# taz.de -- Berlinale: Gus Van Sant: Skater und Rollstuhlfahrer | |
> „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“ erzählt die bestürzende | |
> Geschichte des Cartoonisten John Callahan. Aber mit Humor statt | |
> Selbstmitleid. | |
Bild: Besticht als Cartoonist John Callahan: Schauspieler Joaquin Phoenix (link… | |
Joaquin Phoenix ist in Gus Van Sants Spielfilm „Don’t Worry, He Won’t Get | |
Far on Foot“ ein Ereignis. Wie tiefgründig der bereits dreimal für den | |
Oscar nominierte US-Schauspieler seine Rolle des John Callahan | |
interpretiert, ist beeindruckend. Phoenix’ Spiel prägt diesen Spielfilm, in | |
dem ein querschnittsgelähmter Mann über die Outsider-Szene in Oregon zu | |
sich selbst findet. | |
Gus Van Sants Film beruht auf der Autobiografie des real existierenden John | |
Callahan (Deutsch: „Don’t worry, weglaufen geht nicht“). Callahan war 1972 | |
nach durchzechter Nacht mit dem Auto verunglückt und querschnittsgelähmt im | |
Krankenhaus von Portland wieder aufgewacht. 21 Jahre jung und ein Niemand. | |
Er lernte seine Arme wieder etwas zu bewegen, saß zeitlebens im Rollstuhl – | |
und wurde dank seines schwarzen Humors ein über Portland hinaus bekannter | |
Cartoonist. Der Spielfilm von Regisseur Gus Van Sant entwirft einen | |
Callahan, der als junger Mann versucht, seinen Kummer in Alkohol zu | |
ertränken. | |
Unglücklich und einsam ist der Trinker im Hawaiihemd von Kindheit an. Doch | |
nach dem Unfall, als ein an den Rollstuhl gefesselter Egozentriker – ein | |
medizinischer „C5/C6-Fall“ – muss er nun neu wählen: weiter mit Alkohol … | |
Selbstmitleid? Oder echte Gefühle und Beziehungen entwickeln, eine | |
schärfere intellektuelle Haltung, um doch noch die Fähigkeit zum | |
Glücklichsein zu finden? | |
## Mit Gesprächstherapie aus dem Schneckenhaus | |
In der Reha lernt John die tolle Annu (Rooney Mara) kennen und verliebt | |
sich in sie. Ein völlig neues Gefühl für ihn, zudem er nun von der Brust | |
abwärts seine Muskeln nicht mehr bewegen kann. Entscheidend wird auch die | |
Beziehung zum Laotse-Spezialisten Donny (Jonah Hill) und seinem Kreis der | |
etwas anderen anonymen Alkoholiker. Die sind ebenso empfindsam, verletzt, | |
quer, unkorrekt und im positiv philosophischen Sinne hippiesk wie John (in | |
Nebenrollen der Therapiegruppe sind übrigens die US-Musikerinnen Kim Gordon | |
und Beth Ditto zu sehen). | |
„Sprich über dich selber“, sagt der unerbittliche Donny im | |
Rokoko-Salonambiente seines Elternhauses, dessen Besitz ihm nebenbei gesagt | |
wenig bedeutet. Donny und die Gesprächstherapie holen John schließlich aus | |
seinem emotionalen Schneckenhaus. Herausragend, wie Joaquin Phoenix und | |
Jonah Hill eine auf Interesse, Aufrichtigkeit und Intellekt wachsende | |
Freundschaft in diesem Film verkörpern. | |
Eine Freundschaft, die um die Abgründe des anderen weiß, ohne diese zu | |
verdammen. John wird schließlich zu dem Zeichner, den in Portland alle | |
kennen, ob sie wollen oder nicht („Senator, ist es wahr, dass Sie mal | |
Katzenkot gefressen haben?“). Er flitzt mit seinem motorgetriebenen | |
Rollstuhl durch die Straßen, lässt die Passanten, an seinem (gezeichneten) | |
Leben teilhaben, im Hintergrund Songs von Bob Dylan bis zu den Wipers. Man | |
darf in diesem Film lachen, aber auch weinen. | |
Typisch Gus Van Sant, wie er dabei auch die emotionale Unverstelltheit | |
Jugendlicher leise feiert. Skater helfen dem aus dem Rollstuhl gestürzten | |
John wieder auf, er ist zu schnell gefahren. | |
John zeigt ihnen seine Zeichnungen, sie staunen anerkennend, üben dann | |
zusammen Tricks. Bei denen der lachende Mann im Rollstuhl erneut umkippt. | |
Pure Vernunft soll niemals siegen. | |
21 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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