayern/praeventivhaft-elf-personen-in-bayern-oh… | |
[3] https://www.nopagby.de/ | |
[4] /Grossdemo-in-Muenchen/!5502592 | |
[5] /Ausgehetzt-Demonstration-in-Muenchen/!5518633 | |
[6] https://pag-kritik.de/ | |
## AUTOREN | |
Sarah Kohler | |
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