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# taz.de -- Zurückweisungen an der Grenze: Endstation Salzburger Bahnhof
> Die Regierung wäre fast über einen Streit über Zurückweisungen
> zerbrochen. Doch in Österreich weisen deutsche Beamte längst Flüchtlinge
> ab.
Bild: Am Salzburger Bahnhof finden schon seit 2016 „vorgelagerte Grenzkontrol…
Salzburg taz | Sie wissen, dass sie nicht lange brauchen. Ohne besondere
Eile nehmen die drei BundespolizistInnen, zwei Männer und eine Frau, blaue
Cargohosen, blaue T-Shirts, die letzten Stufen zum Gleis 5 des Salzburger
Hauptbahnhofs. Der Geruch von warmem Asphalt wabert dem Glasdach entgegen,
es ist 15:07 Uhr, der Meridian-Regionalzug 79034 steht am Gleis 5. In acht
Minuten soll er nach München starten.
[1][Salzburg zieht in diesen Sommerwochen mit seinen Festspielen] eine
Viertelmillion Menschen aus aller Welt an. Hier, am Bahnhof, mischen die
Opernfans sich mit Urlaubern vom Salzkammergut, Pendlern und jungen
Interrailern, die umsteigen nach Zagreb oder Budapest. Und vielleicht auch
mit Flüchtlingen.
Deswegen sind die drei deutschen Bundespolizisten hier im Einsatz, auf
österreichischem Boden. Seit Anfang 2016 kommen sie oder ihre Kollegen
hierher, bis zu drei Mal pro Stunde, von fünf Uhr in der Früh bis ein Uhr
in der Nacht, wenn die Züge sich hier in Bewegung setzen und nach 5,8
Kilometern die blau schimmernde Saalach, den Grenzfluss zu Deutschland,
überqueren.
Einer der Polizisten bleibt in der Mitte des Bahnsteigs stehen. Der andere
geht zum Führerstand, er streckt sich und klopft an das Fenster. Sie
sprechen sich nicht ab, das Prozedere ist eingeübt. Der Zugführer hat auf
das Signal gewartet, sie wechseln ein paar Worte. Die Polizistin ist an der
Tür des ersten Waggons geblieben, jetzt gehen sie und ihr Kollege hinein.
## „Vorgelagerte Grenzkontrollen“
Langsam laufen die beiden durch den Gang, steigen über abgestellte Koffer,
ihr Kollege am Gleis läuft draußen mit. Es ist nicht möglich, den Zug zu
verlassen, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Im zweiten Waggon sitzen drei
junge Männer, augenscheinlich aus dem Nahen Osten. „Passport please“, sagt
die Beamtin. Die Männer kramen in ihren Taschen nach den blauen
Reiseausweisen, die Deutschland Flüchtlingen ausstellt, wenn diese keinen
eigenen Pass bekommen können.
Die Polizistin blättert die Seiten durch, sie neigt den Ausweis gegen das
Licht. Die drei hätten „eine Aussage beim Amtsgericht“ machen müssen,
deshalb seien sie nach Österreich gefahren, sagt ein Mann, der neben ihnen
sitzt, als rechtfertige nur ein so offizieller Anlass ihre Reise. Die
Polizisten blättern. „Alles klar“, sagt die Beamtin dann.
Noch zwei Mal entdecken sie in den folgenden Waggons junge Männer mit
arabischem Äußeren und lassen sich die Papiere zeigen. Doch alle dürfen
nach Deutschland. Die Polizisten treten aus dem sechsten Waggon, wo ihr
Kollege wartet. Gemeinsam laufen sie zurück zur Treppe. Eine Minute später
ist der Meridian unterwegs nach Bayern.
„Vorgelagerte Grenzkontrollen“ seien dies, sagt Martin Zartner von der
Bundespolizeiinspektion Freilassing, deren Beamte die Kontrollen
durchführen. Möglich macht sie ein Staatsvertrag aus dem Jahr 2003. Seit
Anfang des Jahres 2016 macht Deutschland Gebrauch davon, für
Grenzkontrollen in Österreich – aber nur am Salzburger Bahnhof. Hier hat
die Bundespolizei eigens einen Aufenthaltsraum angemietet.
## Übergabe an die österreichischen Kollegen
Die Beamten prüfen, ob die Kontrollierten die „Einreisevoraussetzungen des
Schengener Grenzkodex“ erfüllen, sagt Zartner. Letztlich läuft der Kodex
hier auf eines hinaus: Wer in Deutschland einen Asylantrag stellen könnte,
kommt nicht rein. Dann wird „direkt in Salzburg eine Einreiseverweigerung
mit Belehrung ausgesprochen“, sagt Zartner.
Einfach aus dem Zug aussteigen können die Leute dann aber nicht: „Wir
übergeben sie den österreichischen Kollegen“, sagt Zartner. Sind sie legal
in Österreich, passiert nichts weiter. Sind sie es nicht, können die
Österreicher sie ihrerseits ausweisen oder in Abschiebehaft nehmen. „Die
deutschen Kollegen arbeiten hier mit unserer Zustimmung auf Grundlage des
Staatsvertrags komplett eigenständig“, sagt Oberrat Michael Rausch von der
Landespolizeidirektion Salzburg. „Nur die Illegalen werden uns übergeben.“
Es gebe „gute Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch“.
Vom 1. Januar bis zum 30. Juni hat die Bundespolizeiinspektion Freilassing
im Schnitt pro Monat 285 Menschen bei der unerlaubten Einreise
aufgegriffen. „Ein Großteil“ wurde von den Polizisten am Bahnhof Salzburg
aus Zügen in Richtung Deutschland geholt. Die Polizisten leiten in diesen
Fällen auch Ermittlungen wegen versuchter unerlaubter Einreise nach
Deutschland ein.
