# taz.de -- Rechter Diskurs in „Mainstreammedien“: Abgestumpft und ohnmäch… | |
> Was vor fünf Jahren einen Protestschrei nach sich gezogen hätte, ist | |
> heute Alltag. Schuld daran sind vor allem wir – die Presse. | |
Bild: Unter dem Deckmantel des Bürgerwillens wird geschrieben, was schon lange… | |
Wisst ihr was Leute? Heute setzen wir uns mal hin und debattieren gepflegt | |
darüber, [1][ob man Menschen ertrinken lassen sollte]. Also so ganz | |
konkret. Soll man die aus dem Wasser ziehen oder lieber dabei zusehen wie | |
sie elendig ersaufen? | |
Und dann laden wir uns ein paar Leute in die Talkshow ein, die der Meinung | |
sind, dass Kümmeltürken zurück in ihre Lehmhütten sollen. Oder jemanden der | |
den Holocaust verharmlost. Vielleicht erklären die uns ja, wie sie das | |
eigentlich meinen. | |
Danach machen wir dann ein Cover mit der Schlagzeile [2][„Es war einmal ein | |
starkes Land“], in dem wir den Untergang einer der reichsten Nationen der | |
Welt heraufbeschwören und vielleicht noch eine Talkshow, in die wir diesmal | |
eine Frau einladen die gerne auf wehrlose Menschen an den Außengrenzen | |
schießen möchte. Wer ist dabei? | |
Was, trotz der schon immer unsäglichen realen Zustände in diesem Land, vor | |
fünf Jahren einen unvorstellbaren Protestschrei nach sich gezogen hätte, | |
ist nun Alltag. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir ernsthaft | |
glauben, es wäre nötig Rassisten, Sexisten und Faschisten eine Plattform zu | |
geben. Und mit „Wir“ meine ich die Presse in diesem Land. | |
## Klicks aus beiden Lagern | |
Nicht etwa einmal oder zweimal. Sondern täglich. Immer und immer wieder. | |
Überall. Und warum? Weil man abbilden muss, was hier geschieht, und weil | |
man den Rechten in die Hände spielt, wenn man ihre Sorgen nicht ernst | |
nimmt. So hört man es immer wieder. Weil es wichtig ist mit und nicht über | |
Menschen zu reden. Oder weil es ganz schön viele Klicks und Quoten aus | |
beiden Lagern bringt. Das wäre zumindest die ehrlichste Antwort. | |
Der Aufschrei war groß als die AfD im September 2017 auf 12,6% der Stimmen | |
kam. Ein solcher Erfolg war offenbar in den Köpfen einiger Bürger und | |
Pressevertreter nicht vorstellbar. Dabei liegt der eigentliche Erfolg der | |
neuen Rechten ganz woanders: Sie haben es geschafft, dass wir Dinge wieder | |
für diskutabel halten, die indiskutabel waren und eigentlich immer noch | |
sind. Sie haben es geschafft, dass eine breite Presselandschaft glaubt, | |
Menschen eine Plattform bieten zu müssen, die sich offen gegen die | |
Menschlichkeit aussprechen. | |
Dass wir es inzwischen als normal empfinden, täglich von verbalen | |
Entgleisungen zu lesen, die die Geschichte dieses Landes und ihre Opfer | |
[3][mit den Füßen tritt]. Dass es nicht mehr reicht, zu wissen was jemand | |
meint. Dass wir uns täglich an der Nase herumführen lassen von den | |
Tabubrüchen und den anschließenden Ausflüchten und Erklärungen. | |
Die Diskursverschiebung nach rechts in den Medien, ist gewiss kein Zufall. | |
Die Schnelligkeit mit der sie von statten ging spricht dafür, dass viele | |
der Pressevertreter nur darauf gewartet haben. Unter dem Deckmantel des | |
Bürgerwillens wird geschrieben, was im Hinterstübchen schon lange gedacht | |
wurde. | |
Denn auch wenn uns das heute weiß gemacht wird: Die Prä-AfD-Zeit war ganz | |
bestimmt keine linke Gesellschaft nach dem [4][Vorbild der 68er]. Man darf | |
aber nicht unterschätzen, wie viele Köpfe in diesem Land sich heimlich | |
daran gerieben haben, dass bestimmte Dinge nicht mehr sagbar sind, dass es | |
zumindest nach außen einen gewissen Konsens gab, was moralisch und was | |
unmoralisch ist. | |
## Entgrenzung des Sagbaren | |
Und der andere Teil? Der ist dem Irrglauben erlegen, dass man die | |
Perversion der neuen Rechten demaskieren könne. Dass man nur deutlich genug | |
herausarbeiten müsse, was die da eigentlich sagen. Dann würden die Leute | |
doch merken, dass so etwas nicht geht. Das kann doch niemand mehr gutheißen | |
was da gesagt wurde. Oder? | |
Pustekuchen! Die andauernde Präsenz der neorechten Thesen hat zu einer | |
Abgestumpftheit und Ohnmacht geführt, die wir uns lange nicht vorstellen | |
konnten. Verbale Ausfälle sind längst kein Grund mehr für soziale Ächtung, | |
ganz im Gegenteil. Ein kurzer Aufschrei, dann haben wir eine weitere Hürde | |
des Sagbaren genommen. | |
Die verbalen Grausamkeiten zu ignorieren ist keine Option. Sie tagtäglich | |
abzubilden und den Protagonisten des Rechtsrucks eine Stimme zu geben, hat | |
uns dahin geführt wo wir jetzt sind. All jenen die der Meinung sind, sie | |
würden nur die Meinung im Land widerspiegeln oder seien mutige Querdenker | |
sei gesagt: Jeder neue Tabubruch war und ist nur noch ein weiterer Schritt | |
zur totalen Enthemmung. Denn, der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das | |
kroch. | |
17 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Juri Sternburg | |
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