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# taz.de -- Debatte Linke Sammlungsbewegung: Schachmatt gesetzt
> Warum einiges für Sahra Wagenknechts Idee spricht, sie aber an der
> unrealistischen Haltung der Linken in der Flüchtlingspolitik scheitern
> wird.
Bild: Wagenknecht hat sich vorerst ins Abseits manövriert
Wer sollte schon kommen? Jakob Augstein vielleicht? Lafontaines
Ex-Staatssekretär Heiner Flassbeck? Viele Prominente sind es nicht, die
einem als mögliche Zugpferde für [1][Sahra Wagenknechts] Sammlungsbewegung
einfallen. Die Linke-Fraktionschefin wirbt seit einigen Monaten dafür, viel
Konkretes war noch nicht zu hören. Man darf skeptisch sein, ob mehr daraus
werden wird.
Dabei spricht einiges für eine Umgründung auf der politischen Linken. 38,6
Prozent haben im September 2017 SPD, Grüne oder Linkspartei gewählt, 56,3
Prozent CDU/CSU, FDP oder AfD. Eine linke Mehrheit ist nicht in Sicht. SPD
und Grüne haben daraus ihre Schlussfolgerungen gezogen: Die
Sozialdemokraten mit dem erneuten Versprechen einer Erneuerung, die Grünen
mit einer stärkeren Orientierung auf die bürgerliche Mitte. Wer links keine
Machtoptionen sieht, sucht sie woanders.
Für die Linkspartei ist die Lage scheinbar bequem. Sie liegt so weit
oberhalb der Fünfprozenthürde und so weit weg von einer
Regierungsbeteiligung, dass sie keine anstrengenden innerparteilichen
Konflikte austragen müsste. Sie dürfte von der Orientierung der Grünen an
der Union und der Beteiligung der SPD an einer neuen großen Koalition
profitieren. Aber am Fehlen einer Machtperspektive ändert das nichts: Die
Stimmen innerhalb des rot-rot-grünen Lagers zu verschieben ist ein
politisches Nullsummenspiel.
Was also tun? Wagenknechts Sammlungsbewegung ist innerparteilich [2][so
umstritten], weil sie einen Teil der Wähler gewinnen will, die von SPD und
Linkspartei zur AfD gewechselt sind. Was heißt, dass man zumindest auf
einen Teil ihrer Anliegen eingehen muss. Im Kern ist das ein Streit seit
dem Flüchtlingsherbst 2015: Wenn die linken Parteien eine moralisch wie
politisch glänzende Performance hingelegt hätten, wäre es Opportunismus
gegenüber rechtspopulistischem Gedankengut, diese Linie zu verändern.
Hätten sie aber zumindest teilweise falschgelegen, wäre es dringend
notwendig, darüber zu reden.
## Andere Utopien verstecken sich im Programm
Die Linkspartei ist eine mehrheitlich realpolitische Partei, mit einer eher
rechtssozialdemokratischen (Ost-Reformer) und einer
linkssozialdemokratischen (Wagenknecht und Gewerkschaftsflügel) Variante.
Wie stets in sozialdemokratischen Parteien unterscheiden sich die beiden
Flügel darin, welches Maß an Umverteilung sie als ökonomisch und politisch
möglich sehen. Wie sollte es auch anders sein? Geld, das in Sozialpolitik
fließt, muss zunächst einmal erwirtschaftet – und anderen weggenommen
werden.
Dennoch hat wie jede linke Partei, die einmal in großen Entwürfen gedacht
hat, auch die Linkspartei ihre utopischen Reservate: Wenn der Kampf in
Stadträten und Parteigremien zäh ist, strahlt die Sonne in Kuba umso
heller.
