Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Grüne vor Parteitag: „Flügel sind kein Selbstzweck“
> Die Berliner Landesvorsitzenden Nina Stahr und Werner Graf hoffen auf
> eine Fortsetzung des grünen Höhenflugs. Und auf ihre Wiederwahl.
Bild: Seit 2016 an der Spitze der Berliner Grünen: Werner Graf und Nina Stahr
taz: Frau Stahr, Herr Graf, wie fühlt es sich gerade an im grünen
Umfragehoch?
Nina Stahr: Gut.
Werner Graf: Super. Großartig. Gerade ist die Stimmung auf unserer Seite.
Es ist aber auch eine große Verantwortung, jetzt mit aller Kraft für eine
ökologischere und sozialere Politik zu kämpfen – denn deshalb kommen die
Menschen zu uns.
Nina Stahr: Wir wachsen ja immer mehr, vergangene Woche haben wir unser
7.000stes Mitglied in Berlin aufgenommen. Das, wofür wir immer standen,
kommt jetzt bei den Leuten an – etwa, weniger Plastik in den Meeren zu
haben oder die Klimakrise ernst zu nehmen.
Diese Inhalte gibt es schon länger, neu sind hingegen Ihre
Bundesvorsitzenden. Ist es für Sie nicht desillusionierend, dass es bloß
zwei charismatische Gestalten braucht, um die grünen Umfragewerte so weit
nach oben zu treiben? Dass es keine Frage des Programms ist?
Stahr: Sie haben recht, wir haben jetzt mit Robert Habeck und Annalena
Baerbock zwei Leute an der Spitze, die von ihrer Art und Weise, wie sie auf
Menschen zugehen, viele Leute mitnehmen. Trotzdem glaube ich nicht, dass es
nur an den beiden liegt. Wir sind in einer extrem politisierten Zeit, und
da sind unsere Themen diejenigen, die viele Menschen interessieren – und
wir sind der Gegenentwurf zur AfD.
Graf: Natürlich freuen wir uns als Berliner Grüne, wenn die Bundespartei
von uns lernt und nun eine Doppelspitze hat, die an einem Strang zieht. Wir
haben in Berlin vorgelebt, wie man das macht und so auch besser Inhalte
transportieren kann. Natürlich sind charismatische Personen, die Positionen
nach außen tragen können, besser als Personen, die das nicht können. Aber
wir sind lange genug in der Politik, um zu wissen, dass dieselben Personen,
die heute als supercharismatisch gelten, morgen abgeschrieben sein können.
Das steht ja auch gar nicht in Frage.
Graf: Deshalb verlassen wir uns nirgends nur darauf. Die Grünen in Bayern
hatten zum Beispiel nicht bloß ein super Spitzenpersonal, sondern haben
sich seit Langem gegen das Polizeigesetz gestellt, haben sich schon seit
Jahrzehnten gegen den Flächenfraß positioniert …
… aber wie Sie sagen: „seit Jahrzehnten“. Neu war auch dort das Spitzendu…
Graf: Nur auf einzelne Personen zu setzen, funktioniert nicht. Das mag mal
kurzfristig wie bei der SPD einen Schulz-Hype auslösen, aber das hält nicht
an, wie da gut zu sehen war – man braucht auch Konzepte und klare
Positionen. Und die bieten wir.
Herr Graf, Ihnen und dem linken Parteiflügel muss es doch zu schaffen
machen, dass dieser Boom ausgerechnet mit zwei Bundesvorsitzenden vom
Realo-Flügel passiert.
Graf: Flügel sind kein Selbstzweck, auch für mich nicht. Annalena und
Robert haben viele auch für mich wichtige Sachen nach vorne gestellt und
thematisiert, etwa soziale Absicherung, Überwinden von Hartz IV. Diese
Themen haben sie gesetzt – ob sie das jetzt als Linke oder Realos machen,
ist mir erst mal wurscht.
Die Flügel sind passé?
Nein. Ich glaube aber, viele überhöhen und überschätzen die Bedeutung der
Flügel in unserer Partei. Flügel brauchen wir, um Diskussionen im Vorfeld
zu führen und Debattenräume zu schaffen, aber sie sind, wie gesagt, kein
Selbstzweck. Annalena und Robert machen einen super Job, und ich bin froh,
dass sie da sind.
