# taz.de -- Bücher zu Ruth Fischer und Olga Benario: Liebe in Zeiten der Komin… | |
> Mario Kessler verwandelt ein Shakespear'sches Drama in einen ermüdenden | |
> Papierberg. Und ein Briefwechsel bereitet glühenden Herzschmerz. | |
Bild: Olga Benario, hier gespielt von Camila Morgado, bei ihrer Ausbildung in M… | |
Kann man das erklären, kann man das verstehen? Ruth Fischer, in der | |
Zwischenkriegszeit die erste Frau an der Spitze einer Kommunistischen | |
Partei, zeigt im US-amerikanischen Exil ihre beiden Brüder an – Gerhart und | |
auch Hanns Eisler, der sie lange Zeit auf ihren Fluchten trotz | |
grundlegender politischer Differenzen materiell unterstützt hatte. | |
Sie sagt vor dem Mc-Carthy-Ausschuss gegen die Geschwister aus. Niemand | |
zwang sie. Beide Brüder mussten danach fluchtartig die USA verlassen. „In | |
eurer Familie geht es zu wie in Shakespeares Königsdramen“, hatte Chaplin | |
seinem Freund Hanns in Hollywood noch kurz vorher gesagt. Hass in Zeiten | |
der Komintern. | |
Ruth Fischers große Liebe hieß Arkadij Maslow. Seit 1921 waren sie | |
gemeinsam die führenden Köpfe des linken Flügels der Berliner KPD. Im | |
Dezember 1941 wurde er in den Straßen Havannas tot aufgefunden, während | |
Ruth Fischer in ihrem New Yorker Exil auf seine Einreise wartete. | |
Fischers neuester Biograf Mario Kessler wartet auf Seite 391 von „Ruth | |
Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten“ mit der starken Behauptung | |
auf: „Arkadij Maslow wurde ermordet.“ Gerüchte gab es schon damals; die | |
Umstände von Maslows Tod in Havanna blieben mysteriös. | |
Die neue Gewissheit präsentiert Kessler mit dem Stolz des Archivarbeiters, | |
der seine Informationen aus dem 1953 erschienenen, aber bisher von der | |
Forschung übersehenen Erinnerungsbuch des FBI-Mitarbeiters Guenther | |
Reinhardt „Crime Without Punishment“ schöpft. | |
## Der Verstand geht über Bord | |
Um einer angeblichen Sensation willen wirft Kessler seinen kritischen | |
Verstand über Bord; denn Reinhardt geht es gar nicht über Aufzählungen | |
ungeklärter Umstände hinaus, die zur Behauptung eines gewaltsamen Todes | |
verdichtet werden könnten. | |
Maslow war schnell auf dem Jüdischen Friedhof Havannas begraben worden; die | |
kubanische Justiz hatte an einer Obduktion kein Interesse. Reinhardt | |
schrieb, Maslow sei „eingeäschert“ worden – schwer vorstellbar, denn das | |
widerspricht der jüdischen Tradition. | |
Ruth Fischer erlitt, als sie vom Tode Maslows in New York erfuhr, einen | |
Nervenzusammenbruch und wurde von dem in ihrer Nachbarschaft lebenden | |
Ehepaar Wittfogel aufgenommen und gepflegt. Als sie wieder zu Bewusstsein | |
kam, glaubte sie, Maslow habe das gleiche Schicksal wie Leo Trotzki | |
erlitten, der ein Jahr zuvor im mexikanischen Exil vom NKWD-Agenten Ramón | |
Mercader ermordet worden war. | |
Noch zur Jahreswende 1942/3 hatte Ruth Fischer ihren wesentlich jüngeren | |
Bruder Hanns in Kalifornien besucht, doch im Jahre 1943 begann ihre | |
Denunziationskampagne gegen ihren fast gleichaltrigen Bruder Gerhart, der | |
1918 mit ihr die erste KP außerhalb Russlands, nämlich die | |
Deutsch-Österreichs, aufgebaut hatte. Beide engagierten sich in den | |
Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg in der KPD. | |
## Kommunismus als Identitätsfrage | |
Die Kommunistische Internationale steuerte einen politischen Kurs mit dem | |
Ziel „Weltrevolution“, um das isolierte Russland zu entlasten. Die | |
Komintern förderte einen revolutionären Voluntarismus, der die jungen | |
kommunistischen Parteien nicht auf die Analyse einer konkreten | |
gesellschaftlichen Situation, sondern allein auf den revolutionären Willen | |
festlegte. | |
Mit ihrem Lebensgefährten Arkadij Maslow, der die deutschen ebenso wie die | |
russischen Verhältnisse gut kannte, übernahm Ruth Fischer die KP-Führung am | |
Ende der revolutionären Nachkriegsperiode. Mit Unterstützung des | |
Kominternvorsitzenden Grigori Sinowjew betrieben Fischer/Maslow die | |
„Bolschewisierung“ der wichtigsten KP außerhalb der Sowjetunion. | |
Die Abgrenzung zur Sozialdemokratie wurde zur Identitätsfrage; dieser | |
linksradikale Kurs führte zur Isolierung der KP und ihrer Führung. Mit dem | |
Konzept der Bolschewisierung bereiteten Fischer/Maslow der Unterordnung der | |
Parteiinteressen unter die Staatsinteressen der Sowjetunion den Weg, den | |
die beiden nach ihrer Entmachtung als „Stalinisierung“ anklagten. | |
Diese komplexe Weltgeschichte der kommunistischen Bewegung fügt sich nicht | |
den Ansprüchen einer Biografie, die aber nicht ohne die | |
gesellschaftsgeschichtliche Erfahrung der zentralen Akteure zu verstehen | |
ist. Kessler liefert eine Überfülle von Material: Autobiografische | |
Zeugnisse stehen neben Zeitzeugen, Archivakten der Komintern neben | |
deutschen Polizeiakten und amerikanischem Geheimdienstmaterial. | |
## Vom Königsdrama zum Doppelstockbuch | |
Kessler fügt alles zu einem, nämlich seinem Urteil zusammen. Der Historiker | |
manövriert sich in eine Rolle hinein, in der er Ankläger, Verteidiger und | |
Richter zugleich ist. Ex post fact ist er klüger als alle Akteure | |
zusammengenommen. Hätte er sich auf die Kerngeschichte konzentriert, hätte | |
er uns vielleicht erklären können, wie aus Geschwisterliebe unter | |
bestimmten gesellschaftlichen Umständen ein unversöhnlicher Hass und eine | |
nicht zu befriedigende Rachsucht entstehen kann. | |
Kessler hat einen Stoff für ein Shakespeare’sches Königsdrama in einen | |
ermüdenden Papierberg verwandelt, der exemplarisch für eine neue | |
„historische Kommunismusforschung“ stehen soll. Seit man mit Biografien | |
promovieren und habilitieren kann, werden die Leser mit | |
„Doppelstockbüchern“ traktiert, wie Trotzki Werke nannte, die zur Hälfte | |
aus Fußnoten bestehen. | |
All das trifft nicht auf den Briefwechsel Luiz Carlos Prestes und Olga | |
Benario zu, dessen Lektüre Herzschmerzen bereitet. Man könnte kalt | |
urteilen, es sei eben die Geschichte zweier Kominternagenten, die in | |
Brasilien 1935 mit einem Putsch scheiterten und dann Jahre im Knast | |
verbrachten, ohne sich je wiederzusehen. | |
Die aus München stammende Olga Benario wurde posthum zu einer DDR-Ikone. | |
Unter diesem Kehrichthaufen kommunistischer Heldenverehrung kann man jetzt | |
einen Briefband hervorziehen, mit einem klugen und informativen Vorwort von | |
Robert Cohen. | |
## Eine Agentin und Leibwächterin | |
Die beiden abenteuerlichen Lebenswege von Prestes und Benario kreuzen sich | |
