# taz.de -- Nach Tunesien abgeschoben wie Sami A.: Khalils Odyssee | |
> Wie Sami A. wurde auch Khalil Mbarek als Gefährder nach Tunesien | |
> abgeschoben. Sein Rechtsanwalt hält das für Willkür der | |
> Sicherheitsbehörden. | |
Bild: Khalil Mbarek studiert Luft- und Umwelttechnik in München – eigentlich | |
TUNIS taz | Von München über Berlin nach Tunis – Khalil Mbarek fällt es | |
schwer, von seiner Odyssee zu erzählen. Der 28-Jährige sitzt im | |
Rechtsanwaltsbüro von Seif Eidin Makhlouf, das in einer weiß getünchten | |
Villa im gutbürgerlichen Stadteil El Manar ist. Hier fühlt sich Mbarek | |
sicher vor der tunesischen Polizei, die ihm ansonsten auf Schritt und Tritt | |
folgt, seit er vor vier Monaten an Bord eines Privatjets auf den | |
Charterflughafen Enfidha geflogen wurde. Die deutschen Behörden halten | |
Khalil Mbarek für einen Gefährder. Da sei eine Überweisung aus | |
Saudi-Arabien, seien Kontakte zu deutschen Islamisten, die in Syrien | |
kämpfen, und da sei eine zum Islam konvertierte deutsche Ehefrau, die in | |
der Öffentlichkeit ihr Gesicht unter einem Nikab verbirgt. Zwar wurden die | |
Ermittlungen gegen Mbarek ergebnislos eingestellt, dennoch hielt man ihn | |
für so gefährlich, dass man den Tunesier – [1][wie Sami A.], den | |
angeblichen Leibwächter Bin Ladens – unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen | |
abschob. | |
„Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen“, sagt Mbarek. Student der | |
Flugzeug- und Umwelttechnik der TU München ist er. War er. Nun versucht er, | |
mithilfe seines Anwaltes in einem Land Fuß zu fassen, das er vor zehn | |
Jahren verlassen hatte. | |
Viele Salafisten und Islamisten haben bereits vor Makhlouf gesessen. Er | |
verteidigte schon während des Ben-Ali-Regimes Terrorverdächtige. Aber | |
keiner der anderen Männer im Warteraum trägt einen Bart oder scheint der | |
religiösen Szene der Hauptstadt anzugehören. Verkehrsdelikte, | |
Erbschaftsprobleme, und auch der berüchtigte Paragraf 17 werden unter den | |
Wartenden diskutiert. Wen das Innenministerium verdächtigt, Teil einer | |
gefährlichen Gruppierung zu sein, wird mit diesem Vermerk zu einer Art | |
Persona non grata. Eine Wohnung zu mieten, zu reisen, einen Job zu finden | |
ist für 800.000 Tunesier, in deren Akte der Vermerk Paragraf 17 steht, | |
schwer. | |
Für Makhlouf sind Mandanten wie Mbarek oder Sami A., den er ebenfalls | |
verteidigt, Alltag: Besuch im Antiterrorgefängnis Gurjani, Verhandlungen | |
mit den Ermittlern, Richtern, selten verlässt er das Büro vor 22 Uhr. | |
## Nicht die brutalen Verhörmethoden überraschen Makhlouf | |
Reformen haben seit der Revolution vor sieben Jahren das Land verändert, | |
nur Polizei und Justiz funktionieren wegen der andauernden Terrorgefahr wie | |
eh und je. Wer einen ungestutzten Bart auf den Straßen von Tunis trägt, | |
riskiert Ärger mit den allgegenwärtigen Sicherheitskräften. „Unter dem | |
Ben-Ali-Regime reichte es oft schon, morgens zum ersten Gebet in der | |
Moschee zu erscheinen und religiöse Freunde zu haben, um als gefährlicher | |
Widerständler zu gelten“, sagt der 34-jährige Mbarek in geschliffenem | |
Deutsch. Tausende landeten in einem der 24 Gefängnisse | |
Dennoch sind es nicht die brutalen Verhörmethoden in Gurjani, über die sich | |
Makhlouf aufregt, sondern „die Willkür der deutschen Behörden in den Fällen | |
Mbarek und Sami A. Sie überrascht mich. Das sind Methoden, gegen die ich | |
hier mittlerweile immer erfolgreicher vorgehe“, sagt der Anwalt. Und Mbarek | |
sagt: „Ich weiß nicht, warum ich in diese Lage gekommen bin und verdächtigt | |
werde, ein Extremist zu sein.“ | |
Für Flugzeug-Ingenieurtechnik hatte sich Mbarek in Tunis schon | |
interessiert, sein Abitur hat er am renommierten Lycée Mohamed Omran | |
absolviert. Als Jahrgangsbester wurde er an der TU München problemlos | |
angenommen. Mit Flugzeugtechnik und Ökologie war ihm aber aufgrund der | |
Anschläge vom 11. September 2001 auch die Aufmerksamkeit der bayerischen | |
Sicherheitsbehörden sicher. „Ich habe doch ebenfalls Ökologie studiert, was | |
soll an der Studienfachwahl merkwürdig sein, nur weil ich Araber bin“ | |
