# taz.de -- „Anti-Abschiebe-Industrie“ als Unwort: Dobrindt des Jahres | |
> Der CSU-Politiker bekommt für sein „Unwort des Jahres“ die, naja, Ehrung. | |
> Mit „Anti-Abschiebe-Industrie“ setzt sich Dobrindt gegen Boris Palmer | |
> durch. | |
Bild: Zeigt auf die Grünen: Alexander Dobrindt | |
Alexander Dobrindt hat gewonnen. Der Chef der CSU-Landesgruppe im Deutschen | |
Bundestag kann sich ein Ei darauf braten, Schöpfer des „Unworts des Jahres“ | |
2018 zu sein. Das wird alljährlich von einem Verein namens Gesellschaft für | |
Deutsche Sprache gekürt. | |
Das Unwort dieses Mal: [1][Anti-Abschiebe-Industrie]. Dobrindt hatte es im | |
Mai letzten Jahres in einem Interview benutzt, um all den gefühlsduseligen | |
„Gutmenschen“ (Unwort 2015) mal kräftig eins mitzugeben und damit für die | |
bevorstehende Landtagswahl vielleicht noch ein paar AfD-Stimmen | |
abzugreifen. Genützt hat es bekanntlich nix, [2][die CSU verlor dann zehn | |
Prozentpunkte der Stimmen]. Aber einen Versuch war es wert; und Dobrindt, | |
der geübte Eskalierer, hatte es wenigstens versucht. | |
Er nahm die Auszeichnung am Dienstag mit kühler Gelassenheit zur Kenntnis. | |
Und setzte gleich noch einen drauf. Beim Weißwurstfrühstück, [3][dem | |
traditionellen Pressegespräch in den Sitzungswochen des Bundestags], sagte | |
der Landesgruppenvorsitzende vor JournalistInnen, ihm sei es mit der | |
Formulierung um nichts anderes als „die Beschreibung eines Sachverhalts“ | |
gegangen. Er sei ja in dieser Angelegenheit bereits angezeigt worden. Die | |
Staatsanwaltschaft Berlin [4][erhob damals keine Anklage mit der | |
Begründung, die Äußerung sei keine „Beleidigung für eine klar abgrenzbare | |
Gruppe an Adressaten“]. | |
Dobrindt, der – nebenbei bemerkt – während des Pressetermins keine der | |
kredenzten Weißwürste aß, jedoch an seinem Filterkaffee nippte, hatte aber | |
noch einen eigenen Vorschlag für ein Unwort mitgebracht. „Ich hätte mich | |
eher für ,testosterongesteuerte Männerhorden' entschieden“, sagte er. Von | |
ebendiesen hatte der baden-württembergischen [5][Ministerpräsident Winfried | |
Kretschmann im November] gegenüber der Heilbronner Stimme gesprochen. | |
Dobrindt bedauerte in diesem Zusammenhang, nicht Teil der Jury zu sein. | |
Wäre er das, hätte er sicher nicht diese wunderbare Gelegenheit | |
verstreichen lassen, wiederum den von ihm verabscheuten Grünen eins | |
mitzugeben. | |
## Ist Boris Palmer jetzt traurig? | |
Tatsächlich gehören der Jury für das Unwort vier | |
SprachwissenschaftlerInnen, ein Journalist und ein Autor an. Die Aktion, | |
die es seit 1991 gibt, möchte laut Selbstbeschreibung „den sprachkritischen | |
Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen | |
Kommunikation lenken, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität | |
verstoßen“. Der Ausdruck „Anti-Abschiebe-Industrie“ sei aus rund 900 | |
Einsendungen gewählt worden. | |
Und zwar, weil er denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich | |
unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht | |
unterstelle, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in | |
großem Maßstab Geld verdienen zu wollen. Der Ausdruck „Industrie“ | |
suggeriere zudem, es würden auf diese Weise Asylberechtigte „produziert“. | |
Zwei weitere Begriffe waren übrigens noch in der engeren Wahl: | |
„Menschenrechtsfundamentalismus“ und „Ankerzentrum“. „AnKER“, so di… | |
stehe als unzulässiger Euphemismus im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und | |
SPD für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“. | |
Der Urheber von „Menschenrechtsfundamentalismus“ ist wiederum Boris Palmer. | |
Es gibt bisher keine Information darüber, wie traurig der grüne Tübinger | |
Oberbürgermeister ist, dass er im Gegensatz zu Dobrindt keinen Preis für | |
menschenverachtende Sprache gewonnen hat. Man darf aber davon ausgehen, | |
dass er sich riesig gefreut hätte. Wer weiß, vielleicht klappt’s ja 2019? | |
15 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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