# taz.de -- Regisseurin über ihren Berlinale-Film: „Wir haben eine andere Pe… | |
> In „Cobain“ schildert die Regisseurin Nanouk Leopold das Erwachsenwerden | |
> eines 15-Jährigen, der im Drogenmilieu aufwächst. | |
Bild: Nanouk Leopold: „Wir mussten uns mit den männlichen Helden identifizie… | |
taz: Frau Leopold, mit „Cobain“ sind Sie zum vierten Mal bei der Berlinale | |
vertreten, Sie haben sich als stilistisch eigenwillige Filmemacherin | |
etabliert und drehen einigermaßen kontinuierlich. Was halten Sie von | |
Initiativen wie Pro Quote Film, die mehr weibliche Positionen im | |
Filmgeschäft einfordern? | |
Nanouk Leopold: Auf der Kunsthochschule wollten wir keine Feministinnen | |
sein, das fanden wir altmodisch und blöd. Jetzt, wo ich älter bin, denke | |
ich: Doch, wir machen etwas anderes, wir haben wirklich eine andere | |
Perspektive, und das ist wichtig. Die meisten Geschichten, mit denen wir | |
aufwuchsen, handelten ja von Jungs, „Wickie und die starken Männer“ zum | |
Beispiel. | |
Der ist ja nun nicht so männlich … | |
Aber seine Freundin war einfach langweilig, sie ist immer zu Hause | |
geblieben. Wir mussten uns mit den männlichen Helden identifizieren, wir | |
hatten keine Wahl. | |
Gab es in Ihrer Karriere Hindernisse, Momente, wo Ihnen Grenzen aufgezeigt | |
wurden? | |
Mich haben immer die Festivals gerettet. Wenn du eingeladen wirst mit einem | |
Film, der kein großes Publikum erreicht, fühlst du dich unterstützt und | |
stark. Sonst hätte es mit meiner Karriere auch schnell zu Ende sein können. | |
Dennoch denke ich immer: Dieser Film könnte mein letzter sein. Ohne | |
Unterstützung geht es nicht. | |
Ihr Team ist von vielen Frauen geprägt: Sie haben mehrere Filme mit | |
derselben Cutterin, derselben Ausstatterin und derselben Produzentin | |
gemacht, Stienette Bosklopper, die für „Cobain“ auch das Drehbuch | |
geschrieben hat. | |
Sie hatte es gar nicht für mich geschrieben, sondern mich nur gefragt, wem | |
sie das schicken könnte. Ich wollte es aber selbst machen, gerade weil ich | |
nie auf eine solche Geschichte gekommen wäre. Etwas zu nehmen, was ziemlich | |
weit weg von mir liegt, eine Geschichte über einen 15-jährigen Jungen, der | |
in einem Drogenmilieu aufwächst, um es dann ganz nah zu mir heranzuholen: | |
das war spannend. | |
Wie aber haben Sie aus diesem sozialrealistischen Stoff einen typischen | |
Nanouk-Leopold-Film gemacht? | |
Ich habe die Klarheit der Geschichte gesehen. Und ich wollte mich ganz | |
fließend darum herum bewegen, mir die Freiheit der Abweichung nehmen. Wir | |
haben alles gedreht, was im Buch stand, aber eben auch Momente, die sich am | |
Set spontan ereignet haben. Im Wald zum Beispiel, am Ende – da habe ich am | |
Ende eines Tages einfach zur Crew gesagt: Lasst uns rausgehen. Und dann | |
haben wir da einfach ein paar Sachen ausprobiert. Stienette mochte die | |
Dinge, die wir beim Dreh dazu erfunden haben. Der Leguan zum Beispiel, den | |
Cobain füttert. Das war eine Idee der Ausstatterin, und der Hauptdarsteller | |
fand das Tier sehr spannend. So konnte ich Szenen drehen, in denen das | |
Kindliche an der Figur deutlich wurde, seine Sanftheit, seine Neugier. | |
Was hat Sie an Bas Keizer interessiert? | |
Wir haben sehr breit gecastet, wir waren überhaupt nicht festgelegt, wie | |
Cobain aussehen sollte. Und bei Menschen, die keine Erfahrungen mit dem | |
Schauspielen haben, sieht man sehr schnell, ob sie sich öffnen können. Es | |
hat damit zu tun, wie man seinen Körper einsetzt. Nichts tun, Tee trinken: | |
Wenn das klappt, wird es sofort interessant. An Bas fiel auf, dass er | |
gleichzeitig etwas Kindliches und etwas Erwachsenes ausstrahlte. Das hat | |
nichts mit Alter zu tun, sondern eher mit dem Gesicht, mit der | |
Verletzlichkeit, die es zeigen kann. | |
In der Szene, in der Cobain zum ersten Mal Sex hat, fragt er eine | |
Prostituierte, gibt ihr Geld, aber er schminkt sich auch und versucht, so | |
wie sie auszusehen. War es leicht, das mit einem 15-Jährigen zu drehen? | |
