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# taz.de -- Befreiung des weiblichens Begehrens: Angst vor der potenten Frau
> Die Philosophin Svenja Flaßpöhler kritisiert in ihrem Buch die
> #metoo-Debatte und plädiert für weibliche Lust. Das wirft wichtige Fragen
> auf.
Bild: „Zu fühlen, zu zeigen und zu sagen, was ich will, ist geil“, sagt Kr…
Vor einigen Wochen stieß ich auf ein Zitat, das mich begeisterte: „Die
potente Frau ist eine, die patriarchale Denkmuster abgelegt hat. Die ein
eigenes Begehren hat. Und sich nicht darauf beschränkt, Spiegel des
männlichen Begehrens zu sein und ihn in seiner Grandiosität zu bestätigen.
Anstatt die männliche Sexualität abzuwerten, wertet sie die eigene auf.“
Geschrieben hat das die Philosophin Svenja Flaßpöhler in ihrem gerade
erschienenen Buch „Die potente Frau“. Flaßpöhler ist dafür vo[1][n
Feministinnen angegriffen worden], denn sie positioniert sich darin als
Antagonistin der #MeToo-Bewegung. Diese, meint Flaßpöhler, schreibe die
patriarchale Erzählung von der Frau als Opfer der aggressiven männlichen
Sexualität fort. Flaßpöhler plädiert für einen offensiveren Begriff von
Weiblichkeit: Frauen müssten ihre eigene Potenz begreifen und leben,
anstatt in passiver Anklage zu verharren. Sie vermisse die Frau als Aktive,
als Verführerin, in #MeToo zeige sich „eine auffällige Leerstelle des
weiblichen Begehrens“.
Ich finde es fragwürdig, den Frauen, die über ihre Erfahrungen mit
sexueller Gewalt sprechen, mangelnde eigene sexuelle Aktivität vorzuwerfen.
Außerdem verkennt es die Dimension der #MeToo-Debatte. In ihr geht es
darum, sexuelle Gewalt als Struktur und Mittel zum Machterhalt sichtbar zu
machen. Dass die Protagonistinnen der Debatte dies ausgesprochen und
angeklagt haben, lese ich ziemlich klar als Geste der Ermächtigung und als
Erfolg im Kampf um sexuelle Selbstbestimmung.
Trotzdem bin ich unbeirrt begeistert, denn Flaßpöhler thematisiert, was oft
unaussprechlich scheint: die sexuell aktive Frau. Die Frau und ihre Potenz.
Die Frau, die ihr Potenzial erkennt und ausschöpft. Flaßpöhler schreibt:
„Die potente Frau ist weder Realität noch unerreichbares Ideal. Sie ist
eine Möglichkeit. Warum ergreifen wir sie nicht?“
## Arbeit mit der Potenz
Gute Frage. Sie beschäftigt mich jeden Tag. Es ist meine tägliche Arbeit,
Menschen aller Geschlechter auf ihrem Weg in ihre sexuelle Potenz zu
begleiten. Außerdem arbeite ich mit meiner eigenen weiblichen Potenz. Das
darf gern sehr weit und fantasievoll ausgelegt werden, das kommt der
Wahrheit vermutlich am nächsten. Ich bin Sexarbeiterin und biete
Einzelsessions, Workshops und Coaching für Sexualität, BDSM und Bondage
an. Spezialisiert habe ich mich auf die Arbeit mit Frauen.
