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# taz.de -- Grünen-Politikerin über ihre „Elternzeit“: „Männern stellt…
> Frauen brauchen mehr Regenerationszeit, sagt Berlin-Fraktionschefin Silke
> Gebel nach der Geburt ihres dritten Kindes. Sie fordert eine Elternzeit
> light für Abgeordnete.
Bild: Silke Gebel mit dem jüngsten Nachwuchs, Kind Nummer drei, Anfang Oktober…
taz: Frau Gebel, wie war die Nacht: einigermaßen durchgeschlafen?
Silke Gebel: Och ja. Ich habe ohnehin das Gefühl, beim dritten Kind ist
alles einfacher als beim ersten.
Routine?
Ja, Routine ist das passende Wort.
Wenige Tage nachdem Ihr Kind geboren wurde, haben Sie sich als grüne
Fraktionschefin auf Ihrem Twitter-Kanal mit den Worten verabschiedet: „So.
Bin dann mal wirklich Off.“ Und, dran gehalten?
Ja! Ich habe die App deinstalliert.
Sitzt uns hier eigentlich die Co-Fraktionschefin gegenüber oder eine Mutter
von drei Kindern?
Ich bin beides. Kurz nachdem ich mein erstes Kind bekommen habe, wurde ich
Abgeordnete. Jetzt gerade bin ich noch im Mutterschutz und eher
Fulltime-Mutter.
Ist nicht der Mutterschutz schon vorbei? Das Kind kam ja Ende Juli, jetzt
ist Oktober.
(Überlegt) Möglicherweise bin ich jetzt schon seit einigen Tagen im
„Urlaub“. Ich habe keinen Sommerurlaub gemacht und fast bis zur Geburt
durchgearbeitet. Jetzt kommen noch ein paar freie Tage hintendran, um
überhaupt sowas wie Elternzeit zu haben, bevor es nach den Herbstferien
wieder losgeht.
Für Abgeordnete gibt es keine Elternzeitregelung. Sie mussten also ein
bisschen tricksen, damit Sie über den Mutterschutz hinaus noch ein bisschen
Elternzeit haben?
Irgendwie schon. Während des Mutterschutzes darf man im Plenum fehlen, ohne
dass „Strafzahlungen“ fällig werden. Darüber hinaus ist gesetzlich aber
nichts geregelt.
In Thüringen wurde kürzlich eine Abgeordnete aus dem Parlament geworfen,
weil sie ihr Kind gestillt hat.
Ja, das hat mich schockiert, dass ein 42-jähriger Parlamentspräsident im
Jahr 2018 die gewählte Madeleine Henfling [1][in ihren Rechten als
Abgeordnete beschneidet], nur weil sie ihr Kind ins Plenum mitgenommen hat.
Werden Sie selbst im Abgeordnetenhaus stillen?
Nicht im Plenum. Aber das ist eine persönliche Entscheidung. Ich finde es
völlig okay, bei der Parlamentssitzung zu stillen. Ich glaube, die Würde
des Hauses wird durch undemokratisches Verhalten gefährdet. Wenn man
Burkaträgerinnen als Frauen in Säcken verunglimpft, zum Beispiel.
Ist das ein Problem, dass der Gesetzgeber keine Elternzeit für
ParlamentarierInnen vorsieht – und überhaupt so wenig regelt, wenn
Abgeordnete Eltern werden?
Ich sehe das sehr ambivalent. Einerseits ist es schwierig, jemanden zu
vertreten, der vom Volk gewählt wurde. Andererseits ist auch die erste Zeit
mit Kind schwierig, selbst wenn man als Abgeordnete eine hohe Flexibilität
hat – und hoffentlich eine familienfreundliche Fraktion, die einem den
Rücken stärkt. Deshalb: Ja, eine Regelung, die das gesetzlich klarer
stellen würde, wäre gut.
Was stellen Sie sich vor?
Frauen müsste mehr Regenerationszeit erlaubt sein: Das Baby ist ja auch
nach acht Wochen Mutterschutz noch da. Man könnte überlegen, in den ersten
sechs Monaten nach der Geburt die Anwesenheitspflicht im Plenum auszusetzen
– eine Art Elternzeit light. Und man muss ehrlich sein: Verantwortung in
der Familie betrifft ja nicht nur Mütter oder Väter mit Kindern. Viele
pflegen ihre Angehörigen zu Hause. Um eine weitreichende Regelung zu
finden, müsste man einen Dialog führen, fraktionsübergreifend, mit dem
Parlamentspräsidium zusammen.
Sie haben aber doch sicher auch eine Idee?
Gerade für die sehr verletzliche Zeit des Anfangs könnte man ein Pairing
überlegen…
…fehlt ein Abgeordneter der Regierung bei einer Abstimmung, stimmt auch ein
Oppositionsabgeordneter nicht mit. Die Kräfteverhältnisse blieben so
gewahrt…
…oder man könnte über Teilzeitlösungen wie in Baden-Württemberg nachdenke…
Aber Berlin hat doch ein Teilzeitparlament.
