| # taz.de -- Werkschau zu Hanns Eisler: Ändere die Welt, sie braucht es | |
| > Unbedingt immer wieder Hanns Eisler hören! Eine große CD-Box bietet nun | |
| > zum Glück eine gute Gelegenheit dazu. | |
| Bild: Bert Brecht und Hanns Eisler, 1955. | |
| In der Karriere des Komponisten Hanns Eisler spiegeln sich die politischen | |
| Tragödien des 20. Jahrhunderts wider. Eine schlicht als „Hanns Eisler | |
| Edition“ betitelte Box mit zehn Alben lädt nun ein, sich eingehend mit | |
| seinem Leben und Schaffen zu beschäftigen, was, wie sein enger Weggefährte | |
| Bertolt Brecht es einst formulierte, „den Ausübenden wie den Hörer auf | |
| beglückende Weise verändert“. | |
| Übertrieben ist Brechts Einschätzung keineswegs. Das mag daran liegen, dass | |
| Eislers Werk stark politisch geprägt ist und die darin angeprangerten | |
| Missstände bestürzend aktuell sind. Das Diktum „Ändere die Welt, sie | |
| braucht es“ aus Brechts kontroversem Lehrstück "Die Maßnahme" war ihm | |
| tatsächlich ein wichtiges Anliegen. Er vertonte es 1930. Und verfolgte es | |
| in vielen Kompositionen und Texten mithilfe beißender Ironie und | |
| distanziertem Sarkasmus. | |
| Eindrücklich ist das in seiner „Kampfmusik“ zu hören, die er ab 1925 | |
| entwickelte. So heißt es in dem „Lied der Arbeitslosen“: „Wenn du keine | |
| Wohnung hast, geh spazieren.“ Und weiter, in seiner Agitation angestaubt, | |
| aber charmant: „Kurze Anfrage: Wie lange wollt ihr dieses Leben noch | |
| ertragen, ohne Ohrfeigen auszuteilen an die Herren dieser Welt?“ Das Stück | |
| für Männerchor verbreitet dennoch Zuversicht und verdeutlicht den Schrecken | |
| mit schwankenden Lautstärken und plötzlich kreischender Vielstimmigkeit. | |
| Bedrückende Erlebnisse und unhaltbare Zustände bearbeitete Eisler, der | |
| Pathos und Romantik verabscheute, mit einem Lächeln. Im „Bankenlied“ versah | |
| er den Text von Jean Baptiste Clement „Wir sind entlassen, jetzt ists so | |
| weit“ 1931 mit einer schmissigen Melodie und instrumentierte ihn mit | |
| aufsässigen Trompeten im sorgenfreien Varieté-Stil. Eisler wurde in Leipzig | |
| geboren, wuchs in Wien auf und behielt zeit seines Lebens den Wiener Schmäh | |
| bei – was hier auch bei Aufnahmen von einer Probe mit der Sopranistin | |
| Irmgard Arnold zu hören ist. Sein Vater war ein Philosoph ohne feste | |
| Anstellung, seine Mutter eine Fleischertochter und glühende Sozialistin. | |
| Trotz der bildungsbürgerlichen Herkunft waren die finanziellen Verhältnisse | |
| mickrig, an eine Musikausbildung des begabten Sohns, der bereits als | |
| Zehnjähriger das Komponieren anfing, war nicht zu denken. | |
| Eisler entwickelte so früh einen Blick für soziale Schieflagen und wurde | |
| überzeugter Marxist, trat aber nie einer kommunistischen Partei bei. Anders | |
| als sein Bruder Gerhart und seine Schwester Ruth Fischer, die in den 20er | |
| Jahren eine Schlüsselfigur im linken Flügel der KPD war, aber mit Stalin in | |
| Konflikt geriet und nach einer 180-Grad-Wende ihre eigenen Brüder im | |
| US-amerikanischen Exil ans Messer des von McCarthy gegründeten Komitees für | |
| unamerikanische Aktivitäten lieferte. Die CD-Edition stellt die vier | |
| Schaffensphasen Eislers nicht in chronologischer Reihenfolge vor, sondern | |
| ist nach Genres unterteilt wie Orchester-, Chor-, Kammer- und Klaviermusik, | |
| vokalsymphonischen Werken und den Vertonungen seiner eigenen Texte und | |
| denen Brechts. Dadurch wird die Entwicklung des Komponisten gut | |
| nachvollziehbar. | |
| Großen Raum nehmen Filmmusiken ein, Eisler schätzte den Film als | |
| demokratische Kunstform. Das seiner Meinung nach bourgeoise Lart pour lart | |
| der bei Schönberg erlernten Zwölftonmusik-Technik lehnte er ab. Musik | |
| sollte funktional sein, rational, realistisch. Dennoch war Eisler | |
| überzeugt, dass die Katastrophen des 20. Jahrhunderts nur mittels atonaler | |
| Musik erfahrbar gemacht werden können. | |
| ## | |
| Um ein weniger gebildetes Massenpublikum im Kinosaal - das er dem | |
| bürgerlichen im Konzertsaal vorzog - anzusprechen, vermischte er das | |
| Experimentelle mit zugänglichen Melodien. Wie er in dem 1947 erschienenen, | |
