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# taz.de -- Psychiatrien in Niedersachsen: Zu wenig Personal, zu viel Fixierung…
> Laut Psychiatrieausschuss ist die Versorgungslage in jeder vierten
> therapeutischen Einrichtung Niedersachsens kritisch.
Bild: Bei den Psychiatrien in Niedersachsen liegt vieles im Argen – oft auch …
HAMBURG taz | Der Psychiatrieausschuss des Landes Niedersachsen kritisiert
in seinem [1][Bericht] für das Jahr 2017 die personelle Situation, bauliche
Mängel und vereinzelte gravierende Verstöße bei der Fixierung von
Patient*innen in Einrichtungen für nervlich und seelisch Erkrankte. Das von
Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) eingesetzte Gremium hat für
seinen Bericht insgesamt 121 Einrichtungen aufgesucht, darunter Kliniken,
Heime oder Sozialpsychiatrische Dienste. In einem Viertel der Einrichtungen
sei die Versorgungslage kritisch, so der Report.
Im Vergleich zu den Vorjahren ist damit laut Bericht zwar eine positive
Tendenz bemerkbar – jedoch nicht in allen Bereichen. Verschlechtert habe
sich die Personalsituation in allen Einrichtungstypen, vor allem in
ländlichen und kleinstädtischen Regionen.
Der Personalmangel sei so gravierend, dass neben dem Pflegepersonal sogar
Kandidat*innen für leitende Funktionen wie Chef- oder Oberarztstellen
fehlen würden, vor allem im Maßregelvollzug. Zusammen mit Überbelegung und
einem verkleinerten therapeutischen Angebot folgen daraus erschwerte
Heilungsprozesse, heißt es in dem Bericht.
Zudem seien die Rechte der Besuchskommissionen noch unklar: Diese
Fachleute-Gremien begehen die Einrichtungen, überprüfen die Zustände und
nehmen Beschwerden entgegen. In einigen Häusern wurde ihnen 2017 aber der
Zutritt verwehrt.
Dort, wo das nicht der Fall war, haben sie mitunter gravierende Missstände
entdeckt. So sahen sich die Expert*innen in einer psychiatrischen Klinik in
der Region Hildesheim im April 2017 bei einem unangemeldeten Besuch mit
einem „nicht akzeptablen Hygienezustand“ auf einer Station, einem „kaum
besseren“ auf einer weiteren konfrontiert, heißt es im Jahresbericht.
Im darauffolgenden Juli fiel dort außerdem der Umgang mit fixierten
Personen auf, also zum eigenen oder zum Schutz anderer gefesselte Menschen:
Länger fixierte Patient*innen seien auf eine andere Station verlegt worden.
Dort befanden sich infolge der Verlegungen acht Patient*innen „in einer
Überwachungssituation“.
Der Report beschreibt dieses Zusammenlegen als „mehr als nur fragwürdig“.
Selbst die Klinikleitung nennt keinen medizinischen Grund für die Maßnahme,
sondern bloß eine „zu dünne Personaldecke“. Im November 2016 war dort
bereits eine ähnliche Situation beobachtet worden, erinnert der Bericht.
Mindestens bei einem der Patienten sei unklar, ob es eine rechtliche
Grundlage für die Fixierung gegeben hatte. Zwar hatte der Betreuer eine
richterliche Genehmigung über eine 90-minütige Fesselung. Aus den
gesichteten Dokumenten ergab sich jedoch, dass der Patient teilweise bis zu
18 Stunden am Tag fixiert wurde. Die zuständigen Ärztinnen konnten nicht
sagen, ob der Betreuer über eine entsprechend erweiterte Genehmigung
verfügte. Demnach wäre von einem Rechtsverstoß auszugehen.
Der Psychiatrieausschuss fordert nun in seinem Bericht, Pflegeberufe
attraktiver zu gestalten. Dazu seien mehr und besser bezahlte
Ausbildungsplätze nötig, so wie mehr Medizinstudienplätze. Ebenso wird eine
„zeitnahe“ Novellierung des niedersächsischen Psychiatriegesetzes
gefordert. Diese hatte bereits in der letzten Legislaturperiode begonnen,
wurde dann aber aufgrund der Neuwahl unterbrochen.
## Neufassung des Psychiatriegesetzes
Volker Meyer, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, sind die im
Bericht genannten Probleme nicht neu: „Wir diskutieren Jahr für Jahr über
die gleichen Probleme, wie das Betretensrecht der Besuchskommissionen.“ In
der Koalitionsvereinbarung sei daher eine Änderung des Gesetzes vorgesehen.
Auf den genannten vermeintlichen Rechtsverstoß müsse das Ministerium
reagieren, sagt Meyer. Dessen ist man sich dort bewusst: „Wir gehen den
aufgezeigten Punkten nach“, versichert Reimanns Pressesprecher Uwe
Hildebrandt. „Rechtsverstöße können nicht hingenommen werden.“
Während SPD-Gesundheitspolitiker Uwe Schwarz sich auf Nachfrage nicht zum
Bericht äußern will, mahnt Meta Janssen-Kucz (Grüne) dringenden
Handlungsbedarf an. Vor allem im Bereich Personal müsse etwas getan werden,
„aber auch die Privatisierung der Psychiatrie, die unter Schwarz-Gelb
zustande gekommen war, gehört noch einmal auf den Prüfstand“, so die
gesundheitspolitische Sprecherin der Grünenfraktion. Und während sie eine
Neufassung des Psychiatriegesetzes für überfällig hält, warnt sie vor dem
aktuellen Regierungsentwurf, der aus ihrer Sicht einen Rückschritt bedeuten
würde.
14 Aug 2018
## LINKS
[1] https://www.psychiatrie.niedersachsen.de/themen/taetigkeitsberichte/459.html
## AUTOREN
Alina Götz
## TAGS
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