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# taz.de -- Berlinale-Kolumne „Was bisher geschah“: Furor mit Alufolie
> Im Berliner Hebbeltheater gastierten am Donnerstag in beim Talentcampus
> die beiden Musiker Ryuichi Sakamoto und Carsten Nicolai.
Bild: In der Ruhe liegt die Kraft: Ryuichi Sakamoto
„Secrets“ heißt das Gesprächsformat in der Sektion Berlinale Talents,
Geheimnisse des Erfolgs sollen dem Filmnachwuchs offenbart werden. Am
Donnerstag wird dem Titel entsprochen, aber anders. „Leider habe ich schon
wieder vergessen, was ich gespielt habe“, sagt der Pianist und
Schauspieler Ryuichi Sakamoto im vollbesetzten Hebbel-Theater. Sakamoto
ist Teil der Berlinale-Jury. „Weißt du noch, was du gespielt hast?“, fragt
Sakamoto seinen Kompagnon, den Chemnitzer Elektronikproduzenten Carsten
Nicolai alias Alva Noto. „Aber nein!“ Harharhar.
Dem unprätentiösen Q&A gehen 40 eindrucksvolle Minuten voraus, in denen die
beiden Künstler der gespielten Sprachlosigkeit eine Kostprobe ihrer
Dialogfähigkeit vorausgeschickt hatten. Sakamotos Piano und das
elektronische Gerät Nicolais geben eine grandios-anschauliche Vorstellung
davon, was Improvisation bedeutet. Ihr Konzert beginnt, als sich der
66-jährige Japaner am geöffneten Hinterdeckel des Pianos mit einem
Wachstuch zu schaffen macht. Die Pianosaiten im Gehäuse sind präpariert mit
Papierstreifen und Stofffetzen. Sakamoto schlägt mit einem kleinen
Hämmerchen aus Holz den Kapodaster und die Saiten an, bis sie schnarren.
Und was für ein delikates Schnarren das ist!
Leise, konzentriert, tiefenentspannt geht Sakamoto zu Werke, leise
tiefenentspannt und konzentriert schraubt Nikolai an seinen Synthesizern
und Effektpads, die er auch mal mit einem Geigenbogen traktiert, bis
allmählich diese hintergründige Ambient-Geräuschkulisse entsteht, für die
die beiden weltberühmt sind.
Wenn es das Duo schwirren und ziselieren lässt, wird konsequent auf
Pathosformeln verzichtet, weder Esoterik noch Derbheiten stören dieses
scheinbar selbstverständliche Zeremoniell. Sakamotos Piano gluckert wie das
Aggregat eines Kühlschranks, die subsonischen Drones von Nikolai nehmen die
Form von Sinuskurven an. Selbst das Feedback wummert so, wie Schneeflocken
wummern würden, ja, wenn sie es denn könnten.
Hinter den Musikern flimmert ein weißer Längsstreifen auf einer Leinwand,
der die Trance ihrer Sounds auf eine visuelle Umlaufbahn schickt. Nichts
scheint diese Zen-meditative Stimmung zu trüben, sanft dämmern die
Zuschauer weg, bis Sakamoto plötzlich anfängt, ein kleines Stück Alufolie
auseinanderzuklamüsern. Was für ein Rascheln! Was für ein Furor!
Ganz am Ende wagt es Sakamoto, einige der 88 Tasten anzuspielen. Eine
Auskunft über seine Arbeitsweise als Filmkomponist gibt er auch noch: Eine
Balance zwischen Filmbildern und Filmmusik empfinde er als störend. Seine
Musik sperre sich gegen den Fluss der Bilder, weil ihr achttaktiges Schema
nicht dem Rhythmus der Bildgeschwindigkeit entspricht.
23 Feb 2018
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Ambient
Schwerpunkt Berlinale
Japan
Dokumentarfilm
Ambient
Clubkultur
Schwerpunkt Berlinale
Punk
Grace Jones
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