Mbarek ist ein freundlicher, ruhiger Mann mit Vollbart, der gerne unter | |
Leuten ist, wie er sagt. In München hat er 2012 seine Frau kennengelernt, | |
sie war schon voll verschleiert, als er sie traf, betont er. Zwei Kinder | |
hat das Paar, sie betreibt eine Sprachschule, er probierte neben dem | |
Studium, mit Olivenöl aus Tunesien zu handeln oder Gebrauchtwagen nach | |
Saudi-Arabien zu exportieren. Die Zahlung von 30.000 Euro aus Saudi-Arabien | |
machte die Ermittler der [2][Innenbehörde in München] stutzig. Als er 2013 | |
mit offensichtlich unter Beobachtung stehenden Radikalen in Verbindung | |
steht und ihnen Geld leiht, beginnt die Überwachung. Ein | |
Ermittlungsverfahren verläuft im Sande, doch der Besuch von verdächtigen | |
Moscheen, der weitere Kontakt mit unter Verdacht stehenden Islamisten | |
lassen die bayerische Innenbehörde zu dem Schluss kommen, dass Khalil | |
Mbarek abgeschoben werden soll. | |
## Drohungen, Schläge, verdreckte Zellen | |
Dann geht einiges schief: Sein Münchner Rechtsanwalt versäumt die | |
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, Mbarek will am letzten möglichen Tag | |
in Berlin mit dem bekannten Menschenrechtsanwalt Eberhard Schulz sprechen, | |
der Einspruch gegen die auslaufende Aufenthaltserlaubnis erwirken will. | |
Doch die Fahnder aus Bayern brechen nachts die Zimmertür des Berliner | |
Hotels auf, in dem Mbarek mit seiner Frau und den Kindern übernachtet. | |
Noch in der Nacht wird er nach München gebracht und ausgeflogen. „Ich | |
konnte weder meinen Anwalt anrufen noch mit meiner Familie sprechen“, sagt | |
Mbarek. „Du musst ja besonders gefährlich sein, wenn die Deutschen dich mit | |
einer Sondermaschine ausfliegen, sagt der Kommandeur der 20 Mann starken | |
Truppe der tunesischen Antiterroreinheit, die ihn in Tunesien in Empfang | |
nimmt und ins Gurjani-Gefängnis bringt. Er erlebt Drohungen, Schläge, | |
stundenlanges Stillsitzen, überfüllte und verdreckte Zellen. Deutsche | |
Anwälte und Mohamed Makhlouf, der von Mbareks Frau alarmiert worden war, | |
bewahren ihn vor Schlimmerem. | |
In Sousse wohnt Mbarek nun bei seinem Vater. Die Kinder sind bei ihm, Geld | |
schickt seine Frau aus Deutschland. Ihr wurde die Einreise im Hafen von | |
Goulette verwehrt, einem Beamten missfiel ihr Schleier. Die handgreifliche | |
Auseinandersetzung schaffte es in die Medien, und im Parlament warfen | |
Abgeordnete der moderaten Islamisten der Ennhada-Partei dem | |
Innenministerium vor, an den Ehepaar Mbarek ein Exempel statuieren zu | |
wollen. „Die Polizeigewerkschaft hat auf ihrer Facebook-Seite eine Art | |
Fahndungsbild gepostet mit der Aufforderung, gegen mich vorzugehen, da die | |
Gerichte nicht ihre Arbeit gemacht hätten“, sagt Mbarek und deutet auf den | |
Text. „In Deutschland und Tunesien haben sich die Sicherheitsbehörden | |
selbstständig gemacht.“ | |
Tausende junge Tunesier haben in Libyen oder Syrien gekämpft, viele wollen | |
zurück. Jeder unter 30-jährige Tunesier, der über Istanbul nach Tunis | |
einreist, wird überprüft, viele landen zum Verhör im Antiterrorgefängnis | |
Gurjani und leben dann unter Paragraf 17 in einer Schattenwelt. | |
## „Zwischen der Polizei und uns herrscht Krieg“ | |
Neben den rund 8.000 IS-Söldnern versucht die Justizbehörde auch unter der | |
40.000 Mann starken Salafistenszene die Radikalen zu identifizieren. Die | |
aus Deutschland in diesem Jahr abgeschobenen 155 Tunesier spielen da weder | |
für das Justizministerium noch für Anwälte wie Seif Edin Makhlouf eine | |
große Rolle. Während Reformen Tunesien nach der Revolution in vielen | |
Bereichen zum Vorbild der arabischen Welt gemacht haben, haben die | |
Terroranschläge auf Touristen in Tunesien jede Veränderung im Strafvollzug | |
verhindert. Wer sich ein Video des Islamischen Staats herunterlädt, macht | |
sich schuldig und muss mit bis zu vier Jahren Gefängnis rechnen. | |
Deradikalisierungsprogramme für Rückkehrer gibt es nicht, Gewalt in | |
Gefängnissen bleibt meist ungesühnt. | |
„Zwischen der Polizei und uns herrscht Krieg“, sagt einer der Mandanten von | |
Anwalt Makhlouf. | |
3 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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