# taz.de -- Grüne über Berliner Mobilitätsgesetz: „Ein Gesetz für die Sch… | |
> Die Grüne Fraktionschefin Antje Kapek verspricht sichtbare Veränderungen | |
> für Radfahrer bis zur nächsten Wahl. Und zwar auch dort, wo es weh tut. | |
Bild: Antje Kapek im Abgeordnetenhaus | |
taz: Frau Kapek, fahren Sie Fahrrad in der Stadt? | |
Antje Kapek: Ja, regelmäßig. Ich bringe meine beiden Kinder mit dem Fahrrad | |
zur Kita und zur Schule und fahre damit auch zur Arbeit. Gerade habe ich | |
mir ein neues Modell geleistet, das alte war einfach durch. | |
Es gibt da ja so ein komisches Paradox: Die Leute finden Radfahren in | |
Berlin einerseits toll, deswegen machen es ja auch immer mehr. Andererseits | |
stöhnen alle über die miesen Bedingungen. Was überwiegt bei Ihnen, der Spaß | |
oder der Frust? | |
Ich vergleiche Berlin da gerne mit anderen europäischen Metropolen. Wenn | |
ich in Brüssel mit dem Fahrrad unterwegs bin, komme ich mir bisweilen wie | |
ein mobiles Lager für Organspenden vor, in London war das früher ähnlich. | |
Dagegen ist das Fahren etwa in Amsterdam und überhaupt in Holland ganz | |
anders, viel sicherer und bequemer. Man teilt sich den gemeinsamen | |
Straßenraum dort viel bewusster, und es fahren auch viele sowohl mit dem | |
Fahrrad oder den Öffentlichen als auch mit dem Auto. Dadurch sind sie mit | |
der Perspektive des jeweils anderen vertraut. In Berlin ist es eher so, | |
dass jeder stur auf seinem Recht beharrt. Ich würde mir wünschen, dass wir | |
auch hier stärker die Perspektive der anderen einnehmen könnten. Seit ich | |
Kinder habe, fahre ich auch ab und zu mal mit dem Auto. Am Moritzplatz in | |
Kreuzberg habe ich gemerkt, dass der Platz für Fahrradfahrer optimal | |
umgestaltet wurde, während es für die Autofahrer nicht mehr leicht ist, den | |
Überblick zu behalten. Seit mir das klar ist, fahre ich dort auch mit dem | |
Rad aufmerksamer und gebe immer ganz doll Handzeichen /(lacht)/. | |
Am Donnerstagabend wird die Verabschiedung des Mobiliätsgesetzes groß | |
gefeiert, feiern Sie mit? | |
Ich werde nach der Abstimmung im Abgeordnetenhaus feiern, da werden ja auch | |
die RadaktivistInnen dabei sein. Am Abend kann ich leider nicht, weil meine | |
Tochter am selben Tag fünf wird. Bei aller Sympathie für die Party des | |
Volksentscheids, der Geburtstag meiner Tochter geht vor. | |
Ist das Mobilitätsgesetz ein genuin grünes Projekt? | |
Natürlich ist es ein Projekt mit grüner Handschrift. Wenn Sie sich einmal | |
die parlamentarischen Anträge und Positionen von grünen PolitikerInnen in | |
der vergangenen Legislaturperiode anschauen – etwa von Stefan Gelbhaar, der | |
inzwischen im Bundestag sitzt, werden Sie sehen, dass wir diese Themen seit | |
langem vorantreiben. Ich würde es aber als das Projekt der gesamten | |
Stadtgesellschaft begreifen, an dem Rot-Rot-Grün und auch die vielen | |
AktivistInnen rund um den Volksentscheid Fahrrad teilhaben. Für uns Grüne | |
ist es ganz sicher das wichtigste gesetzgeberische Projekt in dieser | |
Legislaturperiode. Auch danach bleibt bei der Verkehrssicherheit viel zu | |
tun. | |
Hätte nicht auch ein Senat ohne grüne Beteiligung so ein Gesetz auf die | |
Beine stellen müssen, einfach, weil der Druck so stark geworden war? | |
Unter einer Neuauflage Rot-Schwarz wäre das nicht möglich gewesen. Wir | |
Grünen hatten schon einen großen Anteil daran, das Thema voranzubringen und | |
in ein Gesetz zu gießen, natürlich auch KollegInnen von der Linken und der | |
SPD. Gerade an der SPD-Basis gibt es viele Menschen, die mit grünen | |
Positionen beim Thema Verkehr ganz stark übereinstimmen. | |
Waren Sie sauer, als die SPD kurz vor Schluss noch einmal mit einem Bündel | |
an Änderungsanträgen um die Ecke kam und auch ihr Herz für Autos | |
wiederentdeckt hatte? | |
Da verweise ich gerne auf meinen Kollegen Georg Kössler. Als der Ruf nach | |
