Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Macht: Immer ein Stückchen weiter
> Palmer, Dobrindt und Lindner sind Brandstifter. Sie machen Rassismus
> salonfähig. Wir müssen uns darauf konzentrieren, nicht auf Sprachkritik.
Bild: Das Tückische an den Brandstiftern ist, dass sie sanftpfötig daherkommen
Die Brandstifter können nicht ernst meinen, was sie sagen, glaubt
Biedermann und gewährt ihnen deshalb immer mehr Raum in seinem Haus. Bis
sie es anzünden und so die ganze Stadt zerstören. In dem berühmten
Theaterstück von Max Frisch haben die Verbrecher ihre Taten angekündigt,
und der feige, denkfaule Bürger wollte es nicht wahrhaben, bis es zu spät
war. Manche Werke der Literatur sind zeitlos. Wie wir in diesen Tagen
sehen.
Das Tückische an den Brandstiftern ist, dass sie sanftpfötig daherkommen.
Sie sagen schreckliche Dinge, aber sie tun es so wohlerzogen, dass
Biedermann ihnen nichts Böses zutrauen kann. Christian Lindner,
Vorsitzender der einst respektablen FDP, hat es für verständlich und
gerechtfertigt erklärt, Ausländern selbst in der harmlosesten
Alltagssituation mit Misstrauen zu begegnen.
Das hat er so nicht gesagt und schon gar nicht so gemeint? Doch. Das hat er
genau so gesagt und genau so gemeint. Lindner hält es nämlich nicht für
Zeichen einer psychischen Auffälligkeit, sondern für selbstverständlich,
wenn Leute beim Brötchenkauf Angst haben, weil sie Rechtsstatus und
Bildungsgrad anderer Kunden nicht kennen, die gebrochen Deutsch sprechen.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt brachte sich mit dem etwas
ungelenk formulierten Begriff einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ ins
Gespräch. Er kritisierte damit die Tatsache, dass viele Menschen, deren
Asylantrag abgelehnt wurde, die Möglichkeiten des Rechtsstaates nutzen, um
diese Entscheidung anzufechten.
Anders ausgedrückt: Er hält es für unstatthaft, dass gesetzlich verankerte
Rechte (noch?) für alle Personengruppen gelten. Vielleicht könnte Dobrindt
mit der Teilnahme an einem Integrationskurs unter besonderer
Berücksichtigung der Verfassung geholfen werden.
## Einfach mal so vor sich hin vermutet
Boris Palmer, Politiker der Grünen und langjähriger Oberbürgermeister von
Tübingen, fühlte sich kürzlich von einem Radfahrer mit dunkler Hautfarbe
genervt. „Der Typ“ sei „mit nacktem Oberkörper, Kopfhörer und einer
unglaublichen Dreistigkeit um die Leute rumgekurvt“. Das gehöre sich „für
niemanden und für einen Asylbewerber schon dreimal nicht“.
Übrigens wusste Palmer nicht, ob der Rowdy ein Asylbewerber war oder im
Schwabenland geboren. Er vermutete einfach mal so vor sich hin. Und machte
deutlich, dass sich Asylbewerber in jedem Falle dreimal besser zu benehmen
haben als Einheimische. Möglicherweise ist in dem Integrationskurs für
Dobrindt ja noch ein Platz frei.
Inzwischen hat Palmer sich für seine Äußerungen entschuldigt. „Ich würde
das heute so nicht mehr sagen.“ Fein. Dann ist ja alles in Ordnung, oder?
## Die Brandstifter zündeln
Nein. Nichts ist in Ordnung. Gar nichts. Lindner, Dobrindt, Palmer und
andere verschieben die Grenzen des gesellschaftlich Zulässigen. Ein
Stückchen weiter, immer weiter, dann noch ein Stückchen. Die Brandstifter
zündeln.
Wie reagieren jene Teile der Gesellschaft darauf, denen Rassismus wahrlich
zuwider ist? Sie füllen die Salzfässchen auf der Titanic, ganz sorgfältig.
Wenn jemand das N-Wort ausspricht – zielgerichtet und in der berechtigten
Hoffnung, dass über das hingehaltene Stöckchen gesprungen wird – , dann
schreien sie auf. Und lassen sich wochenlang mit der Diskussion darüber
beschäftigen, ob, wann und wie das Wort vielleicht doch akzeptabel ist –
und wann, wie und warum nicht.
Leute! Die Titanic sinkt! Vergesst die Salzfässchen! Rassismus wird
salonfähig. Können wir Sprachkritik auf ruhigere Zeiten verschieben, bitte?
Der Dachstuhl brennt bereits. Der Brand muss gelöscht werden.
19 May 2018
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Christian Lindner
Alexander Dobrindt
Migranten
Boris Palmer
Landespolitik
Alexander Dobrindt
Rechter Populismus
Abschiebung
Alexander Dobrindt
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Andrea Nahles
Ägypten
Russland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Boris Palmer besucht Berlin: Ganz die alte Krawallo-Logik
Der Grüne Boris Palmer wollte die Spannungen zu seiner Partei abbauen. Die
geplante Berlin-Tour mit der CDU dürfte das Gegenteil bewirken.
„Anti-Abschiebe-Industrie“ als Unwort: Dobrindt des Jahres
Der CSU-Politiker bekommt für sein „Unwort des Jahres“ die, naja, Ehrung.
Mit „Anti-Abschiebe-Industrie“ setzt sich Dobrindt gegen Boris Palmer
durch.
Kolumne Macht: Kaninchen, überall Kaninchen
Angst vor der AfD, Angst vor Donald Trump. Wieso bloß ist die SPD nicht
stolz auf ihren Widerstand? Und warum sagt niemand Trump offen die Meinung?
Nach Äußerung von Alexander Dobrindt: Das ist die Anti-Abschiebe-Industrie
Der CSU-Landesgruppenchef verunglimpft Menschen, die sich für die
Interessen von Geflüchteten einsetzen. Die taz hat mit Helfenden
gesprochen. Vier Protokolle.
Nach Äußerungen über Abschiebungen: Strafanzeige gegen Dobrindt
Zwei Anwälte haben Anzeige gegen den CSU-Politiker erstattet. Dessen
Aussagen über eine „Anti-Abschiebe-Industrie“ seien verleumderisch und
beleidigend.
Kolumne Macht: Erfolgreich und unberechenbar
Donald Trump täuscht und lügt, jetzt auch in seiner Präsidentenmaschine,
der Air Force One. Ein Skandal? Nein, das Problem liegt woanders.
Kolumne Macht: Wenn Wunder möglich wären
Natürlich, Andrea Nahles wird gewählt werden. Aber was spräche denn für und
was gegen Simone Lange als neue Chefin der SPD?
Kolumne Macht: „Wir sind vollständig besiegt worden“
Unterstützung, Unsicherheit, Opposition – all das drückt sich in den 97
Prozent für Al-Sisi aus. Seit 2013 regiert der vom Westen gestützte General
in Ägypten.
Kolumne Macht: Beweise? Brauchen wir nicht
Dass Theresa May im Falle des Nervengiftanschlags auf einen Ex-Spion
Russland verantwortlich macht, ist durchsichtig und gefährlich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.