| # taz.de -- Machtkampf bei der Linkspartei: Linksaußen will sich befreien | |
| > Die Fraktionschefs Wagenknecht und Bartsch stehen in der Partei zunehmend | |
| > in der Kritik. Der linke Flügel will sich neu aufzustellen – ohne die | |
| > Frontfrau. | |
| Bild: Sahra Wagenknecht hat ein größeres Problem | |
| Zunächst war es ein Zufall, eine zeitliche Koinzidenz: Einige Mitglieder | |
| aus dem Linksaußen-Flügel der Linkspartei gründeten im Januar die Plattform | |
| [1][bewegungslinke.org] und stellten einen Aufruf online: „Ein medialer | |
| Wahlverein kann keine Alternative zu einer pluralen und demokratisch | |
| verfassten Partei sein“, hieß es da. Am gleichen Tag publizierte der | |
| Spiegel ein Interview mit Sahra Wagenknecht. Darin wirbt die | |
| Fraktionsvorsitzende im Bundestag für eine neue linke Volkspartei und | |
| nennt als Vorbild die zentral gelenkte Sammlungsbewegung des französischen | |
| Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon. | |
| Die bewegten Linken hatten keine Ahnung, dass sich ihr Aufruf wie eine | |
| Replik auf Wagenknecht lesen würde. Ungelegen kam ihnen das aber nicht. Im | |
| linken Spektrum der Partei gärt es, die [2][einstige Frontfrau Sahra | |
| Wagenknecht] steht in der Kritik. „Im linken Flügel der Partei herrscht | |
| seit Längerem Unzufriedenheit, welche Positionen im Namen des Flügels | |
| bezogen werden“, sagt Nicole Gohlke, die auch im Impressum von | |
| bewegungslinke.org steht. Die Bundestagsabgeordnete aus München gehörte | |
| einst zum Kreis der ganz linken Linken um Wagenknecht, betrachtet die | |
| Fraktionsvorsitzende inzwischen aber distanzierter. | |
| Und die Bewegungslinken legen nach: Sie wollen sich am 21. April auch | |
| analog treffen und laden zum „Ratschlag für eine bewegungsorientierte | |
| Linke“ ein. Beim Austausch in Berlin sollen Fragen diskutiert werden wie: | |
| „Diese EU ist nicht unser Ding – ein Austritt auch nicht. Was setzen wir | |
| dagegen?“, „Muss Die Linke ihre Position in der Flüchtlingsfrage beim | |
| kommenden Parteitag revidieren?“ Oder auch: „Wie schaffen wir es, die | |
| akademisch geprägte Linke und die klassische Arbeiter*innenklasse | |
| zusammenzubringen?“ | |
| Das Programm umfasst in etwa alle offenen Fragen, auf die die Linkspartei | |
| derzeit Antworten sucht. Und die von Wagenknecht heute anders beantwortet | |
| werden als von ihrer ehemaligen Hausmacht. Jetzt also der Versuch, aus dem | |
| Schatten der einstigen Frontfrau zu treten und sich Gehör zu verschaffen. | |
| „Wir wollen uns als linker Flügel neu vernetzen und in die Debatte werfen“, | |
| sagt Gohlke. | |
| ## Nur ein loses Netzwerk | |
| Eine neuer Zusammenschluss innerhalb der Partei wollen die Bewegungslinken | |
| nicht sein, sie sehen sich als loses Netzwerk. „Wir kämpfen um die | |
| Pluralität der Partei genauso wie um klare antifaschistische, flüchtlings- | |
| und friedenspolitische Grundlagen“, fasst Gohlke zusammen. | |
| Einige der Unterzeichner sind bereits Mitglieder von innerparteilichen | |
| Zusammenschlüssen, andere ordnen sich keiner der zahlreichen Strömungen zu. | |
| Die meisten Unterzeichner kommen aus den westlichen Landesverbänden, | |
| darunter überraschend viele aus Nordrhein-Westfalen, dem Landesverband von | |