Ich bin dem mal nachgegangen, aber ich habe nirgendwo offiziell gefunden,
dass wir ein Teilzeitparlament sind. Gut, wir haben im Vergleich zu anderen
Parlamenten weniger Sitzungstage…
Sie bekommen weniger Geld, daraus könnte man es ableiten.
Okay, aber rechtlich gesehen ist das kein Argument.
Sie sind Chefin von 25 Abgeordneten. Haben Sie sich die Frage gestellt, wie
das eigentlich zusammen geht: Kinder und eine Führungsposition in der
Fraktion?
Ich sag's mal so: Ich glaube, einem Mann würde man die Frage nicht stellen.
Meinen Sie wirklich?
Ja. Ich habe noch nie ein Interview mit einem Fraktionsvorsitzenden, der
auch junger Vater ist, dazu gelesen. Dabei ist es doch so: Man muss sich
diese Frage als Eltern immer stellen. Natürlich möchte man Zeit mit seinen
Kindern verbringen. Für mich war klar, dass Familie und Job immer vereinbar
sein müssen. Und dann ist die Partnerschaft der eine Faktor und die Arbeit
der andere Faktor. Antje Kapek…
… Ihre Co-Fraktionschefin und ebenfalls Mutter von zwei Kindern im Kita-
und Schulalter…
… ist ja in einer ganz ähnlichen Situation wie ich. Da gibt es ein großes
Verständnis und wir ergänzen uns gut.
Bringen Sie in diesem Fall ein persönliches Opfer, um politisch ein Vorbild
zu sein?
Wenn man Opfer bringen würde, wäre man kein politisches Vorbild. Die Kinder
zurückzustecken für die politische Karriere – der Preis wäre zu hoch. Aber
natürlich ist nicht alles einfach, drei Kinder unter sechs Jahren sind
schon alleine ein Kraftakt. Und wenn eins krank ist oder am Wochenende
Parteitag und Kitaausflug sind, ist das schon eine Zerreißprobe – fürs Herz
und den Terminkalender.
In einer anderen Position hätten Sie vielleicht mehr Zeit für Ihre Kinder.
Ich weiß gar nicht, ob Menschen in anderen Jobs so viel mehr Zeit haben.
Natürlich muss ich als Abgeordnete im Plenum anwesend sein; es gibt
Ausschusssitzungen und viele Abstimmungsprozesse, die die
Regierungsverantwortung mit sich bringt. Aber ich habe auch die
Flexibilität zu sagen, ich hole die Kinder um vier Uhr aus der Kita ab,
mache dann drei, vier Stunden Kinderzeit und gehe abends nochmal ran. Diese
Freiheit haben viele Leute, sei es in der Verwaltung oder im Schichtdienst
in der Pflege, nicht.
Ihre SPD-Kollegin, die Abgeordnete Maja Lasić, hat gesagt, die vielen
Vor-Ort-Termine könne einem als Politikerin letztlich keiner abnehmen –
weil abends im Ortsverband die Mehrheiten organisiert werden.
Parteiarbeit ist Ehrenamtsarbeit und findet abends oder am Wochenende
statt. Das stimmt. Aber als Abgeordnete ist man nun mal gewählt, den engen
Austausch mit den Menschen in unserer Stadt und mit der eigenen Partei zu
führen. Dafür muss ich persönlich präsent sein. Damit ich die Kinder nicht
nur schlafend sehe, gibt es bei uns zwei, drei Termine, die sind Family
only.
Sind Sie so strikt?
Ich führe keine Strichliste. Aber es gibt ein paar Tage in der Woche, da
haben die Kinder Sport und das ist geblockt. Das ist vielleicht auch
deshalb kein Problem bei uns, weil in der Grünen-Fraktion viele in dieser
Situation sind: Meine Co-Fraktionschefin, viele Abgeordnete, auch unsere
Landeschefin [Nina Stahr, d. Red.] haben kleine Kinder. Wir haben
inzwischen nach 15.30 Uhr, abgesehen von Fraktions- und Plenumssitzungen,
keine entscheidenden Termine mehr. Und für die gibt es Kinderbetreuung im
Abgeordnetenhaus, was ich sehr begrüße. Die Parlamentsarbeit ist dadurch
etwas kinder- und familienfreundlicher geworden: Ich bin keine
Bittstellerin als Mutter oder Vater. Das finde ich ganz wichtig.
Trotzdem mal ganz konkret: Wie viel macht Ihr Mann, wie viel machen Sie?
Im letzten Jahr hat mein Mann schon 70 bis 80 Prozent der Familienarbeit
gemacht. Wir kümmern uns gemeinsam um unsere Kinder, früher ich mehr,
aktuell er öfter als ich, was mich unterstützt.
