Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wiederveröffentlichung von Grace Jones: Diese Party wird niemals e…
> Die ersten drei Alben von Grace Jones sind nun als Box neu veröffentlicht
> worden. Eine Hommage an eine Königin des Disco.
Bild: Grace Jones, 1976.
Als Grace Jones 1981 mit dem funky R&B-Song „Pull Up to the Bumper“
erstmals in den deutschen Charts landet, macht sie das Mainstream-Publikum
mit einem Video irre, in dem sie unter ihrem Anzug völlig
selbstverständlich unbekleidet ist. In krassem Gegensatz zur Nacktheit
steht ihre zum Rechteck geschorene Frisur –sie wird ihr Markenzeichen –,
die ihre hohen wulstigen Wangenknochen und den gewaltigen Mund noch mehr
betont. Alle paar Takte huscht ein selten gezeigtes Lächeln über das
markante Gesicht.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Künstlerin im Showbiz längst ein gefeierter
Star. Geboren 1948 in Spanish Town auf Jamaika in eine streng gläubige
Familie, kommt sie mit Zwölf nach Syracuse, Upstate New York, wo ihr Vater
als Prediger arbeitet. Die völlig anderen Lebensumstände in Nordamerika und
die Tatsache, dass sie das einzige schwarze Kind auf der Schule ist, machen
sie zur Außenseiterin. Sie beginnt zu schauspielern und läuft sich in den
frühen Siebzigern auf den Laufstegen von Paris für Modelabels wie Yves St.
Laurent die Füße wund, ziert die Titelseiten von Vogue und Elle.
Die Modelkolleginnen Jerry Hall und Jessica Lange nehmen sie mit zum Feiern
in den angesagten Pariser Club „Le Sept“. In jener Zeit fasst sie den
Entschluss, ihr Geld mit Singen zu verdienen, und nimmt Demos auf. Eine
erste Version des campy Songs „I Need a Man“ erscheint bereits 1975 und
avanciert zum Discohit in Holland und Frankreich. Als der Discosound im
Jahr darauf aus dem schwulem Underground in die Charts gespült und durch
Donna Summer und Silver Convention auch im Radio vermarktet wird, suchen Si
und Eileen Berlin für ihr kleines New Yorker Label Beam Junction nach einem
Act, der Eurodiscosound erfolgreich in die Vereinigten Staaten importieren
würde.
Der Conga-getriebene Hochgeschwindigkeits-Boogie von „I Need a Man“, ihr
beeindruckendes Äußeres und ihr Talent als furchtlose Rampensau machen
Grace Jones zur idealen Kandidatin. Die Berlins nehmen die 28-Jährige unter
Vertrag und bringen sie mit Tom Moulton zusammen – jenem Produzenten, der
sich mit einem aus drei aneinander montierten Songs bestehenden Mix auf
Gloria Gaynors Debütalbum „Never Can Say Goodbye“ (1974) direkt in den
Disco-Olymp katapultiert und nebenbei den Remix erfindet, angeblich um den
DJs genügend Zeit zu verschaffen, in Ruhe pinkeln zu gehen.
## Hang zum Cross-Dressing
Moulton zögert, weil er findet, Jones’ Stimme klinge wie Bela Lugosi. Doch
die lässt sich nicht beirren und nimmt Gesangsunterricht. Schließlich
produziert Moulton doch Jones’ Debütalbum „Portfolio“ in der Hitfabrik d…
warmen Philly-Soul-Sound, den Sigma Studios in Philadelphia.
