Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album des Punkduos „No Age“: Mode und Verzweiflung
> „Snares Like a Haircut“ ist ein wütendes Album zur Lage der USA unter
> Präsident Donald Trump. Eine gelungene Aggression.
Bild: „No Age“ sind Randy Randall und Dean Spunt
„Fühlt sich seither so an, als wäre das, wofür ich künstlerisch stehe,
illegal“, erklärt Randy Randall, eine Hälfte des Duos No Age aus Los
Angeles, zu den atmosphärischen Veränderungen in den USA seit 2016. Er
meint die Polarisierung der Gesellschaft und die Prominenz
rechtspopulistischer Ideen im Mainstream. Was Randall und seinen
Bandkollegen Dean Spunt umtreibt und wohin sich die USA seit dem
Amtsantritt von Donald Trump entwickelt haben, Trumps Twitter-Irrsinn, der
zur Apathie geführt hat, all das kommt zur Sprache auf [1][„Snares Like a
Haircut“], dem neuen Album von No Age, das am Freitag vom unabhängigen
Label Drag City in Chicago veröffentlicht wird. Es ist ein richtiges
Kickass-Werk geworden, mit zwölf Songs, die der grassierenden Unsicherheit
neue kämpferische Entschlossenheit entgegensetzen.
Wohlgemerkt, No Age sind keine Schulterklopfer, die sich mit ihrer Musik
der eigenen Anständigkeit vergewissern. Und „Snares Like a Haircut“ ist
auch kein Bausatz zur Bewältigung des kommenden Aufstands der Anständigen.
Die Songs von No Age treten einfach nach hinten aus, wie ein gereiztes
Maultier, ihre Aggression ist gelungen. Die beiden Musiker versprühen Unmut
wie andere Unkrautvernichtungsmittel. Auch frühere Alben des Duos, etwa
„Nouns“ (2009) und „An Object“ (2013), hatte diese Gemengelage
ausgezeichnet: Lautstarke und angriffslustige Songs, die von ihrer eigenen
Kaputtheit nach vorne getragen werden. Mit smogig-schlierigen
Gitarrenschichten, die auf ausufernden Loops fußen, Anti-Melodien mit Sinn
für Garagen-Punk-Punchlines und einem bollernden Schlagzeug-Aufgalopp.
Dabei soll nicht vergessen werden, dass No Age ein Gespür für Pop haben.
„Wenn Medizin bei uns die Klangexperimente und atonalen Soundeffekte sind,
ist Pop wie der Zucker, der Medizin beim Einnehmen erträglich macht.“ No
Age sind zwar nur zu zweit, entwickeln aber Energie für fünf, Samples und
Looppedale machen es möglich. „Wir respektieren Hooklines“, erklärt Randy
Randall und muss lachen.
Wenn es etwas gibt, was ihnen nicht passt, melden sich die beiden Künstler
auf Graswurzelart zu Wort, etwa, um bei Konzerten gegen schlechte
Arbeitsbedingungen beim US-Turnschuhhersteller Converse aufzuklären, wie
bei ihrer US-Tour 2012 geschehen. Oder um in Solidarität mit dem
US-Kunstkollektiv The Thing ihr Album „An Object“ erneut auf Vierspur
aufzunehmen und diese Aufnahme für das Magazin von The Thing als Tape zu
veröffentlichen – ein schlauer Kommentar zur eigenen Warenförmigkeit.
Was Drummer und Sänger Dean Spunt nun in den Songtexten vorträgt, ist noch
eine Spur direkter und politischer als es No Age zuvor je waren. Das
einprägsame „Send me“ und sein catchy Chorus „Send me / Where should I g…
drücken das exemplarisch aus. Randy Randall: „Das ist unser Protest gegen
die Einwanderungspolitik von Trump und seinem Einreisebann für Muslime. Er
beruht auf rassistischer Ideologie. Die Idee für den Song ist vom Women’s
March 2016 inspiriert.“ No Age war damals auch bei den Protesten gegen den
Bann am LAX, dem internationalen Flughafen von Los Angeles.
Zum ersten Mal haben die Musiker „Send me“ am Abend vor Trumps Vereidigung
gespielt, bei einem All-Ages Konzert in der nordkalifornischen Stadt
Fresno. „Die Teenager im Publikum bekamen leuchtende Augen, sie waren
elektrisiert von der Musik, nichtsahnend, was ihnen bevorstehen würde. Wir
beide auf der Bühne und die älteren Zuschauer hatten eine dunkle Vorahnung,
unsere Furcht vor der deprimierenden Zukunft war riesig. Als wir ‚Send me‘
dann gespielt haben, machte sich bei allen Melancholie breit. Die
Gewissheit, dass es dauern würde, bis sich die Dinge wieder ändern, bis
repariert ist, was gerade kaputt gemacht wird. Aber hinter dem ganzen
Frust, hinter der Ohnmacht, liegt immer Hoffnung. Auch dafür stehen wir mit
unserer Musik ein.“
No Age transformieren ihre Sorgenfalten eins zu eins in Druckwellen, die
aus dem Marshall-Verstärker von Randall und aus den Trommeln von Spunt
wummern. Hardcore-Punk ist nicht umsonst in Los Angeles entstanden, als
Ergebnis eines Konzerts während der ersten US-Tour der britischen Punkband
The Damned, 1977, der viele der Anwesenden dazu inspirieren sollte, mit
eigenen Bands noch schneller, noch härter, noch verzinkter zu spielen.
