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# taz.de -- Kommentar Spahns neues Pflegegesetz: Ein Pfleger für drei Etagen
> Gesundheitsminister Jens Spahn will für mehr Personal in der Pflege
> sorgen. Das ist schön, doch es reicht bei Weitem nicht aus.
Bild: Spahns neues Gesetz zur Pflege reicht nicht aus, um die Notstände zu beh…
Gesundheitsminister Jens Spahn will sich nicht nachsagen lassen, ein
Faulpelz und Geizkragen zu sein. Also legt er vor: 13.000 neue Stellen für
stationäre Pflegeeinrichtungen im nächsten Jahr, 5.000 mehr als im
Koalitionsvertrag vereinbart.
Dazu mehr Personal auch in den Krankenhäusern, voll bezahlt von den
Krankenkassen. Und er droht: Wer künftig zu wenige Fachkräfte hat, soll
auch weniger Patient*innen haben dürfen. So ungefähr steht es in dem Gesetz
mit dem lauschigen Namen [1][Pflegepersonal-Stärkungsgesetz].
Schönes Paket. Endlich wird die Pflege, das Stiefkind einer
menschenwürdigen Versorgung im Alter, personell und finanziell aufgewertet.
Doch Vorsicht: Wo Stärke draufsteht, muss nicht Stärke drin sein.
Pflegeheime jedenfalls empfinden Spahns „Geschenk“ als Witz.
Das ist insofern nicht überraschend, als Pflegeeinrichtungen immer über zu
viel Stress bei zu geringen Kapazitäten klagen. Wer aber regelmäßig in
Pflegeheimen zu tun hat, weiß, was die Mitarbeiter*innen meinen. Drei, vier
Pfleger*innen für 30, 40 Pflegebedürftige. Hier die Windel wechseln, dort
jemanden in die Wanne setzen. Und Herr P. aus Zimmer 23 ruft schon wieder
nach Tee. Wenn sich die Mitarbeiter*innen gerade mal für einen Moment
hingesetzt haben, schreit auf dem Flur die Frau im Rollstuhl. Wieder keine
Pause.
## Das Problem ist lange bekannt
Das Maß an nerven- und kräftezehrender Arbeit ist in den vergangenen
Jahrzehnten enorm gestiegen. Gingen manche Heimbewohner*innen früher
selber noch einkaufen, spazieren und Eis essen, bewegen sich jetzt die
meisten im Rollstuhl, mit Rollator oder gar nicht mehr. Sie müssen selbst
beim Mittagsschlaf umgedreht werden, weil sie das allein nicht können. Das
ist nur ein Preis für die Alterung der Gesellschaft.
Das Problem der Pflegeeinrichtungen ist, dass für sie – anders als für
Kitas – kein Personalschlüssel vorgegeben ist: so und so viele Pflegekräfte
für so und so viele Pflegefälle. In der Folge können Pflegeheime so viel –
oder so wenig – Personal einstellen, wie sie für nötig und richtig halten.
Getrieben werden sie in der Regel dabei von den Kosten. Je geringer diese
sind, desto besser. Personalkosten machen in den meisten Heimen den größten
Posten im Budget aus. Die Rechnung ist denkbar einfach: weniger Kosten
durch weniger Personal.
Das können die Heime so handhaben, weil fast alle privatisiert worden sind
und auf dem Pflegemarkt an einer Gewinnmaximierung orientiert sein müssen.
Die zuständigen Länder und Kommunen schreiben ebenso wenig
Personalschlüssel vor, weil sie ja um den Pflegenotstand wissen und die
Heime nicht zusätzlich unter Druck setzen wollen und können.
## Die Mängel sind vielfältig
Kontrollinstanzen wie der Medizinische Dienst der Krankenkassen werden von
den Heimen, so hört man immer wieder, auf interessante Weise
„ausgetrickst“: Da führen die Einrichtungen schlecht oder gar nicht
ausgebildete Mitarbeiter*innen in ihren Unterlagen als Fachkräfte. Auf dem
Papier wird suggeriert, in der Einrichtung sei alles tipptopp und das
Personal erstklassig. Dabei dürfen manche Hilfspfleger*innen nicht einmal
eine Tablettenschachtel zusammenstellen.
Vielfach üblich ist es mittlerweile auch, dass die Nachtwachen von
Auszubildenden oder von Pflegeschüler*innen übernommen werden, eine
Person allein für einen gesamten Wohnbereich. In manchen Heimen umfasst ein
Wohnbereich bis zu drei Etagen. Gibt es einen Notfall, den die
unausgebildete Nachtwache nicht behandeln kann und darf, ruft sie den
Bereitschaftsdienst zu Hause an.
Die Pflege ernsthaft aufzuwerten und menschlich zu gestalten ist eine
überaus teure Angelegenheit. Um das bezahlen zu können, müsste auch die
[2][Pflegeversicherung deutlich teurer] werden als um die von
Gesundheitsminister Spahn angekündigten höheren 0,2 Prozentpunkte im
kommenden Jahr. Diese sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das aber
wagt Spahn sicher nicht laut zu sagen.
4 Aug 2018
## LINKS
[1] /Konkrete-Vorgaben-fuer-Krankenhaeuser/!5523898
[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/pflegeversicherun…
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
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Pflege
Jens Spahn
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Pflege
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