Die Frauen, die zu mir kommen, sind potent. Sie bezahlen Geld, um sich den
Weg zu ebnen für eine Zeit, die nur ihrer eigenen Lust gewidmet ist. Sie
nehmen sich den Raum, in dem ich dafür da bin, ihre Wünsche zu erfüllen. Er
ist extraordinär, aber auch nicht frei von der Geschichte dieser Frauen:
Wenn Frauen zu mir kommen, die nach 25 Jahren Ehe den ersten Orgasmus mit
einer anderen Person erleben als sich selbst, wenn sie überhaupt je einen
hatten; wenn Frauen bei mir sind, die sich dafür entschuldigen, dass sie
zugenommen haben; wenn Frauen zu mir kommen, die gar nicht wissen, was
ihnen Lust bereitet, weil sie sich seit ihrer Pubertät um die Sexualität
ihres zumeist männlichen Gegenübers gekümmert haben; wenn Frauen ihre
Anatomie nicht kennen und ihre Vulva nie berührt haben, weil Selbstliebe
weder in der Schule noch zu Hause auf dem Lehrplan stand, dann weiß ich: Es
ist noch Luft nach oben.
Zu mir kommen aber auch Frauen, derentwegen ich schon mit arbeitsbedingten
Tennisarmen beim Orthopäden saß, weil sie sich wiederholt auf meiner Hand
oder meinem Unterarm ergossen haben. Es kommen Frauen, die ganz genau
wissen, wie und wie oft sie kommen und was sie dafür brauchen, die bei mir
einfach einen weiteren Höhenflug in ihrem sexuellen Horizont finden. Ich
darf dabei schwitzen, sie fesseln oder ihnen in anderer Art zu Diensten
sein. Nymphomaninnen, die mehr als einen Fick brauchen, um überhaupt erst
warm zu werden, sind keine Männerfantasie. Frauen, die ihre Sexualität
leben, sind durchaus beängstigend, im besten Sinne. Frauen, die sexuell
selbstbestimmt sind, sind unabhängig. Sehr scary. Für viele. Männer und
Frauen.
## „Ja“ zum weiblichen Sex
Flaßpöhler postuliert, dass „Nein heißt Nein“ nicht das Ende der
Fahnenstange der weiblichen sexuellen Emanzipation ist. Das stimmt. Nur:
Woher kommt die Angst vor dem beherzten „Ja“ von Frauen?
Ich frage aus existenziellem Interesse. Als Sexarbeiterin weiß ich, dass
ich mich mit einem öffentlichen „Ja“ zu Sex (mit Männern und Frauen) mit
mehr kulturellen Tabus anlege, als wenn ich mich züchtig oder streitbar
verweigere. Die Frau, die Ja sagt zu ihrem Begehren und zu ihrer Lust, und
zwar um ihrer selbst willen, ist für viele nicht denkbar. Das zeigt sich
zum Beispiel in der aktuellen Gesetzgebung.
Seit Juli letzten Jahres ist das sogenannte
[2][Prostitutions„schutz“gesetz] in Kraft. Dieses Gesetz zielt vor allem
auf Ausgrenzung und die existenzielle Gefährdung von Sexarbeiter*innen. Mit
der Einführung der Registrierungspflicht für Prostituierte ist nun
gesetzlich definiert, wer als Sexarbeiter*in gilt: Selbst sexuelle
Handlungen gegen geldwerte Zuwendungen, wie Geschenke, Übernachtung oder
andere materiellen Vorteile, gelten als Prostitution. Dabei spielt die
Regelmäßigkeit keine Rolle. Bereits eine einmalige sexuelle Handlung gegen
„Taschengeld“, ein Abendessen oder Schmuck gilt rechtlich als Prostitution.
Und erfordert formal eine Anmeldung als „Sexarbeiterin“ bei der Behörde –
mit ihrem vollen Namen und der Angabe aller persönlichen Daten. Deutschland
hat jetzt wieder eine Kartei der losen (weiblichen) Subjekte: Deutschlands
Huren sind erfasst.
Aber der Kampf gegen Huren ist auch immer einer gegen promiskuitive Frauen.
Das hat Geschichte. Nun gibt es selbst laut Gesetz kaum noch einen
Unterschied zwischen einer „Schlampe“ und einer „Hure“. Zumindest, wenn
frau sich in einer heterosexuell kodierten Anbahnungskultur bewegt, in der
von Männern nach wie vor Initiative erwartet wird mit dem entsprechenden
Werbeverhalten im Sinne von Schmuck oder Geschenken. Willkommen in 2018! Es
ist keine gute Zeit für die sexuell potente Frau, die sich in der
monogamen, dauerhaften Zweierbeziehung vielleicht langweilt.