Zwischenzeitlich ist Grace Jones mit „I Need a Man“ und ihrem Hang, mit
Cross-Dressing Verwirrung zu stiften, zum Darling der Gay-Disco-Community
geworden. Auch in dem im April 1977 eröffneten Hedonisten-Tempel Studio 54
ist sie Stammgast, auf der Bühne wie im Publikum. Ein Türsteher erinnert
sich: „Grace Jones kam öfter splitterfasernackt. Vermutlich öfter, als sie
das hätte sollen.“
Weil Beam Junction der gewachsenen Popularität von Grace Jones nicht
gerecht werden kann, bringen die Berlins ihren Schützling bei Island
Records unter, wo ihr Debüt „Portfolio“ im Oktober 1977 erscheint – und …
zu einem der innovativsten und charismatischsten Acts in der Geschichte des
Labels wird. Die A-Seite von „Portfolio“ besteht aus einem
zusammenhängenden Mix dreier Uptempo-Broadway-Musical-Stücke und bietet
eine Grace Jones, die konventionell singt. Der Endlos-Mix spiegelt eine
lange Partynacht wider. Die B-Seite startet mit ihrem ersten
internationalen Hit, einer Bossanova-getriebenen Discoversion von Edith
Piafs „La vie en rose“, der man sich schlecht entziehen kann. Weitere Songs
sind die „alten“ Stücke „I Need a Man“ sowie „Sorry“ und „That�…
Trouble“, die Jones auch mit komponiert hat.
Kaum acht Monate danach kommt ihr ebenfalls von Tom Moulton produziertes
zweites Discoalbum „Fame“ heraus. Dessen Singleauskopplungen „Do or Die“
und „Autumn Leaves“ werden beide zu Dancefavoriten, erreichen aber nicht
den Mainstream. Jones’ kraftvolle Stimme wird von Streichern und Bläsern
flankiert, der stampfende Uptempo-Rhythmus aller Stücke wird nur kurz
unterbrochen durch eine Bridge, der Wechsel der Tonart eingeleitet durch
Bassläufe, die wissen, wo sie hinwollen, und die Tänzer auch heute noch in
den Mittelkreis der Tanzfläche drücken. Rückblickend wirkt das
sehnsuchtsvolle „Am I Ever Gonna Fall in Love in New York City“ als
Wendepunkt, die endlose Party ist zwar noch in vollem Gange, aber einige
Gäste rüsten bereits wieder zum Aufbruch.
Der Erscheinungstermin von „Muse“, 1979, dem dritten und letzten nochmals
von Moulton produzierten Werk, fällt mit dem Ende der Discoära zusammen, es
gilt als „das verlorene Album“ von Grace Jones. Hits landet sie damit
keine. Ihr Gesang klingt abgeklärt, etwas Aggressives hat sich
eingeschlichen, lieblich sind nur noch die Backingvocals. Der orchestrale
Sound bemüht noch einmal die große Geste, tolle nervige Sounds, die an das
Karussellgehupe auf Jahrmärkten und akustische Einparkhilfen moderner Autos
erinnern, werden wohldosiert eingestreut. Die Songtitel lassen ahnen, dass
sich hier etwas dem Finale nähert: „Sinning“, „Suffer“ oder „Repenta…
(Forgive Me)“.
## Slave to the Rhythm
Zum 67. Geburtstag der Diva hat Island Records nun diese drei Alben in
einer schmucken Box unter dem nackten Titel „Grace Jones – Disco“ neu
veröffentlicht. Disco gibt es reichlich: Jedes der drei Alben ist mit
unveröffentlichten Edits und verschiedenen Remixen aufgepolstert. Das ist
für den nach Vollständigkeit lechzenden Nerd schön, beim Anhören gerät die
Endlosschleife aber zum Fallstrick, die Tracks erscheinen dadurch etwas
beliebig. Die erhellenden Linernotes und Fotos aus der Discoära rufen in
Erinnerung, dass, anders als bei vielen heutigen Trillerpfeifen, sexy Posen
und geschmackvolle Inszenierung eins sein können. Der auf „Muse“ gemachten
Aufforderung im Song „On Your Knees“ kommt die Partycrowd jener Zeit nach.
