# taz.de -- SPD-Minister in neuer Regierung: Abgang des Unwirschlings | |
> Gabriel muss als Außenminister gehen – ausgerechnet jetzt, wo seine | |
> Beliebtheit steigt. Ein Rückblick auf eine Karriere mit Höhen und Tiefen. | |
Bild: Sigmar Gabriel bleibt Bundestagsabgeordneter, aber seine Zeit in der Part… | |
BERLIN taz | Etwas verrückt ist es schon. Da wird dieser Unwirschling von | |
den Deutschen endlich mal geliebt. Da wollen drei von vier Bürgern, dass er | |
Außenminister bleibt. Da gelingt ihm mit der Freilassung von Deniz Yücel | |
ein Coup für die Geschichtsbücher. Da ist er also endlich in dem Amt | |
angekommen, das er respektabel auszufüllen weiß. | |
Und ausgerechnet jetzt soll Schluss sein für Sigmar Gabriel? | |
„Nun endet die Zeit, in der ich politische Führungsaufgaben für die SPD | |
wahrgenommen habe“, [1][schrieb Gabriel am Donnerstagmorgen auf Twitter]. | |
Der kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz und die designierte neue | |
Parteichefin Andrea Nahles hätten ihn über sein Ausscheiden aus der | |
Bundesregierung informiert. | |
Dass Sigmar Gabriel, 58, bald nur noch als einfacher Abgeordneter im | |
Parlament sitzen wird, ist ein Abschied, der auf den ersten Blick nicht | |
einleuchtet. Auf den zweiten aber umso mehr. Gabriel darf nicht mehr | |
Minister sein, [2][weil er mit Andrea Nahles und Olaf Scholz überquer lag, | |
den neuen Bestimmern in der SPD.] Weil er es sich in seiner Partei auch | |
sonst mit fast allen verscherzt hat. Weil ihm, anders gesagt, aus seiner | |
Sicht nur einer das Wasser reichen kann: er selbst. | |
Anecken im Zick-Zack-Kurs | |
Genialität und Zerstörungsneigung liegen bei Gabriel so nah beeinander wie | |
bei kaum einem anderen Spitzenpolitiker. Seine Ungeduld und seine Neigung | |
zu schlechter Laune sind legendär, seine Sprunghaftigkeit sowieso. „Mr. | |
Zick-Zack“ nannte ihn mal ein Basismitglied in einem offenen Brief, als er | |
noch Vorsitzender war. | |
Fast acht Jahre litt die SPD unter ihrem Ex-Chef, still, am Ende auch | |
lauter. Aber Gabriel ist – auf seine Art – auch sehr gut. Selbst seine | |
zahlreichen Gegner bestreiten seine Qualitäten nicht: den Instinkt, das | |
Talent zur Zuspitzung, die rhetorischen Qualitäten, die Ausgebufftheit. | |
Gabriel kümmert sich gerne um das große Ganze. Da war zum Beispiel [3][sein | |
Essay im SPIEGEL im Dezember]. Darin beschreibt er, warum der Aufstieg der | |
Rechten auch eine Revolte gegen einen als übersteigert empfundenen | |
Liberalismus sei – und warum dies für ehemals sozialdemokratische Wähler | |
attraktiv sei. Er legt der SPD nahe, neu über Begriffe wie Heimat und | |
Leitkultur nachzudenken, statt sie reflexhaft abzulehnen. Weil sich | |
dahinter auch die Sehnsucht nach sicherem Grund unter den Füßen verberge. | |
An der Analyse ist viel Wahres dran. Wahrscheinlich sehnen sich viele | |
Menschen in die Zeit zurück, in der sozialdemokratische Rezepte den | |
Kapitalismus verlässlich einhegten. Doch fragte man sich bei der Lektüre | |
gleichzeitig: Wer hat eigentlich in den vergangenen Jahren den Kurs der SPD | |
verantwortet? Wer war Parteivorsitzender, Vizekanzler und Minister? Gabriel | |
analysierte mit großer Geste Probleme, die er selbst hätte lösen müssen. | |
Beharrliche Diplomatie | |
Auch seine 13 Monate als Außenminister waren ambivalent, der Beliebtheit | |
bei den BürgerInnen zum Trotz. Am 16. Februar, dem Tag seines größten | |
Erfolges, [4][steht Gabriel im Newsroom des Springerblattes Die Welt.] „Ja, | |
das ist ein guter Tag“, sagt er, „Deniz Yücel ist auf freiem Fuß.“ Dann | |
dankt Gabriel vielen. Den Helfern. Ex-Kanzler Schröder. Dem türkischen | |
Außenminister. | |
Aber er lässt auch keinen Zweifel daran, welch große Rolle er selbst | |
spielte. Er erwähnt beiläufig, er habe zwei Mal mit Erdoğan persönlich | |
gesprochen. Er betont, beharrliche Arbeit und Diplomatie könnten Erfolg | |
haben. Er meint natürlich: seine eigene Beharrlichkeit. | |