einem Auto-Kapitel im Gesetz laut wurde, hat er gleich einen Vorschlag | |
getwittert. Sein Text für einen Auto-Abschnitt lautete einfach: „Es gilt | |
die StVO.“ In dieser Stadt wurde doch seit 50 Jahren, im Grunde schon seit | |
dem Krieg, Verkehrspolitik für Autos gemacht, jetzt sind endlich auch mal | |
die anderen dran. | |
Wenn wir uns den Weg vom Berlin, wie wir es heute kennen, zu einer | |
fahrradgerechten Stadt vor Augen halten: An welchem Punkt sind wir da | |
gerade? | |
Also biografisch gesprochen würde ich sagen: zwischen Kindergarten und | |
Grundschule. Es wird auf jeden Fall noch eine Weile dauern, bis die Effekte | |
des Gesetzes in der ganzen Stadt sichtbar sein werden. Es geht ja auch | |
nicht darum, nur ein bisschen grüne Farbe auf die Straße zu kippen. Das | |
wird ins Rollen kommen, und die Verwaltungen werden ihre Arbeit tun. Sie | |
müssen berücksichtigen, dass es in der Senatsverwaltung bis vor kurzem | |
gerade einmal zwei Personalstellen für die Planung der Radinfrastruktur | |
gab. | |
Haben Sie keine Sorge, dass die extrem hohen Erwartungen bei vielen bis zur | |
nächsten Wahl enttäuscht werden? Das Projekt braucht ja einen langen Atem | |
und wäre durch einen erneuten Wechsel der Koalition gefährdet. | |
Bis dahin ist etwas zu sehen, da können Sie sicher sein. Wir sind fest | |
entschlossen, dieses Gesetz umzusetzen, dafür sind wir schließlich gewählt | |
worden. | |
Zum Umbaustart an der Karl-Marx-Allee wurden böse Stimmen laut, die sagten: | |
Gerade da wäre es nicht nötig gewesen, die Straße ist extrem breit, für | |
Radler gab es überhaupt kein Problem. Ist zu befürchten, dass die | |
Verwaltungen erst einmal alles abschöpfen, was konfliktfrei umzusetzen ist? | |
Es wird ganz sicher nicht nur dort gebaut werden, wo viel Platz ist. Aber | |
natürlich wird es auch jede Menge Widerstände geben, und da werden wir mit | |
den Betroffenen, vielleicht auch zusammen mit lokalen Mobilitätsinitiativen | |
Lösungen suchen und finden. | |
Die Opposition wird auch versuchen, es Ihnen schwerzumachen. | |
Da können Sie sich sicher sein. Aber diese Opposition lässt sich ja nicht | |
einmal erweichen, wenn Kinder beim Fahrradfahren ums Leben kommen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Ich denke da an den Tod des achtjährigen Jungen in Spandau, der vor den | |
Augen seiner Mutter von einem Lastwagen überfahren wurde. Mich hat das sehr | |
erschüttert, auch weil ich genau an diesem Tag selbst mit meinem Sohn auf | |
dem Fahrrad unterwegs gewesen war und eine unschöne Situation mit einem Lkw | |
erlebt hatten. Ich muss seitdem immer wieder an die Eltern dieses Kindes | |
denken. Später an dem Tag standen in der Plenarsitzung viele zusammen und | |
waren bestürzt von dieser Meldung, aber Herr Friederici von der CDU hat | |
dann in seiner Anfrage wieder das Schreckensbild vom rücksichtslosen | |
Kampfradler gezeichnet, der das Problem sein soll. Aber Radfahrer, wie Herr | |
Friederici sie vielleicht meint, sind selten unter den Opfern. Das | |
Mobilitätsgesetz ist genau für die schwächsten VerkehrsteilnehmerInnen | |
gedacht: Kinder, Ältere, Menschen mit eingeschränktem Seh- oder | |
Hörvermögen. Sie alle sollen künftig sicher mit dem Rad unterwegs sein | |
können. | |
Ist Regine Günther (parteilos, Grünen-nah) eigentlich wirklich eine | |
„Anti-Auto-Senatorin“, wie die CDU bei jeder Gelegenheit betont? Und wenn | |
ja, ist das aus grüner Sicht überhaupt etwas Schlimmes? | |
Die CDU verkennt das Problem. Wir machen keine Politik gegen das Auto. Im | |
Gegenteil: Wenn mehr Leute auf Busse und Bahnen umsteigen, schaffen wir | |
Platz auf den Straßen für die, die ein Auto benötigen. Für uns bedeutet | |
moderne Mobilitätspolitik vor allem mehr Sicherheit für Kinder und Ältere. | |
28 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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