| Wagenknecht. | |
| „Einige von uns fragen sich schon, wo Sahra Wagenknecht heute Positionen | |
| vertritt, die zum linken Flügel passen. Da gibt es auch an der Basis | |
| Fragezeichen“, sagt Niema Movassat, der seit 2009 für den Landesverband NRW | |
| im Bundestag sitzt und seinen Wahlkreis in Oberhausen hat. „Ihre | |
| Verteidigung der Essener Tafel haben viele problematisch gesehen“, sagt | |
| Movassat. Movassat, Mitglied der Antikapitalistischen Linken, hat den | |
| Aufruf „Solidarität ist unteilbar“ auf bewegungslinke.org mitinitiiert. | |
| „Uns geht es dabei auch um eine andere Debattenkultur, eine sachliche | |
| Streitkultur“, sagt Movassat, der in der Fraktion mittlerweile als Rebell | |
| gilt. | |
| Kein Zufall ist es, dass die Idee des neuen Netzwerks von einem kleinen | |
| Kreis Abgeordneter der Bundestagsfraktion stammt: Sabine Leidig, in der | |
| Fraktion Beauftragte für soziale Bewegungen, ist dabei, Norbert Müller, | |
| Abgeordneter aus Brandenburg und Ex-Geschäftsführer der Sozialistischen | |
| Linken, Movassat und Gohlke. Unmittelbar nach der verkorksten | |
| Fraktionsklausur trafen sie sich zu ersten Gesprächen. | |
| ## Erpressung durch Rücktrittsdrohung | |
| Auf der Klausur kurz nach der Bundestagswahl drohte Wagenknecht mehrfach | |
| mit Rücktritt, um ihre Leute in den Vorstand und die Fraktion hinter sich | |
| zu bringen. Auch zahlreiche neue Abgeordnete, die sich eher als Mitstreiter | |
| sozialer Bewegungen denn als Parteisoldaten begreifen, fanden das | |
| befremdlich, sie fühlten sich erpresst. Parlamentsneulinge wie Lorenz Gösta | |
| Beutin, Landessprecher in Schleswig-Holstein, oder Michel Brandt, | |
| Abgeordneter aus Karlsruhe, haben sich dem Aufruf der Bewegungslinken | |
| angeschlossen. | |
| Das Murren über das machttaktische Bündnis des linken Wagenknecht-Kreises | |
| mit den Reformern um Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch ist längst nicht mehr | |
| zu überhören. Die Art, wie Bartsch und Wagenknecht die Fraktion führen, | |
| empfinden manche als autoritär. „Es herrscht das Gefühl: In dieser | |
| Hufeisenkonstellation drohen wir unter die Räder zu kommen“, sagt Gohlke. | |
| Die Kritik am Hufeisen kommt dabei nicht nur aus dem linken Flügel. Auch im | |
| Forum Demokratischer Sozialismus, FDS, der Pragmatikerströmung, die hinter | |
| Bartsch steht, wächst die Unzufriedenheit. Bartsch agiere zu zahm im | |
| Verbund mit Wagenknecht, heißt es. | |
| Mit den Bewegungslinken hat das FDS wenig am Hut. Was sie aber verbindet, | |
| ist das Bedürfnis, der machttaktischen Umklammerung von Reformern und | |
| Linken zu entkommen und endlich wieder offen zu debattieren: über die EU, | |
| über Einwanderung, aber auch über Digitalisierung und Bedingungsloses | |
| Grundeinkommen. „Wenn wir diese Debatten nicht besetzen, werden wir von der | |
| Zeit überholt“, sagt Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin des FDS. | |
| Auf dem Parteitag im Juni wird man sehen, inwieweit es den GenossInnen | |
| gelingt, das Hufeisen zu sprengen. | |
| 19 Mar 2018 | |
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| [2] /Sahra-Wagenknecht-ueber-linke-Politik/!5489946 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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