In seiner Abschiedsnachricht auf Twitter betont Gabriel die „Befreiung | |
deutscher Staatsangehöriger aus ungerechtfertigter Haft im Ausland“ als | |
eine der „bleibenden Erinnerungen“. Dass der Journalist Yücel nach über | |
einem Jahr Haft freikam, geht auch auf Gabriels Wirken zurück. Auf Druck | |
und Freundlichkeit. [5][Gabriel verschärft 2017 etwa die | |
Sicherheitshinweise für deutsche Touristen, was der türkischen | |
Tourismusbranche schadet.] | |
Gleichzeitig lässt er den Gesprächsfaden nie abreißen. Er trifft seinen | |
türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu in Antalya, lädt ihn im Januar sogar zu | |
sich nach Hause nach Goslar ein. Das Foto, auf dem er Çavuşoğlu im | |
Wintergarten mit einem türkischen Teeservice bedient, wird berühmt. | |
Ein provokanter Bauchmensch | |
Während Gabriel in Deutschland für die angebliche Demutsgeste kritisiert | |
wird, kommt sie in der Türkei gut an. Symbole sind in der Außenpolitik | |
manchmal wichtiger als tausend freundliche Worte. Gabriel traut sich was im | |
Außenamt, bei seinem Vorgänger Steinmeier wäre so eine Szene nicht denkbar | |
gewesen. | |
Aber Gabriel, der Zuspitzer, provozierte auch in dem Job, der der | |
Diplomatie verpflichtet ist. Er denkt laut darüber nach, die Sanktionen | |
gegen Russland schrittweise zu lockern – zum Ärger der CDU. [6][Er adelt | |
kurz vor der Bundestagswahl den Kreml-Sender Russia Today mit einem | |
Exklusivinterview.] Und sein Vergleich der israelischen Politik in Hebron | |
mit einem „Apartheids-Regime“ aus dem Jahr 2012 hängt ihm bis heute nach. | |
Gabriel ist ein Bauchmensch, der seinem Instinkt vertraut. Schneller als | |
andere erfasst er, was wichtig wird. | |
Früh witterte er zum Beispiel, dass die vielen Flüchtlinge die Stimmung in | |
der Republik gefährlich verändern würden. [7][Er schaut „als Privatmann“ | |
bei einer Diskussion mit Pegida-Teilnehmern vorbei – und stellt damit die | |
eigene Generalsekretärin bloß, die vor dem Umgang mit den Braunen gewarnt | |
hatte.] Im Februar 2016, nach Monaten mit hohen Flüchtlingszahlen, fordert | |
er ein „neues Solidaritätsprojekt“ für die eigene Bevölkerung. „Für d… | |
macht ihr alles, für uns macht ihr nichts“, diesen Satz höre er immer | |
wieder. | |
Eine Genugtuung für die SPD | |
Gabriel, hieß es damals, spiele Flüchtlinge gegen Deutsche aus. Doch heute | |
beherzigt die künftige Große Koalition genau dieses Prinzip. Sie plant | |
Milliardenausgaben für die gereizte Mittelschicht, um den Aufstieg der AfD | |
zu stoppen. | |
Das Problem mit Gabriels Instinkt ist, dass er sich nicht darum schert, was | |
er vor einer Woche behauptet hat. Gabriel, heißt es in der SPD, habe sich | |
einfach nicht im Griff. Als er dachte, Martin Schulz wolle ihn aus dem Amt | |
verdrängen, schob er seine kleine Tochter vor, um den „Mann mit den Haaren | |
im Gesicht“ zu beleidigen. Der Fauxpas war ein klassischer Gabriel, wenig | |
später entschuldigte er sich bei Schulz. | |
In der SPD sind deshalb viele mit ihm durch. Sie haben nicht vergessen, wie | |
sehr sie unter ihm als Chef litten. Als er noch SPD-Vorsitzender war, | |
[8][beschimpfte er zum Beispiel die linke Syriza-Regierung in Griechenland] | |
– und unterstützte kurzfristig einen Euro-Austritt auf Zeit des | |
verschuldeten Staates. Und die SPD will eine Europapartei sein? Dann | |
[9][sein Basta zur Vorratsdatenspeicherung], sein [10][Ja zum | |
Freihandelsabkommen TTIP], sein Nein zu linker Steuerpolitik. | |
Für Gabriel ist sein Abschied aus der ersten Reihe bitter. Für viele in der | |
SPD ist er eine Genugtuung. | |
8 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/sigmargabriel/status/971661780010307589 | |
[2] /!5484047/ | |
[3] http://www.spiegel.de/spiegel/sigmar-gabriel-wie-die-spd-auf-den-rechtspopu… | |
[4] /!5485304/ | |
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[6] /!5449727/ | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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