# taz.de -- Kommentar zur Diskussion Seenotrettung: Die schleichende Selbstaufg… | |
> Menschenrechte einschränken, um ihre grundsätzliche Akzeptanz nicht zu | |
> gefährden? Wer so über Seenotrettung diskutiert, gibt Demagogen recht | |
Bild: „Seenotrettung ist kein Verbrechen“ | |
In sozialen Medien wird gerade heftig über einen [1][Text von Mariam Lau in | |
der Zeit diskutiert.] Unter der Überschrift „Oder soll man es lassen?“ (die | |
auf Online dann geändert wurde und für die sich die Chefredaktion | |
inzwischen entschuldigt hat) hatte die Wochenzeitung ein Pro und Contra zur | |
privaten Seenotrettung Geflüchteter im Mittelmeer veröffentlicht. | |
Mariam Lau schrieb da, warum die Retter „das Problem vergrößern“ und die | |
zivile Seenotrettung eingestellt werden sollte. Warum an der konkreten | |
Argumentation so ziemlich alles falsch ist, dazu hat Kollege [2][Christian | |
Jakob bereits am Freitag] auf taz.de alles Wesentliche gesagt. | |
Ein Satz allerdings sticht heraus. Über die Retter, schreibt Lau, und das | |
ist als schärfste Kritik gemeint: „Ihr Verständnis von Menschenrechten ist | |
absolut kompromisslos.“ | |
Die Denkfigur, die hinter diesem Satz steht, hat Lau offenbar von John | |
Dalhuisen übernommen, bis vor Kurzem noch Europa-Direktor von Amnesty | |
International. Er hat die Organisation inzwischen verlassen – weil sie ihm | |
zu kompromisslos ist. | |
Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte Dalhuisen: Wenn man auf Rechten | |
beharrt, deren Verwirklichung ein Großteil, gar eine Mehrheit der | |
Bevölkerung inzwischen ablehnt, wird man alles verlieren. Sein Beispiel: | |
Der Ausgang der Italien-Wahl, aber auch insgesamt die Stärkung der Rechten | |
in nahezu allen europäischen Ländern. | |
## Aufgegeben, Menschen überzeugen zu wollen | |
Mariam Lau folgt diesem Denkmuster, wenn sie schreibt: „Wer mit dem Verweis | |
auf Menschenrechte jede Sicherung der Grenzen zu verhindern versucht, wird | |
am Ende denen in die Hände spielen, die gar kein Asylrecht mehr wollen.“ | |
Beide führen als Beispiel die Frage an, was wohl passiert wäre, wenn Europa | |
sich nach 2015 nicht abgeschottet hätte, sondern den Ratschlägen von NGOs | |
und Menschenrechtsorganisationen gefolgt wäre, also offene Grenzen und | |
sichere Fluchtrouten geschaffen hätte. „Wie lange würde es wohl dauern, bis | |
die letzte demokratische Regierung fällt?“, fragt Lau. | |
Wer so argumentiert, hat es aufgegeben, Menschen überzeugen und Mehrheiten | |
schaffen zu wollen. Es ist ja schließlich kein Naturgesetz, dass immer mehr | |
Menschen in den westlichen Industrieländern Migration als größtes Problem | |
ihrer Zeit empfinden. Es ist ein von völkischen Demagogen erzeugter Effekt, | |
den manche etablierte Politiker ausnutzen, um vom eigenen sozialpolitischen | |
Versagen abzulenken. | |
Das Empfinden dieser Menschen ist doch aber real, könnte man einwenden, | |
also muss man darauf reagieren. Allerdings: Zurückweichen, um den Gegner | |
aufzuhalten, das funktioniert nicht. Wer das fordert, betreibt | |
Selbstaufgabe. | |
## Rechte der Geflüchteten opfern | |
Beeindruckt von den rechten Wahlerfolgen und gesteuerten Kommentarlawinen | |
im Netz, wird postuliert, es sei schlicht nicht möglich, alle | |
Menschenrechte zu verteidigen, weil das der Mehrheit nicht vermittelbar | |
sei. Deshalb müsse man einige Rechte – und zwar die der Geflüchteten – eb… | |
opfern, um den Großteil – also die eigenen – zu schützen. | |
Denn, so erklärt es Dalhuisen: „Niemand sollte annehmen, internationale | |
Menschenrechtskonventionen seien unabänderlich. Sie sind veränderbar und | |
werden verändert werden, wenn eine Mehrheit das will.“ | |
Das gilt aber nur dann, wenn diejenigen, die das Konzept der Menschenrechte | |
verstehen, gar nicht mehr den Versuch der Verteidigung und Erklärung | |
unternehmen, sondern dem Stammtisch hinterherlaufen. Auf die Seenotrettung | |
übertragen: Glaubt wirklich irgendjemand, dass die neue völkische Rechte | |
ihre rassistische Offensive aufgibt, wenn Europa die Menschen im Mittelmeer | |
ertrinken lässt? | |
Glaubt jemand, dass es der verbliebenen demokratischen Mehrheit in | |
Deutschland und Europa leichter fällt, den gesellschaftlichen Konsens gegen | |
rechts zu verteidigen, wenn die eigenen Regierungen die elementarsten | |
Selbstverständlichkeiten über den Haufen werfen? Wenn Demokratie und | |
Rechtsstaat das tun, gewinnt die Rechte kampflos. | |
14 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/2018/29/seenotrettung-fluechtlinge-privat-mittelmeer-pr… | |
[2] /Kommentar-EU-Fluechtlingspolitik/!5521878/ | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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