1934 in Moskau. Die Komintern hatte den brasilianischen Volkshelden der | |
20er-Jahre, den „Ritter der Hoffnung“, wie Jorge Amado seinen berühmten | |
Roman über die Colonna Prestes nannte, nach Moskau gelockt, um ihn als | |
zukünftigen Revolutionsführer Brasiliens auszubilden. | |
Als er nach Moskau kam, hatte der ehemalige Leutnant schon seinen langen | |
Marsch von 25.000 Kilometern quer durch Brasilien hinter sich. In Moskau | |
wurde er als General ohne Truppen behandelt: Um nach Brasilien | |
zurückzukehren, brauchte er eine Leibwächterin. Man gab ihm Olga Benario. | |
Als Olga Benario im Alter von 26 Jahren Prestes an die Seite gestellt | |
wurde, hatte sie schon ein abenteuerliches Leben hinter sich. Mit 17 Jahren | |
verließ die Tochter eines sozialdemokratischen Rechtsanwalts ihr jüdisches | |
bürgerliches Elternhaus in München, um in Berlin für die Revolution zu | |
arbeiten. Sie liierte sich mit Otto Braun, einer der schillerndsten Figuren | |
des klandestin arbeitenden, bewaffneten KPD-Untergrunds zur Zeit der | |
Fischer/Maslow-Führung. | |
1928 half sie ihren Lebensgefährten bewaffnet aus der Untersuchungshaft zu | |
befreien. Braun und Benario flohen in die Sowjetunion, wo Benario – | |
angeworben vom Militärischen Abwehrdienst des legendären Generals Bersin – | |
eine Agentenausbildung erhielt, inklusive Pilotenschein und | |
Fallschirmspringen. | |
## Geburt im „Weibergefängnis“ | |
Luiz Carlos Prestes war im Sommer 1935 illegal nach Brasilien eingereist. | |
Als Leibwächterin gab Olga Benario neben ihm die schicke bürgerliche | |
Ehefrau. Aus der Tarnung wurde Liebe. Der von der Komintern geplante | |
Putsch, dessen populäres Haupt Prestes werden sollte, schlug kläglich fehl, | |
die Konspirateure wurden verhaftet und gefoltert. | |
Elise Saborowski, genannt Sabo, die Frau des begleitenden Kominternagenten | |
Arthur Ewert und eine enge Freundin Olga Benarios, wurde vor den Augen | |
ihres Mannes gequält. Der erfahrene Berufsrevolutionär Ewert verfiel dem | |
Wahnsinn. Benario wurde im schwangeren Zustand an die Nazis ausgeliefert, | |
die zu dieser Zeit starken Einfluss in Brasilien hatten. Prestes verblieb | |
bis 1945 in Einzelhaft. Im berühmten Berliner „Weibergefängnis“ | |
Barnimstraße brachte Olga eine Tochter zur Welt. | |
In dieser Zeit der Trennung beginnt der jetzt unter dem Titel „Die | |
Unbeugsamen“ zu lesende, herzzerreißende Briefwechsel, der unter den Augen | |
der Zensurwohl nur wegen der unklaren internationalen Verhältnisse | |
toleriert wurde. | |
Die brasilianische Schwiegermutter, eine Frau von aristokratischer Gestalt, | |
durfte die Enkeltochter Anita 1938 mit ins mexikanische Exil nehmen. Olga | |
Benario kam ins KZ Ravensbrück, schrieb weiter Briefe an Luiz Carlos | |
Prestes und wurde 1942 in Bernburg vergast. Die Komintern wurde 1943 | |
aufgelöst. | |
8 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Detlev Claussen | |
## TAGS | |
Kommunismus | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
US-Army | |
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sie selbst nie kennengelernt. Die Berliner Kommunistin war von den Nazis | |
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