Andere Utopien verstecken sich im Programm – üblicherweise in Punkten, bei
denen die Parteispitze sicher sein kann, dass Koalitionspartner sie in
Verhandlungen kassieren würden. So war es bis 2015 auch beim Thema
Asylrecht, bei dem sich eine Arbeitsteilung eingependelt hatte: SPD und
Union waren dafür zuständig, die Grenzen möglichst dicht zu halten, Grüne
und Linkspartei dafür, möglichst vielen Flüchtlinge den Zugang nach
Deutschland zu ermöglichen.
Das ermöglichte es Grünen und Linkspartei, nicht über die Tragfähigkeit
ihrer Flüchtlingspolitik debattieren zu müssen. Die Linkspartei ging 2013
in ihrem Wahlprogramm sogar so weit, „offene Grenzen“ zu fordern. Grüne und
Linke suchten in der Flüchtlingsfrage nach nationalen Lösungen für globale
Probleme.
## Mit Empathie und Augenmaß
Mit dem Herbst 2015, als Merkel die Politik von Grünen und Linken betrieb,
brach diese Arbeitsteilung zusammen. Innerhalb von wenigen Monaten zeigte
sich die Unhaltbarkeit der Offene-Grenzen-Politik. Die wichtigsten Fragen
konnte niemand beantworten: Wie viele Flüchtlinge würden kommen, wenn die
Grenzen dauerhaft offen blieben? Wie könnte man dafür sorgen, dass sie
Wohnraum und Beschäftigung erhielten – und zwar so, dass dies nicht zu
Lasten der schon ansässigen Bevölkerung ging? Und wie begründete sich
eigentlich die moralische Notwendigkeit der Aufnahme von Flüchtlingen in
einer so hohen Zahl, wo doch der überwiegende Teil aus der Türkei, einem
für sie sicheren Drittstaat, kam?
Nur in wirklichen Notfällen darf über die nötigen Ausgaben nicht gestritten
werden. Bei ihren Regierungsbeteiligungen hielt es die Linkspartei jedoch
für legitim, öffentliche Betriebe zu verkaufen, den öffentlichen Dienst zu
schrumpfen und Landkreise zusammenzulegen. Kurz: Soziale Politik richtete
sich auch nach der Kassenlage. Im Herbst 2015 aber war die Linkspartei der
Auffassung, dass Geld keine Rolle spielen durfte.
Das konnte schon deshalb nicht gut gehen, weil von der revolutionären
Flüchtlingspolitik nur Menschen profitierten, die nicht wahlberechtigt
waren, während die eigenen Wähler mit Realpolitik versorgt wurden.
Wagenknechts Sammlungsbewegung wäre vollkommen überflüssig, wenn sich die
Linkspartei vor den nächsten Wahlen über eine sinnvolle Flüchtlingspolitik
verständigen könnte. Mit Empathie, aber auch Augenmaß. Kurz: Wenn sie die
Idee fallen lässt, alle Flüchtlinge der Welt könnten nach Deutschland
kommen, wenn sie wollen. Niemand sollte auf einfache Rezepte hoffen.
## Merkel tickt längst wieder im Realpolitikmodus
Und wenn nicht? Die Ironie des Flüchtlingsherbstes 2015 ist, dass Merkel
längst wieder im Realpolitikmodus tickt, während ihre damalige Politik für
eine ganze linke Generation identitätsstiftend geworden ist. Und zwar
insbesondere für jene urbanen Schichten, die im Westen früher zu den Grünen
gegangen wären, jetzt aber der Linkspartei zuströmen.
Deshalb ist weder eine andere Politik der Linkspartei noch eine
Sammlungsbewegung wahrscheinlich. Letzterer fehlt es – bis zum Beweis des
Gegenteils – nicht nur an Prominenten, sondern auch an der Basis. Merkel
hat die linke Opposition schachmatt gesetzt.
31 Mar 2018
## LINKS
[1] /Sahra-Wagenknecht-ueber-linke-Politik/!5489946
[2] /Machtkampf-bei-der-Linkspartei/!5492147
## AUTOREN
Martin Reeh
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