# taz.de -- Kolumne Macht: Beweise? Brauchen wir nicht | |
> Dass Theresa May im Falle des Nervengiftanschlags auf einen Ex-Spion | |
> Russland verantwortlich macht, ist durchsichtig und gefährlich. | |
Bild: Die britische Premierministerin Theresa May besucht den Tatort in Salisbu… | |
Wir sind die Guten, das ist sowieso klar. Wer „wir“ sind, hängt von der | |
jeweiligen Situation ab, mal sind wir vor allem Bayern oder Niedersachsen, | |
mal Deutsche und gelegentlich auch einfach Teil der freien Welt. Wenn wir | |
gerade nicht genau wissen, wer zu uns gehört und wer nicht, können wir uns | |
jederzeit an unseren Heimatminister wenden. Der erklärt uns das gerne. Fest | |
steht jedenfalls: Wenn eine oder einer von uns sagt, dass jemand anders | |
böse ist, dann ist das auch so. Beweise brauchen wir dann nicht mehr. | |
Russland gehört nach keiner Definition zu uns, noch weniger als der Islam. | |
Deshalb erübrigen sich Nachfragen, wenn die britische Premierministerin | |
Theresa May – die eigentlich gerade nicht so dringend zu uns gehören will, | |
aber egal – die Russen für einen Giftgasangriff auf einen ehemaligen Spion | |
und seine Tochter [1][in Salisbury verantwortlich macht]. Stattdessen | |
lieber nachschauen, ob unsere Panzerkanonen einsatzbereit sind. Bei der | |
Bundeswehr weiß man ja nie. | |
Im Ernst: Es gibt starke Indizien, die darauf hinweisen, dass tatsächlich | |
die russische Regierung oder, mindestens ebenso alarmierend, der russische | |
Geheimdienst ohne Wissen der Regierung hinter dem Mordanschlag steckt. Aber | |
Indizien sind eben nicht dasselbe wie unwiderlegbare Beweise. | |
Moskau hat öffentlich jede Beteiligung an dem Giftgasangriff bestritten, | |
Zugang zu den Ermittlungen gefordert und sich bereit erklärt, mit | |
internationalen Organisationen zu kooperieren. Das alles ist nicht | |
unbillig, sondern vernünftig. Wie hätte die russische Regierung denn sonst | |
reagieren sollen? „Sorry, Theresa, ja, wir waren es. Tut uns echt leid.“ | |
Die Reaktion darauf hätte man sehen sollen. | |
## Einfach verantwortungslos | |
Wer die russische Politik verurteilen möchte, hat die freie Auswahl. Ein | |
Blick auf die Krim oder nach Syrien bietet sich an, auch der Umgang mit der | |
Opposition im eigenen Land liefert bedrückendes Anschauungsmaterial. Aber | |
so schwierige Themen wollte Theresa May nicht angehen. Stattdessen hat sie | |
mit ihrem Ultimatum ein Pfauenrad vor heimischem Publikum geschlagen. | |
Moskau hatte überhaupt keine Möglichkeit, darauf so zu reagieren, dass die | |
Krise entschärft worden wäre. Früher nannte man so etwas Kriegstreiberei. | |
Nun wird es – hoffentlich – nicht tatsächlich zu einem Krieg kommen, und | |
vermutlich werden es die Russen auch verschmerzen, wenn kein Mitglied der | |
britischen Königsfamilie zur Fußballweltmeisterschaft anreist. Dramatisch | |
ist die Entwicklung der letzten Tage dennoch. Weil sie beweist, dass es | |
noch immer möglich ist, Innenpolitik mit außenpolitischen Mitteln zu | |
betreiben. Ein bewährtes Mittel zur Steigerung der eigenen Popularität. Und | |
verantwortungslos, früher wie heute. | |
Leider haben derzeit beide Seiten ein Interesse an der Zuspitzung der | |
Situation. Wladimir Putin will sich am Sonntag ein weiteres Mal zum | |
Präsidenten wählen lassen. Da kommt es gut an, wenn er wieder einmal | |
behaupten kann: „Niemand hat uns lieb, deshalb müssen wir ganz fest | |
zusammenhalten.“ Theresa May hat ihm dafür eine Steilvorlage geliefert. Sie | |
selbst hat erkennbar keinen Plan für den Brexit, braucht also einen äußeren | |
Feind, um ihre Truppen hinter sich zu versammeln. Ihre Vorgängerin Margaret | |
Thatcher hat 1982 mit dem absurden Falkland-Krieg gezeigt, wie so etwas | |
geht. | |
Ein deprimierendes Schauspiel. Für das sich die Nato-Verbündeten nicht als | |
Statisten auf die Bühne zerren lassen sollten. Solidarität mit | |
Großbritannien? Nein. Jetzt gerade mal nicht. | |
17 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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