Das kann für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben: Am 21. Mai etwa
haben die Polizisten in Freilassing einen 18-jährigen Gambier kontrolliert.
Der gab an, mit dem Bus dorthin gereist zu sein, und beantragte Asyl. Er
war allerdings bereits am Morgen desselben Tages am Bahnhof in Salzburg an
die deutsche Polizei geraten – die ihm die Einreise nach Deutschland
verweigerte und ihn anzeigte. Dadurch galt er als Wiederholungstäter und
wurde gleich am nächsten Morgen dem Richter beim Amtsgericht Laufen
vorgeführt. Der verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten,
die der Mann sofort in der JVA Bad Reichenhall absitzen musste.
## Kein Durchlass
Doch die Beamten in Salzburg können noch mehr prüfen, sagt Zartner. So
könnte am Bahnhof gecheckt werden, ob von Ausländern womöglich eine
„schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht“
– etwa weil sie in Deutschland wegen einer Straftat verurteilt wurden. Das
ist einer der Gründe für die Verweigerung der Einreise, den die
Schengen-Regeln vorsehen. Dazu haben die Polizisten einen kleinen
Fingerabdruckscanner dabei. „Fast-ID“ heißt das System, es überträgt die
Fingerabdruckdaten an die Afis-Datenbank der Polizei.
„Wir fragen ab, ob die Person im nationalen Datenbestand schon mal erfasst
wurde“, sagt Zartner. Nach spätestens drei Minuten ist die Antwort da. Gibt
es einen Treffer, können die Beamten die Einreise nach Deutschland auch
dann verweigern, wenn ein Ausländer ein gültiges Visum für Deutschland
vorweisen kann oder aus einem Land kommt, dessen Bürger keines brauchen.
Nur das, was im Juni zum [2][Riesenkrach zwischen Innenminister Horst
Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel] führte, können die Polizisten
am Gleis nicht feststellen: Ob Ausländer in einem anderen EU-Staat bereits
einen Asylantrag gestellt haben oder dort als Asylsuchende registriert
sind. „Dazu müssten die Personen mit auf die Wache kommen und wir hätten
erst nach einer gewissen Zeit das Ergebnis“, sagt Zartner.
Schutzsuchende nicht ins Land zu lassen, wenn sie woanders bereits
registriert sind – das ist in Seehofers „Masterplan“ der Punkt 27, und es
war der Hauptgrund für den Streit mit Merkel (siehe Kasten). In Salzburg
geht die deutsche Polizei weiter: Sie lässt überhaupt keine Schutzsuchenden
durch, egal ob in Österreich oder sonst wo ein Asylverfahren läuft.
## „Nationalistische Alleingänge“
Kommen Schutzsuchende an die deutsche Grenze, können sie dort einen
Asylantrag stellen. In Österreich aber nimmt natürlich kein deutscher
Polizist einen solchen an. Aus Sicht des Innenministeriums ist die
Salzburger Lösung deshalb sehr attraktiv. Erst am 4. April wurde die
Bundespolizeiinspektion in Freilassing für die Kontrollen auf der Autobahn
A8 und am Salzburger Bahnhof von 120 auf rund 150 Beamte aufgestockt.
Es gibt noch sechs weitere Bahnhöfe in Österreich, von denen Züge ohne
weiteren Halt nach Deutschland fahren: Bregenz in Vorarlberg; Vils,
Ehrwald, Scharnitz und Kufstein in Tirol; sowie Braunau und Wels in
Oberösterreich. Doch Wien muss jedem Ort, an dem Deutschland Kontrollen
durchführen will, gesondert zustimmen. „Diese Voraussetzungen liegen
bislang lediglich für die vorgelagerte Grenzkontrollstelle am Bahnhof in
Salzburg vor“, erklärt ein Sprecher Seehofers gegenüber der taz. Sprich:
Deutschland würde die Praxis also gern ausweiten, Österreich will das
offenbar nicht.
[3][Denn die Zurückweisungen an der Grenze sind ein sensibles Thema]
zwischen den beiden Ländern und die deutschen Grenzkontrollen sind in
Österreich nicht sonderlich beliebt. Auf der Tauernautobahn zwischen
Salzburg und Freilassing verursachen sie Staus mit rund einer Stunde
Wartezeit für Autos Richtung Deutschland. Und am 18. Juli nahmen dann auch
noch die zunächst 500 Beamten der neuen bayrischen Grenzpolizei ihre Arbeit
auf.
„Auf Anforderung oder mit Zustimmung“ des Bundes, so die offizielle
Sprachregelung, kontrollieren sie seither stundenweise Straßen an
deutsch-österreichischen Grenzübergängen. Zurückweisen dürfen allerdings
noch immer nur Bundespolizisten. Die Vorsitzende der liberalen
österreichischen Neos-Partei Beate Meinl-Reisinger sagte, durch solche
„nationalistischen Alleingänge“ seien „unsere europäischen Freiheiten in
Gefahr“. Der Beginn der Grenzkontrollen sei „ein schwarzer Tag für
Salzburg, für Österreich und ganz Europa“.
16 Aug 2018
## LINKS
[1] /Hunger-Inszenierung-in-Salzburg/!5521425
[2] /Asylstreit-spitzt-sich-zu/!5513233
[3] /Gefluechtete-an-den-bayerischen-Grenzen/!5512368
## AUTOREN
Christian Jakob
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EU-Flüchtlingspolitik
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