# taz.de -- Zum 70. Geburtstag von Grace Jones: Schamgrenzen sind anderswo | |
> Androgyn, sexuell selbstbewusst, immer aktiv. Grace Jones wird mit den | |
> Jahren immer lauter statt leiser. 70 Jahre sind noch lange nicht genug. | |
Bild: Grace Jones, 2017 in Montreux | |
Die Frau ist schwarz, das Haar trägt sie raspelkurz im Military Cut, den | |
Körper bedeckt ein langes Cape mit Kapuze. Es ist rückenfrei, darum kann | |
man den Ansatz ihres Hinterns sehen, je mehr sie mit den Hüften wackelt, | |
desto mehr sieht man. Dazu singt sie, mit unbewegtem Gesicht. „Pull up to | |
my bumper baby, in your long black limousine. Pull up tot he bumper baby, | |
and drive it in between“. | |
Auch wer als deutscheR FernsehzuschauerIn damals, Anfang der 80er, nicht | |
genug Englisch beherrschte, um die Aufforderung zum Sex zu lesen, kapierte | |
die Botschaft. Und war alsbald so schamesrot wie irritiert: Grace Jones, | |
die als Model und Studio 54-Tänzerin begann, pfeift schon zu Anfang ihrer | |
Musikerinnenkarriere auf den süßen Disco-Schmelz einer Donna Summer, den | |
klassischen Blondinen-Sexappeal einer Debbie Harrie oder die verzeihende | |
Verletzlichkeit einer Gloria Gaynor. | |
Wie keine andere Disco- und Dance-Künstlerin zuvor inszeniert sie | |
stattdessen Androgynität gepaart mit einer selbstverständlichen, fast | |
aggressiven Sexualität – bei Live-Auftritten dieser Zeit holt sie zu „Pull | |
up tot he bumper“ gern einen männlichen Zuschauer auf die Bühne, beugt ihn | |
vornüber und stößt in ihrem schultergepolsterten Anzug gegen seinen | |
„Bumper“ – mühelos und selbstbewusst zelebriert sie die Auflösung der | |
Gender- und Identitätsgrenzen lange, bevor das Thema in aller Munde war. | |
Jones ist aktiv, nicht passiv, sie herrscht ihren Partner an, anstatt ihn | |
zu bitten. In einem viralen YouTube-Clip [1][kann man sehen], wie Jones | |
1981 den BBC-Moderator Russell Harty ein paar Ohrfeigen gibt – er habe sich | |
im Gespräch unhöflich abgewendet, sagt sie, ihr Verhalten wurde vom | |
Publikum postwendend unter „Divatum“ abgelegt. Später erklärt sie: „Ich… | |
wie eine Amazone angezogen – und wurde behandelt wie ein Dienstmädchen“. | |
## Stolze „woman of colour“ | |
Jones, die vor genau 70 Jahren in Jamaicas ehemaliger Hauptstadt Spanish | |
Town geboren wurde, galt aus all diesen Gründen in der internationalen wie | |
deutschen Öffentlichkeit als „provokant“. Die Presse nannte sie ein | |
„Kunstprodukt“ ohne zu verstehen, wie viel Jones selbst an ihrem Image | |
arbeitete, wie viel Relevanz ein Image in der Popkultur hat, und wie viele | |
ihrer Songs sie selbst schrieb: Dass eine schwarze Frau derartig fordernd | |
auftreten könnte, wurde ihr von vorneherein abgesprochen. | |
Den angeblichen Tabubruch empfand man dabei fast ausschließlich auf | |
sexueller Ebene. Obwohl Jones sich damals, lange bevor die Rihannas dieser | |
Welt das „Twerking“ für sich beanspruchten (und die Miley Cyrusses es | |
adaptierten), auch als stolze „woman of colour“ präsentierte, die ihren | |
Körper selbstbestimmt einsetzt und genießt – kommentiert wurde das selten. | |
Ihre Konzert-Einlage in einem Gorilla-Kostüm, das sie langsam auszieht, | |
hatte bei Jones eine diesbezüglich deutliche Nuance, ein Zusammenhang wurde | |
von vielen BeobachterInnen jedoch eher zu Marlene Dietrichs Auftritt in | |
„Blonde Venus“ hergestellt. | |
Dabei begann Jones’ Bekanntheit in Deutschland mit ihrer Hautfarbe und den | |
verbundenen Konnotationen: Auf einem Stern-Cover von 1976, fotografiert von | |
Helmut Newton, war ihr [2][eingeölter nackter Körper in Ketten zu sehen]. | |
Eine von Feministinnen angestrengte Klage gegen viele ähnliche Cover des | |
Magazins folgte – die Abbildung einer unbekleideten angeketteten | |
dunkelhäutigen Frau sei sexistisch und rassistisch, es insinuiere | |
Sklaverei. | |
Zwei Jahre später arrangierte der Fotograf und Jones-Partner Jean-Paul | |
Goude ein Jones-Titelfoto für das Magazin Paper, auf dem die Künstlerin wie | |
eine Skulptur mit ausgebreiteten Armen und nur einem Schal um den Brustkorb | |
auf einem Bein steht, das andere hat sie nach hinten abgeknickt, in der | |
Hand hält sie ein Mikrofon. Kanye West stellte das Bild 2010 mit dem Model | |
Amber Rose nach, doch das elegant Skulpturale, das Herausfordernde der | |
Pose, ist auf dem Cover-Cover verschwunden. | |
## 2008 mit „Hurricane“ zurück | |
Jones, deren Karriere seit 1977 zehn Alben und internationale, | |
groovy-unterkühlte Dance-Hits wie „Slave to the Rhythm“ oder „La vie on | |
Rose“, sowie eine Rolle als enorm muskelstarke Gegenspielerin „May Day“ im | |
1985 entstandenen Bond-Film „Im Angesicht des Todes“ umspann, pausierte | |
musikalisch ab 1989 unfreiwillig fast 20 Jahre lang – in den Neunzigern | |
hatten mehrere Plattenprojekte nicht geklappt. Als sie 2008 mit „Hurricane“ | |
zurückkahm, für das neben Adam Green auch Sly Dunbar und Brian Eno | |
mithalfen, brach sie mit leichter und sicherer Hand ein weiteres Tabu: Das | |
der sich „altersgemäß“ und innerhalb der „Schamgrenzen“ verhaltenden | |
alternden Frau. | |
Denn Jones nutzte und präsentierte ihren Körper auch 2008 nach ihrem | |
eigenen Gutdünken. Sie tritt in fast noch flamboyanteren Kostümen als in | |
den Achtzigern auf, ab 2015 trägt sie auf der Bühne Kopfschmuck, ein | |
Korsett und an Naturvölker auf dem Kriegspfad erinnernde Körperbemalungen, | |
die die nackten Brüste einschließen. Grace Jones, die Mutter eines Sohnes | |
ist, und angeblich zu der eigenen Familie auf Jamaika ein eher schwieriges | |
Verhältnis hat, wird glücklicherweise mit den Jahren immer lauter statt | |
leiser. Und macht hoffentlich weiter, bis sie alles erreicht hat. | |
19 May 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=VpWo15Jc2JQ | |
[2] http://www.spiegel.de/fotostrecke/sexismus-klage-emma-vs-stern-angriff-auf-… | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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