Aber ihre „Heimat-Sommertour, die hätten Sie nicht gemacht?
Graf: Ich mache gerade eine Tour, die heißt „Selbstbestimmt leben: Alle
nach ihrer Façon“. Ich finde, die Debatte, wer gehört zu unserer
Gesellschaft, die ist entscheidend. Hier in Berlin leben viele mit
sogenanntem Migrationshintergrund, viele Sinti und Roma, viele schwarze
Menschen – die alle sind Berlin. Ob man diese Debatte jetzt mit „Heimat“
überschreibt oder mit „Teilhabe“, ist im Grunde egal.
Raed Saleh, der SPD-Fraktionschef, hat den Begriff Heimat für die
politische Linke reklamiert. Hat er recht?
Stahr: Ich finde es falsch, sich an einzelnen Begrifflichkeiten aufzuhängen
und darüber die Debatte zu führen – die Inhalte gehen dabei verloren. Mir
geht es vielmehr darum: Wer darf sich hier zu Hause fühlen? Und da sage
ich: Jeder, der auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht, der darf sich
hier zu Hause fühlen …
… der darf hier „heimisch“ sein?
Stahr: … der darf hier heimisch sein, natürlich. Ich persönlich habe dieses
große Problem mit dem Wort Heimat nicht. Ich kann aber andere verstehen,
die dieses Problem haben. Als Historikerin, die weiß, woher die
Deutschlandflagge kommt …
… 1832 beim Hambacher Fest – nicht zu verwechseln mit dem Hambacher Forst
–, Symbol der Opposition gegen die Restauration
Stahr: … habe ich auch überhaupt kein Problem mit dieser Flagge. Und alles,
was diese Flagge transportieren soll, finde ich richtig. Dass sie jetzt von
den Rechten vereinnahmt wird, finde ich total schlimm.
Warum hat sich dann nicht die Unteilbar-Demo dagegen gewandt und die Flagge
für sich reklamiert, statt sie als eher unwillkommen darzustellen? Die hat
ja nicht die AfD erfunden, die steht in Artikel 22 im Grundgesetz.
Stahr: Vor diesem Hintergrund kann ich Raed Salehs Aussage schon verstehen:
In dem Moment, in dem Rechte uns diese Symbole wegnehmen, gehen sie der
Allgemeinheit verloren. Ich glaube aber, wenn man die dahinterliegende
Debatte löst – wer darf hier heimisch sein? – und dem ganzen Populismus den
Nährboden entzieht, dann hätten wir auch diese Heimat- und Flaggendebatte
nicht mehr.
Graf: „Unteilbar“ war eine Demo, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner
aller demokratischen und gesellschaftlichen Gruppen gezielt hat.
Und dieser kleinste Nenner konnte nicht eine im Grundgesetz verankerte
Flagge sein?
Graf: Ich verweigere mich tatsächlich der Debatte um den Begriff Heimat,
weil ich finde, sie bringt uns nicht weiter. Ich verstehe die Menschen, die
ein Problem mit der Flagge haben. Ich verstehe aber auch Claudia Roth …
… für die Sie als frühere Grünen-Chefin einige Jahre gearbeitet haben.
Graf: … die sagt: Ich lass mir mein Bayern nicht wegnehmen, ich zieh das
Dirndl an.
Beim Landesparteitag in drei Wochen wird Robert Habeck Gastredner sein.
Erwarten Sie, dass er die Delegierten auf einen neuen Anlauf Richtung
Jamaika einzuschwören versucht? Die schwarz-rote Koalition hält vielleicht
nicht mehr lange.
Stahr: Wir haben mit Robert Habeck noch nicht darüber gesprochen, was er da
sagen wird – das ist auch ihm selber überlassen. Aber jetzt den
Landesverband auf Neuverhandlungen einzuschwören, wäre der falsche Weg.“
Warum?
Stahr: Wir waren in Bayern und Hessen so erfolgreich, weil wir uns nicht an
den anderen abgearbeitet, sondern unsere eigenen Impulse gesetzt haben. Ich
gehe schwer davon aus, dass auch der Bundesverband in diesem Sinne
weitermachen wird.
Inhaltlich geht es beim Parteitag um Bildung und Stadtentwicklung. Was
schlagen die Grünen da Neues vor?