Mit Beginn des neuen Jahrzehnts 1980 klinkt sich Jones aus der Disco aus
und pflanzt ihr Oeuvre stärker ins kollektive Popgedächtnis. Sie verquirlt
elegant musikalische Stilrichtungen wie Reggae, R&B, Funk und New Wave und
bleibt mit ihrem androgyn unterkühlten Image, das ihr zeitweiliger
Lebensgefährte, der Fotograf Jean-Paul Goude, wesentlich prägt, medial
dauerpräsent. Ein Meilenstein sind das Artwork des 1985er-Konzeptalbums
„Slave to the Rhythm“ und das Video zum Titelsong. Darin gerät der Mund der
Jones zur Edelstahlgarage, aus der die barfüßige, kreischende Diva in einem
flotten Auto sitzend herausbraust.
Dann adelt sie den James-Bond-Film „Im Angesicht des Todes“ mit ihrem
Auftritt als böse May Day. Zusammen mit der britischen Champagner-Truppe
Duran Duran, die den Titelsong beisteuert, sorgt die Jones damit für ein
stylishes Highlight der Achtziger.
Alle kennen ihren von Trevor Horn maßgeschneiderten Hit „Slave to the
Rhythm“ von 1985, weit weniger bekannt ist Frau Jones’ Gespür für
extravagante Coverversionen: Die wütende Reggae-Version von „She’s Lost
Control“ von Joy Division, die Reggae-Ohrfeige des Pretenders-Songs
„Private Life“ oder der unterkühlt sparsame Wave von David Bowies und Iggy
Pops „Nightclubbing“, in dem Grace Jones tiefes Timbre sich besonders gut
mit ihrem markanten Sprechgesang der Post-Disco-Zeit stellt.
So, wie Jones heute alterslos auftritt – während ihres gesamten Auftritts
anlässlich des Thronjubiläums 2012 von Elisabeth II. kreist der damals
64-Jährigen, angetan mit einem futuristischen Bunny-Kostüm, ein
Hula-Hoop-Reifen um die Hüften –, gibt auch ihr gut gealtertes Werk keinen
Anlass, an das Ende der Party zu denken. Und lässt verstehen, dass
Künstlerinnen von Lady Gaga bis Roisin Murphy als Inspirationsquelle Grace
Jones nennen.
22 Jul 2015
## AUTOREN
Sylvia Prahl
## TAGS
Grace Jones
Disco
New York
Grace Jones
Disco
Afro-Punk
Punkrock
James Bond
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dokumentarfilm über Grace Jones: Prügel und Austern
„Grace Jones: Bloodlight and Bami“ von Sophie Fiennes zeigt Bruchstücke
einer widersprüchlichen Künstlerinbiografie.
Disco-Kultur in New York: „Alle Wege führen zurück zum Loft“
Der britische Autor Tim Lawrence beschäftigt sich mit der frühen
Pop-Kultur. Er sieht eine Linie von der Disco Demolition Night 1979 bis zu
Trump.
Afropunk-Festival in London: Es regnet Lippenbalsam
Beim Klassentreffen der Cool Kids feierte das Publikum sich selbst. Grace
Jones siegte über identitätspolitisch beschränkte Diskussionen.
Memoiren von Rockstar Chrissie Hynde: Anführerin der Gitarrengang
Chrissie Hynde, US-Powerpop-Ikone und Augenzeugin des britischen Punk, hat
mit „Reckless“ eine unterhaltsame Autobiografie veröffentlicht.
Die Briten und ihr James Bond: 007 und das verlorene Empire
Mit ihrem geopolitischen Minderwertigkeitskomplex brauchen die Briten die
Figur James Bond. 007 steht für den alten Glanz.
Werkschau zu Hanns Eisler: Ändere die Welt, sie braucht es
Unbedingt immer wieder Hanns Eisler hören! Eine große CD-Box bietet nun zum
Glück eine gute Gelegenheit dazu.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.