# taz.de -- Radverkehr in Berlin: Die Bordsteinkante der Revolution | |
> Das Berliner Radgesetz gilt als bahnbrechend. Die taz erlebt gerade, | |
> warum es sich in der Praxis als schwer umsetzbar erweisen könnte. | |
Bild: Eindeutig zu hoch, dieser Bordstein | |
Lenin wird dieser schöne Satz zugeschrieben: „Revolution in Deutschland? | |
Das wird nie etwas. Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, | |
kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Viele halten das für in der | |
Sache korrekt, obwohl es längst keine Bahnsteigkarten mehr gibt. Letztlich | |
beschränkt man sich deshalb darauf, den großen Begriff „Revolution“ für … | |
nicht ganz so großen gesellschaftlichen Veränderungen zu verwenden. | |
Zum Beispiel für das Radgesetz, das vergangene Woche im Abgeordnetenhaus | |
verabschiedet wurde und das erste seiner Art in Deutschland ist. Eine | |
Revolution, nach deutschen Maßstab. Und ganz im Lenin’schen Sinne. Denn | |
genauer betrachtet ist das Gesetz eher die Bahnsteigkarte. Und jetzt muss | |
man sehen, wohin der Zug fährt. | |
Auch die taz will ihren Beitrag zur Revolution leisten. Deswegen gibt es im | |
gerade fertig werdenden Neubau von Redaktion und Verlag am südlichen Ende | |
der Friedrichstraße keine Tiefgarage für Autos, sondern nur eine für 96 | |
Fahrräder. Nun baut aber ausgerechnet Friedrichshain-Kreuzberg, der Bezirk, | |
der am ehesten im Verdacht revolutionärer Politik steht, dem | |
gesellschaftlichen Fortschritt Hürden auf. | |
## Runter soll der Bordstein | |
Was ist geschehen? Damit alle MitarbeiterInnen die Tiefgarage möglichst | |
einfach erreichen, hat die taz beantragt, direkt vor dem Eingang eine | |
Gehwegüberfahrt – kurz GWÜ – zu bauen. Sprich: Den Bordstein dort so | |
abzusenken, dass man drüberfahren kann, ohne nachher eine Acht im Rad zu | |
haben. Dafür muss aber der Autoparkplatz direkt vor der Gehwegabsenkung | |
wegfallen. | |
Das missfällt dem Bezirksamt. Dort teilte man der taz bereits Ende Oktober | |
mit: „Der 2. GWÜ für die Fahrradfahrer kann ich nicht zustimmen. Die | |
Radfahrer können absteigen und über die 1. GWÜ auf den Gehweg gelangen.“ | |
Nun befindet sich die 1. Gehwegüberfahrt am anderen Ende des fast fertigen | |
Neubaus, die Radler müssten ihr Rad gut 30 Meter schieben. Deswegen schrieb | |
taz-Geschäftsführer Kalle Ruch in seiner Antwort: „Ihr Vorschlag … ist ja | |
nett gemeint, wird in der Realität aber nur zu unnötigen Gefährdungen | |
führen.“ | |
Die nicht so nette Begründung: Fahrradfahrer in Berlin seien „generell | |
schon uneinsichtige Menschen und schwererziehbar.“ Sie würden das | |
Fahrverbot auf Fußwegen missachten. In Zeiten einer „neuen Fahrradpolitik“ | |
müsste doch der Verzicht auf einen Autostellplatz durchsetzbar sein. Falls | |
nicht, werde die taz klagen. Das passiert nun: Am 21. Juni hat die taz | |
Klage gegen den Bezirk eingereicht. | |
Und so landet die Revolution vor Gericht. Lenin würde lachen. | |
9 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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