# taz.de -- Landesparteitag der Berliner Grünen: Immer feste druff | |
> Die Grünen üben heftige Kritik an ihrem Regierungspartner SPD. Im Fokus: | |
> Bildungssenatorin Sandra Scheeres und Regierungschef Michael Müller. | |
Bild: Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus: Silke Gebel haut auf den Putz | |
Dem Regierungschef Augenwischerei vorgeworfen, die Bildungssenatorin für | |
das Kita-Chaos verantwortlich gemacht, die Abfallpolitik von über | |
eineinhalb Jahrzehnten SPD-Regierung abgestraft. Und dann sogar die | |
Forderung, den Reformationstag dauerhaft zum gesetzlichen Feiertag zu | |
machen. Also lieber noch mal genau auf die Farbe der Parteifahne geschaut: | |
Nein, es ist doch nicht CDU-Orange, sondern die Farbe Grün, die diesen | |
Landesparteitag in Adlershof optisch prägt. Vom Tonfall und vom | |
offenkundigen Ansatz „Immer feste druff“ her könnten hier aber auch | |
Oppositionelle aus dem Abgeordnetenhaus tagen statt der seit über 16 | |
Monaten mitregierenden Grünen. | |
Nina Stahr, die Landesvorsitzende, holt zum ersten Schlag gegen die SPD | |
aus. Sie freue sich ja darüber, dass der Koalitionspartner das Thema | |
„Grundeinkommen und Grundsicherung“ so engagiert debattiere. Aber diese | |
Idee, die der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller | |
seit einigen Monaten verbreitet, die ist für sie auch nichts anderes als | |
der 1-Euro-Job oder Hartz IV. „Klar klingt ,solidarisches Grundeinkommen' | |
toll, aber am Ende ist das doch alter Wein in neuen Schläuchen“, sagt Stahr | |
unter dem Applaus der Delegierten. | |
Aber das ist erst der Anfang, die laut Tagesordnung „politische Rede“, nur | |
ein verbales Warm-up für den Parteitag. Zwei große Anträge des | |
Landesvorstands liegen vor. Zielsetzung: eine saubere Stadt mit weniger | |
(besser: gar keinem) Müll sowie bessere Kitas mit genug Personal. | |
Zehntausende Tonnen weniger an organischem Müll – Kartoffelschale & Co. – | |
sollen im Restmüll landen, die Biotonne soll endlich Pflicht für alle sein. | |
Wobei Wirtschaftssenatorin Ramona Pop einräumen muss, dass sich die Pflicht | |
aufs Dafürbezahlen beschränkt – man könne niemand zwingen, den Müll | |
tatsächlich zu trennen. Klingt fast, als ob sich in fast 17 Jahren | |
SPD-geführter Senate die landeseigene Stadtreinigung, die BSR, kein | |
bisschen in diese Richtung bewegt hätte. Und als ob es nun mit ein bisschen | |
Aufklärung so einfach anders zu machen sei. | |
Die BSR ist ja vor Ort, ist wie so oft bei Grünen-Parteitagen mit ihren | |
Pressesprechern und einem Infostand vertreten, auf dem Faltblätter und | |
Informationen zur Mülltrennung ausliegen. Diese Pressesprecher sehen nicht | |
glücklich aus über den Vorstoß der Grünen zur Biotonne, wollen aber nichts | |
kommentieren und verweisen bloß auf die nächste Aufsichtsratssitzung am 2. | |
Mai – Vorsitzende des Gremiums ist Senatorin Pop. | |
## Die SPD hat’s verbockt | |
Das sind jedoch eher Nadelstiche angesichts dessen, was folgt. Beim | |
Großthema Kita ist für die Grünen eindeutig, wer’s verbockt hat: die SPD. | |
Nicht hinter vor gehaltener Hand, nein, ganz offen kritisiert | |
Fraktionschefin Silke Gebel die von den Sozialdemokraten durchgesetzte | |
komplette Beitragsfreiheit in den Kitas, die auch für Reiche gilt. Das | |
Geld, auf das man damit verzichtet, fehlt aus ihrer Sicht nun für anderes. | |