Stahr: Im Bildungsbereich und gerade beim Personal wurde zu wenig getan, um
Menschen ein Lehramtsstudium in Berlin zu ermöglichen. Unsere
Lösungsansätze werden auch nicht von heute auf morgen wirken, aber
irgendwann muss man ja anfangen.
Was wollen Sie denn machen außer dem, was alle fordern, nämlich mehr
Lehramts-Studienplätze?
Stahr: Wir fordern als Motivation eine Übernahmegarantie gleich bei
Studienbeginn, damit man sicher sein kann, nicht ohne Job dazustehen, falls
sich das Problem an den Schulen zwischenzeitlich erledigt, etwa durch
Quereinsteiger. Das kann dazu führen, dass wir dadurch zu einer
Überausstattung kommen, die wir aber richtig finden, weil wir an anderer
Stelle für Entlastung sorgen wollen.
Was ist mit Verbeamtung, lange bloß eine CDU-Forderung, zuletzt aber auch
in der SPD ein Thema?
Stahr: Geld ist ein Aspekt, aber sicher nicht der einzige. Lehrer in Berlin
verdienen als Angestellte gerade am Anfang gut, der Unterschied zu Beamten
kommt bei der Rente – da müssen wir schauen, ob wir ausgleichende Regeln
hinbekommen. Das Entscheidende aber, hier in einer Schule arbeiten zu
wollen oder nicht, sind die Arbeitsbedingungen. Freiraum, Teams,
Supervision. Lehrersein in Berlin soll ein Job sein, den man gerne macht.
Und was sind die Kernpunkte beim Leitantrag zu Stadtentwicklung?
Graf: Der zentrale Gedanke ist, dass in Berlin das Stadtgrün weiter wächst
und Berlin eine grüne Metropole wird. Daher müssen wir die Frage des
ökologischen Stadtgrüns immer gleich mitdenken, nicht nachher, sondern
schon bei einer Bau-Voranfrage. Es geht darum, dass wir ausreichend Parks
in neue Quartiere bauen, dass an Nistplätze für Vögel und Unterschlupf für
Bienen gedacht wird. Wir müssen auch zu mehr Entsiegelung kommen,
beispielsweise bei Straßen und in Hinterhäusern, damit das Regenwasser
besser abfließen kann. Und besonders wichtig: Eine ganz klare Absage,
Kleingärten dem Wohnungsbau zu opfern. Es geht darum, dass in Berlin in
Zukunft die Oma auch ihre Parkbank und die Biene ihren Unterschlupf findet.
Vorstandswahlen gibt es auch noch – Sie wollen wahrscheinlich nicht gerade
jetzt mitten im Umfragehoch aufhören?
Stahr: In den letzten zwei Jahren haben wir die Partei gut vorangebracht
und für die Regierungsverantwortung aufgestellt. Insofern sind wir da
gerade gut im Flow, und das würde ich als Landesvorsitzende gerne
fortsetzen.
Graf: Da gilt auch für mich. Ich biete gerne der Partei an, das für zwei
weitere Jahre zu machen.
2 Nov 2018
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Abgeordnetenhauswahlen 2016
Grüne Berlin
Robert Habeck
Abgeordnetenhaus
Jamaika-Koalition
Silke Gebel
Grüne Berlin
Grüne Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Grünen-Landesparteitag in Berlin: Lasst doch mal den Robert reden
Trotz Spitzenwerten in den Umfragen halten die Berliner Grünen den Ball
flach. Prominenter Gastredner beim Parteitag am Samstag: Bundeschef Habeck.
Grünen-Politikerin über ihre „Elternzeit“: „Männern stellt man die Fra…
Frauen brauchen mehr Regenerationszeit, sagt Berlin-Fraktionschefin Silke
Gebel nach der Geburt ihres dritten Kindes. Sie fordert eine Elternzeit
light für Abgeordnete.
Landesparteitag der Berliner Grünen: Immer feste druff
Die Grünen üben heftige Kritik an ihrem Regierungspartner SPD. Im Fokus:
Bildungssenatorin Sandra Scheeres und Regierungschef Michael Müller.
Grüner Landesparteitag in Berlin: „Das wäre ohne uns nicht passiert“
Nina Stahr und Werner Graf sehen die Grünen in der rot-rot-grünen Koalition
als treibende Kraft in Sachen Ökologie. „Zero Waste“ heißt der Leitantrag.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.