# taz.de -- Dokumentarfilm über Grace Jones: Prügel und Austern | |
> „Grace Jones: Bloodlight and Bami“ von Sophie Fiennes zeigt Bruchstücke | |
> einer widersprüchlichen Künstlerinbiografie. | |
Bild: Grace Jones bei der Premiere ihres Films in London | |
„Slave to the Rhythm“ singt Grace Jones im Establishing-Shot des Dokfilms | |
„Bloodlight and Bami“ von Sophie Fiennes über die jamaikanische Künstleri… | |
Es ist einer von Jones’ Signatursongs aus den mittleren achtziger Jahren, | |
als sie sich von ihrem Image als Disco-Darling gelöst hatte, aber auch | |
schon die Superstarinszenierung in Studios auf den Bahamas und ihre | |
süffigen wavy und funky Reggae-Songs hinter sich gelassen hatte, um | |
burleskere Songs wie diesen aus der Feder des britischen Produzenten Trevor | |
Horn zu interpretieren. | |
Die Höhepunkte eines Konzerts in New York 2013, bei dem Grace Jones viele | |
Erfolgssongs spielt, bilden einen wichtigen Erzählstrang des Films. Jeweils | |
einen Song sieht man Jones da in toto performen, ausschließlich sie selbst | |
ist zu sehen, singend und sich unnahbar zur Musik bewegend, jünger wirkend | |
als die 69 Lebensjahre, die sie auf dem Buckel hat. | |
Ein Star: Obwohl Grace Jones ihrer künstlerischen Vergangenheit, einer fast | |
50-jährigen Karriere zwischen Fashion-Model, Schauspielerei und Popstar | |
viel zu verdanken hat, verzichtet der Film weitgehend darauf, Zusammenhänge | |
dieser Karriere herzustellen. „Bloodlight and Bami“ bleibt in einer | |
Gegenwart, in der Grace Jones kaum Zeit für Reminiszenzen hat: „Disco was | |
very much like going to church“, sagt sie an einer Stelle. | |
Zwischen der Bühnen-Inszenierung im Licht der roten Scheinwerfer | |
(„Bloodlight“) eines grandiosen Konzertabends steht der andere wichtige | |
Erzählstrang, eine Familienfeier. Fiennes begleitet Jones beim Besuch in | |
ihrer jamaikanischen Heimat (die sie schon als 13-Jährige verlassen hatte, | |
um mit der Familie an der US-Ostküste zu leben). Auf Schritt und Tritt | |
folgt ihr die Kamera, die Tonspur verzichtet auf Erklärungen wie | |
Off-Kommentare, auch sind keine Talking Heads zu sehen, die beglaubigen, | |
hinterfragen oder verraten. | |
## „Slave to the Rhythm“ | |
Wir sind mit Grace Jones und anderen Mitgliedern ihrer Familie am | |
Abendbrottisch („Bami“, jamaikanisch für Brot) zu Gast, bei Gesprächen im | |
Wohnzimmer anwesend und erleben, wie sie ihrer Mutter am Flughafen in | |
Kingston einen breitkrempigen Hut überreicht, der ihren eigenen | |
exzentrischen Kopfbedeckungen in nichts nachsteht. Ihre Mutter, Marjorie | |
Williams, hatte einst ihren Vater Robert Jones verlassen, der versucht | |
hatte, sich das Leben zu nehmen. Jones’ Song „Williams Blood“ – er kommt | |
bald im Konzert nach „Slave to the Rhythm“ – erzählt von diesem Drama. | |
„Amazing Grace“ wird Grace Jones im Verlauf des Konzerts ebenfalls singen. | |
Dazu fällt der britischen Regisseurin ein flatternder Kolibri im Dschungel | |
ein. Was sie verschweigt: Die Geschichte dieses Traditionals hat mit dem | |
Zeitalter der Sklaverei zu tun: Zum Dank an seine Rettung gelobte der | |
Kapitän eines Sklavenschiffs, das 1748 in Seenot geraten war, Sklaven | |
fortan besser zu behandeln. Später wurde er aus diesem Grund Prediger. Auch | |
Grace Jones’ Stiefvater und einer ihrer Brüder arbeiten als Geistliche. | |
Unter ihrem Stiefvater „Master P“ hat sie sehr gelitten. Immer wieder fällt | |
die Rede auf die Prügel, die Grace Jones kassiert hat. „Child abuse“ sagt | |
einer ihrer Brüder dazu. Zum dramaturgischen Höhepunkt, gegen Ende Films, | |
findet ein Gottesdienst auf Jamaika statt. Ihre Mutter singt. Grace Jones | |
hat eine Flasche Weißwein dabei, um die Veranstaltung durchzustehen. | |
Ein dritter Erzählstrang porträtiert Grace Jones in ihrem Arbeitsalltag: | |
mühselige Studiosessions für ihr Album „Hurricane“, ein Promoauftritt in | |
einer Pariser Talent-TV-Show, eine Fotosession – Jones verzieht keine | |
Miene. Hier sehen wir die hart arbeitende und dominante Künstlerin, mit der | |
absolut nicht zu spaßen ist. | |
„Bloodlight and Bami“ schenkt seiner Protagonistin nichts, schon gar keine | |
Zärtlichkeit: Backstage beim Austernhalbieren sagt Jones einmal: „Ich | |
wünschte, meine Pussy wäre so fest wie die Muskeln dieser Auster.“ Obwohl | |
Sophie Fiennes zwei Stunden Zeit braucht, hat man dennoch das Gefühl, | |
höchstens Bruchteile einer widersprüchlichen Künstlerbiografie | |
kennenzulernen. | |
24 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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