„Wir stellen der Kostenloskultur eine Qualitätskultur entgegen“, sagt | |
Gebel. | |
Dramaturgischer Höhepunkt der Debatte: die Gastrede einer Kita-Leiterin aus | |
Nikolassee, Evelin Giese. Eine Stunde am Tag verbringe sie damit, Eltern am | |
Telefon zu sagen, dass es keine freien Plätze mehr gebe, sagt sie. Und wenn | |
sie in Rente geht, werde sie 1.200 Euro bekommen – nach 35 Berufsjahren, | |
davon 33 in leitender Funktion. „Wenn Sie Anreize schaffen wollen“, ruft | |
Giese den Delegierten zu, „muss es über das Geld gehen.“ Sie erinnert die | |
Grünen daran, dass wahrscheinlich alle Parteien im Wahlkampf „Kinder sind | |
unsere Zukunft“ auf ihre Wahlplakate schrieben: „Reden Sie nicht nur davon | |
– tun Sie was.“ Stehend applaudieren die Grünen ihr – was bei Gastrednern | |
so selten ist, dass sich weder Parteichefin Stahr noch langjährige | |
Beobachter an Ähnliches erinnern können. | |
Noch drastischer als Gebel macht Kreuzbergs Bürgermeisterin Monika Herrmann | |
die SPD und das von Senatorin Sandra Scheeres geführte Bildungsressort für | |
die Misere verantwortlich. Seit fünf Jahren zeichne sich die Kita-Krise ab, | |
sagt Herrmann, sie selbst habe gedrängt und Scheeres’ Senatsverwaltung | |
schon vor zwei Jahren ein Konzept auf den Tisch gelegt – dort aber | |
„ignoriert man gern“. Umso wichtiger sei es, dass der Parteitag den Antrag | |
beschließe, in dem es um bessere Bezahlung der Erzieher geht und mehr | |
Anstrengungen, Männer und Migranten für diesen Beruf zu begeistern. Das | |
müsse sein, „weil die Senatorin sich ohne Druck nicht bewegt.“ Hinter | |
vorgehaltener Hand kommt aus dem Kreis der führenden Grünen auch | |
persönliche Kritik an Scheeres: Sie sei beratungsresistent, gehe auf | |
Beschwerden nicht ein. Viel kritischer formuliert es auch die CDU in ihren | |
Pressemitteilungen zur Kita-Krise kaum. | |
Fehlte nur noch, dass sich die Delegierten auch beim Thema „weiterer | |
Feiertag“ gegen die SPD oder Regierungschef Müller gewandt hätten. Der | |
hatte die Einführung eines Feiertags angekündigt, der aus seiner Sicht | |
entweder an das Ende des Zweiten Weltkriegs, an den Aufstand in der DDR | |
1953 oder an die Befreiung des KZs Auschwitz erinnern soll. Der | |
Grünen-Antrag „V 11“ aber, fast am Ende des Parteitags, ist überschrieben | |
mit „Reformationstag zum gesetzlichen Feiertag machen“ – was die Berliner | |
CDU schon länger fordert. | |
Die Landesarbeitsgemeinschaft „Bündnisgrüne Christen“ hat den Antrag | |
eingereicht, und eigentlich scheint der Boden fruchtbar dafür zu sein: | |
Landeschefin Stahr hat eingangs die Unionsparteien zur Besinnung auf | |
„christliche Grundwerte“ aufgerufen, ihr Co-Vorsitzender Werner Graf | |
wünscht sich beim Thema Recycling eine „Wiederauferstehung“. Aber das mit | |
dem Feiertag, das ist den Delegierten dann doch zu viel: Wenn überhaupt – | |
was noch zu diskutieren sei –, dann nicht der christliche. „Hierbei soll | |
keine Gruppe bevorzugt oder diskriminiert werden“, heißt es im neu | |
gefassten Beschlusstext. Ausreichend Alternativen hat Michael Müller ja | |
benannt. Zumindest in dieser Sache also kriegt die SPD vom | |
Koalitionspartner nicht auch noch feste druff. Aber für einen Tag ist es ja | |
auch so schon genug. | |
22 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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