Es stand im Buch und ich habe es mit ihm geprobt. Er wusste, was passiert. | |
Aber so was ist für alle schräg, auch für professionelle Schauspieler, und | |
diese Schräge ist gut für den Dreh. Man kann das Bemühen, es richtig zu | |
machen, benutzen. Auch beim ersten Sex will man ja alles richtig machen. | |
Auch Erwachsenwerden heißt, in eine Rolle zu schlüpfen. | |
Die Kamera ist immer bemüht, ihn scharf zu stellen, er bewegt sich viel, | |
und um ihn herum wird alles weich und unscharf, weil die Tiefenschärfe so | |
gering ist. | |
Die Kamera inszeniert den Blick auf ihn. | |
Aber es wirkt manchmal, als würde der Film einen schützenden Kokon um | |
Cobain bauen, aus dem heraus jeder Schritt in etwas Neues, Unbekanntes | |
führt. | |
Ja, alles ist wie ein Überlebenskampf für ihn. Wir teilen zwar nicht seine | |
Perspektive, aber denselben intimen Raum. Es geht ja um junge Menschen: Sie | |
sind verletzlich, man will auf sie aufpassen, aber man muss ihre | |
Selbstständigkeit respektieren. Also bewegt sich die Kamera mit ihm, um ihn | |
herum. Ich habe Bas nicht choreografiert, sondern ihm während des Drehs | |
Vorschläge gemacht. Das haben wir schon beim letzten Film, „Oben ist es | |
still“, probiert, und jetzt wirklich konsequent durchgehalten | |
Sie haben das damals mit einer filmischen Befreiung verglichen – die | |
Beweglichkeit der Kamera, das Improvisieren in der Szene. | |
Wir nennen die Methode mittlerweile „Fangen und Tanzen“, man fängt Dinge | |
ein, indem man sich im selben Raum bewegt. Dazu müssen ich, die | |
Schauspieler, der Kamera- und der Tonmann miteinander verbunden sein. | |
Sie geben Live-Anweisungen? | |
Genau. Wenn man das Material anhört, kann mich ständig hineinrufen hören. | |
Das muss später herausgeschnitten werden, aber deshalb ist der Schnitt sehr | |
frei. Wir kombinieren unterschiedliche Takes, stellen die Szenen noch mal | |
neu zusammen. | |
Das Verhältnis zwischen Cobain und seiner Mutter ist sehr komplex. Er nennt | |
sie beim Vornamen, sie nennt ihn „Manneken“. Was genau bedeutet diese | |
Verniedlichung von „Mann“ – macht sie ihn kleiner („kein richtiger Mann… | |
oder größer („fast schon ein Mann“)? | |
Beides. Mia ist im Film um die dreißig, sie war so alt wie Cobain, als sie | |
ihn bekommen hat. Und sie haben nie zusammengelebt, deshalb kann sie keine | |
mütterlichen Gefühle für ihn haben. Das Kind aber will immer die Beziehung | |
zur Mutter, das funktioniert ganz einseitig. | |
Eine Mutter, die darin aufgeht, sich um ihr Kind zu kümmern, ist ein sozial | |
festgeschriebenes Bild, dem Mia widerspricht, was aber im Film nicht | |
verurteilt wird. | |
Das wäre ja auch langweilig. Verantwortlichsein ist auch oft langweilig. | |
Wenn mein Sohn mich fragt, warum wir nicht einfach in der Wohnung Reis | |
streuen und darüber tanzen können, dann frage ich mich auch: Ja, warum | |
nicht? | |
Auf die Spitze getrieben wird diese Beziehung in einer Szene kurz vor | |
Schluss, in der etwas wirklich Unglaubliches passiert. Man denkt an | |
griechische Mythologie dabei, aber selbst da gibt es so etwas nicht … | |
Ja, aber das muss passieren, damit Cobain ein wirklicher Mensch werden | |
kann. Jedes Baby muss von der Mutter abgeschnitten werden. | |
Aber dafür ein solch plastisches Bild zu finden, ist sehr mutig. | |
Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Auch wenn wir beim Dreh dachten, | |
wir werden verrückt. | |
Der Film läuft in der „Generation“. Was erwarten Sie von einem 15-jährigen | |
Publikum, wenn es so etwas zu sehen bekommt? | |
Ich habe mal mit dreizehn „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ | |
gesehen. Ich kam aus einem bürgerlichen Vorort, saß da mit meinen Eltern | |
und dachte: Wie können Kinder in meinem Alter so leben? Mich hat es | |
schockiert, aber ich konnte mich mit dem Mädchen identifizieren. Eine | |
wichtige Erfahrung. | |
20 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Künemund | |
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