Randy Randall, der 1981 Geborene, kennt diese Anekdoten vom Hörensagen. No
Age covern gerne „Six Pack“, die Hardcore-Hymne ihrer kalifornischen
Urahnen Black Flag. Das ist keine leere Geste, No Age sehen sich als Erben
dieser langen Geschichte. Punk sei in L. A. in der vierten Generation, noch
habe er eine Bedeutung als Protestkultur, erklärt Randall. Nach wie vor
sind die beiden auch aktiv in dem alternativen Club The Smell in Downtown
Los Angeles, ihr Wohnzimmer.
„Bei mir zu Hause gab es Stress vor allem mit meinem Vater. Daraus hat sich
dann die Energie für meine Rebellion gespeist, mit Punk habe ich die
Turbulenzen in meiner Jugend bewältigt. Nach außen richtete sich mein Zorn
gegen den Alten, aber ich war auch selbst angefressen und der Nihilismus
von Punk half mir zu überleben. Inzwischen haben Dean und ich weitgehend
Frieden gemacht mit dem Mist. Das Leben geht weiter und den Rest des Lebens
sauer auf Daddy zu sein, dafür bleibt in meinem Alltag zu wenig Zeit.“
Was Randy Randall aus seiner Gitarre an Klang herausholt, was wie Lava aus
seinem Amp fließt, damit lässt sich die Unbill von Scheißtagen besser
ertragen. Der rund fünfminütige Fiebertraum „Squashed“, der gegen Ende des
neuen Albums steht, ist so ein meisterlicher, von Randall arrangierter
Song: Seine Gitarrenakkorde hat er durch Effekte gejagt, gesampelt, diese
Samples tranchiert und wieder neue zusammengesetzt. Eine Wucht entsteht,
die ihre Konturen stets behält.
Er habe die USA noch nie so düster erlebt wie momentan, sagt Randy Randall,
das treibe ihn noch mehr an, denn es gelte, die Kulturkämpfe von rechts
zurückzuschlagen. „Es nützt nichts, wenn wir unser Gewissen mit ‚Fuck
Trump‘-Aufklebern auf der Stoßstange beruhigen. Unser Job ist, rauszugehen
und Konzerte zu spielen. Es geht doch um Grundsätzliches: Menschenrechte,
Gender-Politik und Klimaschutz. Da weichen wir fundamental ab von Trump und
der Position der amtierenden US-Regierung und ihrem Drang, ständig alles zu
vereinfachen. Wir stehen mit unserer Meinung keineswegs allein da, es gibt
viele Leute in den USA, die so denken wie wir. Wir versuchen aber auch, den
Dialog mit der Gegenseite aufrechtzuerhalten. Wir spüren bisher jedenfalls
keinen stärkeren Gegenwind, wenn wir live spielen.“
Manchmal empfindet Randall sein Land wie einen Güterzug, der mit Volldampf
auf den Abgrund zurast. No Age haben eine spezielle Beziehung zur
Eisenbahn. 2013 waren die beiden Kalifornier Teil von „Coast to Coast“,
einem Happening des bildenden Künstlers Doug Aitken, der neben
KünstlerkollegInnen auch Bands in einem speziell ausgestatteten Zug auf die
Reise schickte, von New York quer durch die USA bis nach Los Angeles.
Unterwegs spielten No Age an Bahnhöfen. Das sei eine tolle Erfahrung
gewesen, erinnert sich Randall, sie haben viele neue Bekanntschaften
geschlossen. „Für uns hat alles einen Wert. Sound und seine Schönheit, er
bildet die Widersprüchlichkeit der USA ab.“
25 Jan 2018
## LINKS
[1] https://noage.bandcamp.com/album/snares-like-a-haircut
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Punk
Hardcore-Punk
Donald Trump
Björk
Ambient
Punk
## ARTIKEL ZUM THEMA
Elektronikfestival Sónar Reykavík: Parkhaus-Rave mit Björk
Soundclash zwischen Natur und Zivilisation: Ganz Island lauscht dem
Festival Sónar Reykjavík, das den Winter auf der Insel auskehrt.
Berlinale-Kolumne „Was bisher geschah“: Furor mit Alufolie
Im Berliner Hebbeltheater gastierten am Donnerstag in beim Talentcampus die
beiden Musiker Ryuichi Sakamoto und Carsten Nicolai.
Dreampunkalbum von No Age: Einsprüche und Ansprüche
Experimentieren, lärmen, unversöhnlich sein: Das Duo No Age aus Los Angeles
kommt mit seinem neuen Album für zwei Konzerte nach Deutschland.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.