Flaßpöhler wird als unsolidarisch erklärt, weil sie Frauen auffordert, mehr
Verantwortung in Situationen zu übernehmen, die als übergriffig, unangenehm
oder einfach als nicht erwünscht erlebt werden. Das heißt auf Deutsch: sich
zu artikulieren und Grenzen zu setzen, charmant oder eben auch nicht. Was
für eine Feministin wäre ich, wenn ich nicht daran glauben würde, dass
Frauen das können?
## Sex ist gefährlich
Sex, und das lassen Sie sich vom Profi gesagt sein, ist keine sichere
Angelegenheit. Sex ist sogar ziemlich gefährlich und manchmal außer- und
unordentlich. Sich verletzlich machen, intim werden ist nicht sicher.
Auszudrücken, mehr Nähe zu wollen und damit leben zu können, dass dieses
Begehr nicht erwidert wird, ist für fast alle Menschen destabilisierend.
Im intimen Kontakt verschwimmen Grenzen, auch darin liegt Wonne. Es gibt
noch keine Schule, keine Kultur um die Frage, wie dieser Vorgang freudvoll
gestaltet sein kann. Es gibt alte und langweilige Codes im heterosexuellen
Kontext. Um den Preis, dass rückständige Rollenbilder sich endlos
reproduzieren, werden diese wiederholt, um sich auf sicherem Terrain zu
glauben. Übrigens auch von Frauen.
Es ist Arbeit, etwas Neues zu entwickeln. Mein Eindruck ist, dass alle
ideologischen Debatten da enden, wo mein Leben beginnt: in der Praxis. Dazu
gehört die Rede über die potente Frau. Sie wird unsere Ordnung infrage
stellen, deshalb geht es auch nicht reibungsfrei.
Sexuelle Kommunikation ist mein Job. Gelungene sexuelle Dialoge sind das
Ziel meiner Arbeit, das „Ja“ ist die Basis. Ich weiß aus vielen Jahren
Erfahrung, wie anstrengend das sein kann. Es hat mich nicht nur mit
zweifellos patriarchalen Strukturen konfrontiert, sondern auch zutiefst
mein eigenes Verhalten infrage gestellt. Auch ich habe mich in der
sexuellen Anbahnung immer wieder gefragt: Wie angepasst bin ich? Kann ich
mich spüren? Wie oft lächle ich, um die Stimmung nicht kaputt zu machen,
und finde mich anschließend trotzdem in einer Situation, die ich so nicht
wollte?
Zu oft stand ich zögernd vor der Entscheidung, den nächsten Schritt zur
Veränderung einer Situation herbeizuführen, die nicht meinen Vorstellungen
entsprechend lief. Die Gründe für das Zögern: tief in den Körper
eingeschrieben. Woher eigentlich? Wer impft uns weiblich sozialisierten
Wesen so früh ein, dass wir im sexuellen Dialog gefallen wollen, anstatt
uns auszudrücken? Zu ungewohnt, anstrengend, nicht weiblich, Angst, kein
Gefühl – und dennoch möglich.
Good news! Sexuelle Kommunikation ist lernbar. Zu fühlen, zu zeigen und zu
sagen, was ich will, ist geil. Empathie und Respekt sind heiß. Konsens ist
sexy! Ich hab’s gelernt und gebe dieses Wissen großzügig weiter. Sexarbeit
war mein Bootcamp für das gute Leben im Patriarchat.
4 Jul 2018
## LINKS
[1] /!5502572/
[2] /Kommentar-Prostituiertenschutzgesetz/!5236709/
## AUTOREN
Kristina Marlen
## TAGS
Frauen
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Feminismus
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