# taz.de -- Bremer Jugendpsychiatrie: Über eine Woche gefesselt | |
> In der Bremer Jugendpsychiatrie wurde 2016 ein junger Mensch über eine | |
> Woche seiner Bewegungsfreiheit beraubt. Gesundheitsbehörde spricht von | |
> Ausnahme. | |
Bild: Wird in Bremen manchmal über Wochen eingesetzt: Fixiergurt | |
Bremen taz | Ein Facebook-Post von Sofia Leonidakis wirft ein kurzes | |
Schlaglicht auf die geschlossene Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bremen. | |
Die Abgeordnete der Linken war dort in einer Petitionsangelegenheit. „Ein | |
Besuch, der mich nicht mehr loslässt“, schreibt Leonidakis. | |
Sicher gebe es dort engagierte Mitarbeitende. „Dass es aber möglich ist, | |
dass ein junger Mensch über Wochen fixiert wird, sogar nachts, und | |
lediglich zwischendurch für kurze Zeit defixiert wird, das raubt mir den | |
Atem“, schreibt die Politikerin. „Vor allem, weil dies u. a. mit | |
Personalmangel begründet wurde. Das ist in keinster Weise akzeptabel.“ | |
Gegenüber der taz wollte sie sich nicht zu dem Vorgang äußern. Denn bei | |
einer Petition habe sie Schweigepflicht. | |
Doch eine Nachfrage bei der Bremer Gesundheitsbehörde ergibt, dass es in | |
den Jahren 2014, 2015 und 2016 drei junge Patienten gab, die über mehrere | |
Tage oder Wochen nur mit kurzen Unterbrechungen gefesselt waren. Zuletzt | |
wurde in 2016 eine Person „über eine Woche fixiert und eine weitere Woche | |
mit täglich halb- bis vierstündigen Unterbrechungen“, wie deren Sprecherin | |
Christina Selzer bestätigt. | |
Die Person sei älter gewesen als angegeben und hätte daher in die | |
Erwachsenenpsychiatrie gehört. Für diesen jungen Menschen wurde sogar ein | |
Sicherheitsdienst eingestellt, der, „eine zusätzliche Personalpräsenz von | |
bis zu zwei Personen rund um die Uhr sicherstellte“. | |
## Fixierungen über mehrere Tage können „vorkommen“ | |
Den Fall bestätigt der Bremer Krankenhausträger Gesundheit Nord. „2016 ist | |
ein Patient mehr als eine Woche lang fixiert worden“, sagt Sprecherin Karen | |
Matiszick. Der Patient sei sehr gewalttätig gewesen und „nicht zu | |
erreichen“. In einem anderen Fall, der einige Jahre zurückliegt, sei eine | |
Patientin über vier Wochen immer wieder fixiert worden, weil sie | |
Mitpatienten und Personal gefährdet und verletzt habe. „Diese Fälle sind | |
aber die Ausnahme“, sagt Matiszick. „Was durchaus vorkommen kann, sind | |
Fixierungen über mehrere Tage.“ | |
Personalmangel sei nicht der Grund, sagt die Kliniksprecherin. Auch | |
Behördensprecherin Selzer sagt, dass bei den erwähnten Fällen keine | |
Unterbesetzung vorlag. Doch grundsätzlich könne man davon ausgehen, „dass | |
mehr Personal eine Deeskalation ermöglicht“. | |
In der Bremer Erwachsenenpsychiatrie gab es 2016 eine heiße Debatte um | |
Fesselungen. Patientensprecher beklagten, das dies standardmäßig vorkomme, | |
oft tagelang und ohne Nachbesprechung. Nach Berichten der taz und des | |
Weser-Kuriers wurde eine Station im Klinikum-Ost sogar dichtgemacht und | |
durch eine neue ersetzt. | |
Nach Informationen aus der Gesundheitsdeputation gab es 2017 bei den | |
Erwachsenen 953 Fixierungen. Im Vergleich zu Hamburg ist das viel. Dort | |
gibt es mehr als doppelt so viele Psychiatrie-Betten, aber mit knapp 600 | |
Fällen weniger Fesselungen. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie liegt | |
Bremen vorn und hat im Verhältnis zur Patientenzahl mehr Fixierungen. Doch | |
auch in Hamburg gab es von 2015 zu 2016 plötzlich einen Anstieg von ehemals | |
21 auf 103 Zwangsmaßnahmen, den der Senat damit erklärt, „dass eine Person | |
viele Fälle (ca. 70) produziert hat“. | |
## Fesselung zuweilen aus Not | |
Versorgungskliniken kämen immer wieder in die Not, Fixierungen anordnen zu | |
müssen, sagt der Kinderpsychiater Michael Kölch von der Deutschen | |
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und | |
Psychotherapie (DGKJP). „Beispielsweise, wenn ein kräftiger 15-, | |
16-jähriger sehr aggressiv wird oder ein Patient sich schwer selbst zu | |
verletzen droht, zum Beispiel Glasscherben isst.“ | |
Es gebe in den Häusern unterschiedliche freiheitsbeschränkende Maßnahmen. | |
Manche würden mehr isolieren, andere fesseln oder mit Medikamenten ruhig | |
stellen. Um zu verhindern, dass Fixierungen als Personalersatz genutzt | |
werden, gebe es einige Kontrollmechanismen wie etwa eine strenge | |
Dokumentation, die von Besuchskommissionen eingesehen werden kann. | |
In der Erwachsenenpsychiatrie hat das Bundesverfassungsgericht erst im | |
Juli enge Grenzen gesetzt. So muss bei jeder Fesselung, die länger als eine | |
halbe Stunde dauert, eine richterliche Genehmigung eingeholt werden. | |
Hamburg hat bereits sein Landesgesetz geändert. Ab dem 1. Januar soll von | |
sechs bis 21 Uhr immer ein Richtereildienst bereit stehen, der in die | |
Klinik fahren und sich ein Bild machen kann. | |
„Hamburg hat reagiert. Bei uns in Bremen ist das noch nicht passiert“, | |
kritisiert Peter Erlanson, Gesundheitspolitiker der Bremer Linken. Seine | |
Fraktion erwäge, dazu einen Gesetzesantrag in die Bürgerschaft | |
einzubringen. Doch so ein Gesetz sei laut Selzer ohnehin geplant. Das | |
Psychischkrankengesetz werde „bis Mitte 2019 entsprechend geändert“. Die | |
vom Bundesgericht verfügte Regelung werde in Bremen „jetzt schon | |
umgesetzt“. | |
30 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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