| gemeinsam mit Theodor W. Adorno verfassten Standardwerk „Composing for the | |
| Films“ schreibt, sollte eine Verdoppelung der auf dramaturgischer Ebene | |
| entfachten Gefühle, die permanente Kommentierung der Handlung und ein | |
| „Stimmungszauber“ wie im Hollywood-Film unbedingt vermieden werden. | |
| Musik soll den Zuschauern einen Sinn vermitteln, der über das Gesehene | |
| hinausreicht und dennoch die Bilder ergänzt. Mit der Musik zum Film „Kuhle | |
| Wampe“, der 1932 semidokumentarisch die üblen Lebensbedingungen der | |
| Berliner Arbeiter veranschaulicht, löst Eisler diesen Anspruch ein. Die | |
| Melodien sind angriffslustig und geradezu leichtfüßig, was den | |
| Protagonisten ihre Würde erhält. | |
| Die Musik zum Film „Dans les Rues“ von Viktor Trivas ist der Kammermusik | |
| zugeordnet (und fälschlich als Musik zu Ruttmanns Film "Opus III" | |
| bezeichnet). Eisler empfand die Suite als eines seiner besten Werke, doch | |
| weil der Film aus dem Jahr 1933 erfolglos war, war auch seiner Musik nur | |
| wenig Aufmerksamkeit beschieden. Ein Verlust, denn die Musik ist von großer | |
| Schönheit, beschwört mächtige Bilder herauf und beeindruckt durch ihre | |
| traurige Schlichtheit. | |
| Warum Gisela May als begnadete Interpretin von Eislers Brecht-Vertonungen | |
| gilt, wird bei dem „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ deutlich. | |
| May verbindet einen den Opportunismus anklagenden Text Brechts und die | |
| salopp kontrapunktisch dazu schwingende Musik mit eisiger Eleganz. | |
| Das vokalsymphonisch angelegte Requiem für Lenin entstand in den Jahren | |
| 1935 bis 1937. Der Text von Brecht orientiert sich sprachlich am Duktus | |
| religiöser Rezitative. Auch die musikalische Umsetzung wirkt wie eine | |
| gelungene Parodie traditioneller geistlicher Musik - eine Vorgehensweise, | |
| die Eisler insbesondere in seinen Agitprop- und Kampfmusikstücken auf die | |
| Themenbereiche romantischer Naturbetrachtungen und Liebe ausgedehnt hat. | |
| Die musikalische Umsetzung der Zeile „Gott ist ein Faschist“, die aus | |
| Brechts „Bildern aus der ,Kriegsfibel'“ von 1957 herausschreit, lässt | |
| allerdings keinen Zweifel daran, dass ihr Komponist es hier ganz ernst | |
| meint. | |
| ## Kampf gegen den Faschismus | |
| Die 1935 bis 1939 im US-Exil entstandene „Deutsche Sinfonie“, hier in einer | |
| Aufnahme von 1987 mit dem Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin unter Max | |
| Pommer zu hören, ist Eislers umfangreichstes Einzelwerk und spiegelt seine | |
| absolute Hingabe für den internationalen Kampf gegen den Faschismus. | |
| Musikalisch nutzt Eisler darin alle ihm vertrauten Genres – von seiner | |
| „Kampfmusik“ und leicht nachzusingenden Arbeiterliedern über vokale und | |
| instrumentale Kammermusik bis hin zu vokaler symphonischer Musik. | |
| Als besonders perfide Ironie des Schicksals muss der Antifaschist Eisler es | |
| empfunden haben, dass seine Arbeiterchorlieder von den Nationalsozialisten | |
| vereinnahmt wurden. Die Melodien der eingängigen Lieder, die mitunter auf | |
| Arbeiterchorfesten von über tausend Menschen gesungen wurden, waren so | |
| bekannt und hatten eine so große gemeinschaftsstiftende Zugkraft, dass die | |
| Nazis die in ihrem Sinne umgedichteten Lieder ohne Noten mühelos verbreiten | |
| konnten. | |
| Das Gros der Aufnahmen stammt aus den 60er und 70er Jahren und wurde vom | |
| Leipziger Gewandhausorchester oder den Rundfunk-Sinfonie-Orchestern Berlins | |
| und Leipzig eingespielt. Namhafte Sängerinnen wie Roswitha Trexler | |
| überzeugen ebenso wie die Sängerinnen und Sänger der Berliner Singakademie | |
| oder des Rundfunkchors Berlin. | |
| Leider sind Aufmachung und Texte der CD-Box eher dürftig und bisweilen | |
| schlampig recherchiert. Auf der Website des Labels hingegen sind | |
| umfangreiche und informative Linernotes abrufbar. Verfasst hat sie noch der | |
| 2010 verstorbene Musikwissenschaftler und Eisler-Spezialist Günter Mayer. | |
| 20 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Sylvia Prahl | |
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