Manche sind nicht in so einer privilegierten Position.
Ja, sicher. Deswegen müssen wir Strukturen verändern. Bei
Alleinerziehenden, die vielleicht nur Teilzeit arbeiten und bei denen der
Unterhaltsvorschuss nicht kommt, muss der Staat schnell einspringen. Und
natürlich müssen auch die Kita-Strukturen erweitert werden: Stichwort
Qualitätsausbau. Wo ein Elternteil fehlt, braucht es einen anderen
verlässlichen Partner am Start.
Werden Sie gerade automatisch ein bisschen zur FamilienpolitikerIn?
Natürlich kriegt man manche Themen jetzt noch intensiver mit, wenn man viel
mit den Kindern auf dem Spielplatz abhängt: die vollen Kitas, der knappe
Wohnraum für Familien. Es gibt Effekte aus der Grünen-Fraktion heraus: Die
Möglichkeit, Home Office zu machen, die Verlagerung wichtiger Terminen in
den Vormittag – das sind Dinge, die können wir als Grüne einbringen in die
Frage, wie man zum Beispiel die Berliner Verwaltung organisieren möchte.
Ja, da bin ich bestimmt ein Stück weit Anwältin von jungen Familien. Wir
waren ja auch auf der [2][Kitakrise-Demo] im Frühjahr sehr präsent.
Das kann einem schnell auch als innerkoalitionäre Kritik an der
Kita-Politik von SPD-Jugendsenatorin Sandra Scheeres ausgelegt werden.
Ich würde das eher als Rückenwind für eine gute Familien- und Kinderpolitik
von Rot-Rot-Grün sehen.
Kürzlich hat die CDU über einen Antrag abgestimmt, die
Familienfreundlichkeit in Fraktion und Partei zu stärken. Auch da geht es
um Kinderbetreuung und Termine nur noch bis zum Nachmittag. Wurde auch
Zeit, oder?
Ist doch gut, wenn sich jetzt auch die CDU um Familienfreundlichkeit
bemüht. Wir Grünen haben ja schon seit den 80er Jahren Doppelspitze,
Frauenquote und Kinderbetreuung bei Parteiterminen. Aber auch so ist es
schwer, junge Familien in der Politik zu halten – wir versuchen regelmäßig,
Formate zu verbessern. Ich habe sogar schon mal eine grüne
Babykrabbelgruppe gegründet.
Wir wollten noch darüber sprechen, warum wir dieses Interview nicht mit
einem Mann führen würden. Ärgert es Sie, dass wir zum Beispiel Ihren
Fraktionskollegen Benedikt Lux nicht fragen, wie er es schafft,
Abgeordneter und vierfacher Vater zu sein?
Der Unterschied ist doch: Frauen werden gefragt: Schaffen Sie das WIRKLICH?
Es wird immer in Zweifel gezogen, dass bei Frauen beides geht. Und Männer
fragt man entweder gar nicht, oder man sagt – zögert.
Man sagt: Toll, dass Sie das schaffen!
Ja, ganz genau. Ich habe mich dafür entschieden, als Abgeordnete die
Interessen der Berlinerinnen und Berliner zu vertreten, ich weiß um diese
Verantwortung und natürlich werde ich ihr gerecht. Und natürlich will ich
der Verantwortung, als Mutter für meine Kinder da zu sein, auch gerecht
werden. Das ist manchmal ein Spagat, aber es ist für mich eine
Selbstverständlichkeit, dass man sein Bestes gibt, Job und Familie unter
einen Hut zu bekommen.
Wie sähe eine gleichberechtigte Diskussion über dieses Thema aus?
Ich finde die ganz nüchterne Frage: ‚Wie organisieren Sie das?‘ schon
legitim -auf einer rein praktischen Ebene, nach dem Motto: Spannend, sag
mir doch mal, wie das bei euch läuft.
Wenn man Frauen fragt, ob sie das wirklich schaffen, schwingt ja immer auch
die Frage mit, ob man eine gute Mutter sein kann, wenn man Karriere macht.
Die Mutterrolle ist für mich nicht singulär. Es ist eine Elternrolle und
ich nehme davon einen Teil ein.
Bräuchte es mehr Role-Models dafür?
Ich glaube schon. Sigrid Nikutta [die BVG-Vorstandsvorsitzende und Mutter
von fünf Kindern] war zum Beispiel ein [3][Role-Mode]l für mich. Und meine
Oma, die hatte sieben Kinder. Okay, sie war nicht erwerbstätig, aber eine
Großfamilie ist auch ein Mega-Management-Job.
24 Oct 2018
## LINKS
[1] /Thueringer-Gruenen-Abgeordnete-mit-Baby/!5529330
[2] https://kitakriseberlin.org/
[3] https://www.berliner-zeitung.de/berlin/sigrid-nikutta-warum-die-bvg-chefin-…
## AUTOREN
Anna Klöpper
Bert Schulz
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