| # taz.de -- Archäologin über Nahrungsmitteltabus: „Haushuhn als neue Eiwei�… | |
| > Die einen essen kein Schwein, die anderen keine Würmer: | |
| > Nahrungsmitteltabus haben ganz unterschiedliche Ursachen, erklärt Eva | |
| > Rosenstock. | |
| Bild: Geräucherter Schweineschinken: Für die einen eine Delikatesse, für and… | |
| taz: Gab es bereits in der Steinzeit Nahrungstabus? | |
| Eva Rosenstock: Es gibt immer wieder Fälle, wo man sich fragt, warum | |
| verschwindet dieses oder jenes archäologische Fundmaterial, das auf ein | |
| Lebensmittel hindeutet? Unser Grabungsteam hat in Çatalhöyük in Anatolien | |
| für die Zeit nach 6.000 vor Christus, also die Jungsteinzeit, Hinweise auf | |
| Ziegen und Schafe als Nahrungsmittel gefunden, aber kaum Rinder. Vorher, im | |
| 7. Jahrtausend vor Christus, ist das Rind an diesem Fundplatz jedoch | |
| belegt. Vielleicht war es nicht wirtschaftlich? Oder entwickelte sich ein | |
| Tabu? Das kann man schwer sagen. | |
| Anscheinend gibt es keine Belege für Insektenverzehr in Europa in der | |
| Vorzeit. | |
| Das muss aber nicht bedeuten, dass Insekten nicht verzehrt wurden. | |
| Interessanterweise wurden archäologische Fundstätten in Europa bislang kaum | |
| auf Chitinreste hin untersucht. Erklärungsmöglichkeiten bietet hier | |
| wiederum das Alte Testament. Es schreibt vor, keine landlebenden Insekten | |
| oder Würmer, mit der Ausnahme von Heuschrecken, zu essen. | |
| Ein Kennzeichen des Christentums war es jedoch, dass es die jüdischen | |
| Speisevorschriften nicht übernahm. Ob die christlich-europäische Abscheu | |
| vor Landinsekten trotzdem indirekt aus der Bibel oder aus der Zeit vor der | |
| Christianisierung etwa von den Römern oder gar noch aus älterer Zeit | |
| stammt, ist allerdings schwer zu sagen. Insektenverzehr ist für christliche | |
| Europäer zwar unüblich aber kein Tabu: Rezepte für Maikäfersuppe sind in | |
| Deutschland durchaus überliefert. | |
| Oft werden hygienische Gründe hinter Nahrungstabus vermutet. Essen darum | |
| Muslime und Juden kein Schweinefleisch? | |
| Im 3. Buch Moses steht: Du darfst alles essen, was Paarhufer ist und | |
| wiederkäut. Das Schwein gilt vielleicht als „unrein“, weil es als | |
| Paarhufer, der jedoch nicht wiederkäut, aus dem Kanon von Schaf, Ziege und | |
| Rind herausfällt. Und ab dem ersten Jahrtausend v. Chr. fehlen in der Tat | |
| Schweineknochen in etlichen archäologischen Fundkontexten im Vorderen | |
| Orient; vorher ist es allerdings gang und gäbe, Schweinfleisch zu | |
| verzehren, sodass Trichinen, also parasitische Fadenwürmer und damit die | |
| Hygiene-Theorie als Erklärung für das Speisetabu nicht wirklich stichhaltig | |
| sind. | |
| Das Tabu tritt auch erst auf, als sich das Haushuhn als neue Eiweißquelle | |
| ausbreitete: Vielleicht konnte man ab da also ohne Schwein auskommen – das | |
| wären dann eher ökonomische Gründe. | |
| Fungieren Tabus auch als sozialer Kitt? | |
| Ja, das ist eine sehr wichtige Funktion. Sie stärken den Zusammenhalt | |
| innerhalb der Gruppe, bestimmen die eigene Identität und schaffen | |
| Abgrenzung von anderen Gruppen. So ist das katholische Fasten und damit | |
| „Fleischtabu“ am Freitag nur gesellschaftlich-religiös zu erklären. | |
| Gibt es auch Pflanzentabus? | |
| Nur sehr, sehr selten. Für Schwangere sind jedoch ethnografische | |
| Pflanzentabus bekannt, und wir wissen, dass der höchste Jupiter-Priester in | |
| der Antike Bohnen weder anfassen noch essen durfte. Damals gedieh in Europa | |
| Vicia faba, die Ackerbohne; heutige Phaseolus-Bohnen stammen aus Amerika | |
| und sind viel besser verträglich, weil ihr Alkaloid-Gehalt niedriger ist. | |
| Bei manchen Menschen führte der Verzehr der Ackerbohne zu Favismus, einer | |
| schweren Stoffwechselstörung. Darum könnte das Tabu gegolten haben. Aber | |
| vielleicht war die Bohne auch nur ein Symbol für etwas, das wir heute nicht | |
| kennen. | |
| Warum sind Pflanzentabus so selten? | |
| Die Pflanzenwelt ist schon mit vielen Regeln belegt, weil es sehr viele | |
| unverträgliche bis giftige Varianten gibt, etwa ungekochte Hülsenfrüchte, | |
| Knollenblätterpilze oder Tollkirschen. Fleisch ist hingegen universell | |
| verträglich. Wenn man einmal ein Säugetier ausgenommen hat, dann kann man | |
| das unabhängig von der genauen Tierart. Und man kann es gefahrlos | |
| verzehren. | |
| Zudem stellt schon der Verzehr von geringen Mengen Fleisch mit seinem | |
| hochwertigen Eiweiß sicher, dass der Bedarf an Aminosäuren gedeckt ist. | |
| Andererseits lösen tierische Lebensmittel leichter Ekel aus als pflanzliche | |
| – dahinter könnte ein kultureller oder biologischer Mechanismus zum Schutz | |
| vor Krankheitserregern stecken. | |
| 21 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Kathrin Burger | |
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