| # taz.de -- Berlinale: „In Zeiten des Teufels“: Dem Wahnsinn so nah | |
| > Lav Diaz’ „In Zeiten des Teufels“ erzählt von mordenden Milizen und | |
| > arbeitet mit Chor-Dialogen. Eine filmische Rockoper nennt das der | |
| > Regisseur. | |
| Bild: Dark, darker, Lav Diaz | |
| Es sind die späten siebziger Jahre, auf den Philippinen hat General Marcos | |
| das Kriegsrecht ausgerufen, brandschatzend, vergewaltigend, mordend ziehen | |
| in Uniformen gesteckte und bewaffnete Zivilisten auf der Jagd nach | |
| kommunistischen Rebellen durch Städte und Dörfer. In dieser Zeit, vor | |
| diesem Hintergrund, tief im philippinischen Dschungel siedelt Lav Diaz | |
| seinen neuesten Film „Ang Panahon ng Halimaw“ an. | |
| Der Titel wird übersetzt als „In Zeiten des Teufels“, und dieser Titel | |
| übertreibt nicht, was geschieht. Ein Erzähler-Ich, das man nur am Beginn | |
| hört, berichtet, dass das, was man sieht, auf realen Figuren und | |
| Geschehnissen basiert. Realistisch erzählt wird es jedoch nicht, oder nur | |
| insofern man Lav Diaz’Mischung aus Dehnung der Zeit, Öffnung des Raums, | |
| Stilisierung und Stillstellung der Figuren sowie elegischem Reenactment | |
| historischer Traumata als Realismus sehr eigener Art zu beschreiben | |
| versucht. | |
| Wie meist bei Diaz ist es ein Film in Schwarz-Weiß. Die satten Farben des | |
| Dschungels sind in digital flirrende Abtönungen von Grau übersetzt. In | |
| manchen Einstellungen wird das Geschehen in ein dramatisches Chiaroscuro | |
| gesetzt: strahlende Lichtquelle im Hintergrund, schwarz an den Rändern, die | |
| agierenden Figuren von einer Art Heiligenschein umgeben oder kaum zu | |
| erkennen. | |
| Die Kamera bewegt sich sehr selten und sie perspektiviert den Raum niemals | |
| symmetrisch, man blickt oft von zu hohem, zu tiefem Standpunkt, von sehr | |
| nahe am Boden oder sehr nah an der Figur in Innen- und Außenräume, die sich | |
| in die Tiefe des Bilds staffeln. | |
| Aus solchen schrägen Tableau-vivant-Kompositionen besteht mehr noch als bei | |
| Diaz üblich dieser neueste Film. Die Figuren sitzen und stehen, fast | |
| unbewegt oft, und wenn sie gehen, in der Regel aus der Tiefe des Bilds auf | |
| den Vordergrund zu, dann tun sie es langsam, mit letzter Kraft am Leben | |
| hängend, aber dem Wahnsinn schon nah, bedroht von der Umnachtung, die | |
| politische Ursachen hat und für die Lav Diaz eine Bildsprache sucht. | |
| Die Figuren individuieren sich nur ein wenig, eine sich nach und nach zu | |
| einem losen Handlungszusammenhang fügende, dann durch das Morden der | |
| Milizen vom Boden der Erde getilgte Gruppe: Der Dichter Hugo Haniway, der | |
| ein Gedicht über „den letzten Filipino“ vorträgt und dessen Frau, nachdem | |
| sie mutig eine kleine Klinik eröffnet hat, von den Milizen verschleppt | |
| wird. | |
| Eine Truppe dieser Milizen, deren Brutalität und Zynismus keine Grenzen | |
| kennt und die ihren Anführer, Chairman Narciso verehrt, eine | |
| unverständliches Zeug kreischende, groteske Figur mit je einem Gesicht | |
| hinten und vorne am Kopf. Eine Frau, die Mann und Kind verloren hat und nun | |
| stumm durch Dschungel und Dorf zieht. | |
| Eins kommt diesmal hinzu: Die Monologe und Dialoge sind fast durchweg nicht | |
| gesprochen, sondern gesungen. Immer a capella, tendenziell monoton, oft | |
| solo, mal im Duett, gelegentlich auch im Chor. Die langen einzelnen Szenen | |
| bekommen so eine Art Songstruktur. Manchmal ist das grandios, etwa im | |
| Lamento auf eine dem Wahnsinn anheimgegebene Frau. Auch in den | |
| wiederkehrenden „La La La“-Songs, die den Zynismus der Täter und die | |
| Hilflosigkeit ihrer Opfer in chorische Form bringen. | |
| Nicht selten ist der Effekt aber, dass die Statik der Tableau vivants noch | |
| einmal verstärkt wird. Die Narration und die Atmosphäre, die sich in | |
| anderen Filmen von Diaz still zu großer Wucht akkumulieren, werden so immer | |
| wieder geradezu entladen. Filmische „Rockoper“ nennt der Regisseur (und | |
| Lied-Dichter und -Komponist) das selbst. Ein insgesamt eher unglückliches | |
| Genre, das auch im Rahmen der einzigartigen Lav-Diaz-Ästhetik eher seine | |
| Schwächen als seine Stärken enthüllt. | |
| 21 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| Lav Diaz | |
| Philippinen | |
| Milizen | |
| Spielfilm | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| Bechdel-Test | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Film über Wunder „Die Erscheinung“: Annäherung zweier verlorener Seelen | |
| Unentschiedenheit ist seine Stärke. Xavier Giannolis Film „Die Erscheinung“ | |
| erkundet das Übernatürliche zwischen Glaubensnot und Spektakel. | |
| Berlinale: Gus Van Sant: Skater und Rollstuhlfahrer | |
| „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“ erzählt die bestürzende Gesch… | |
| des Cartoonisten John Callahan. Aber mit Humor statt Selbstmitleid. | |
| Regisseurin über ihren Berlinale-Film: „Wir haben eine andere Perspektive“ | |
| In „Cobain“ schildert die Regisseurin Nanouk Leopold das Erwachsenwerden | |
| eines 15-Jährigen, der im Drogenmilieu aufwächst. | |
| Berlinale-Kolumne Was bisher geschah: Der Bechdel-Fail | |
| Es ist ermüdend, immer wieder über Diskriminierung und Sexismus im Film | |
| reden zu müssen. Aber es ist nötig, wie eine Berlinale-Deabtte zeigt. | |
| Berlinale: „7 Tage in Entebbe“: Operation Donnerschlag | |
| José Padilhas zeichnet in seinem Film den deutsch-palästinensischen Terror | |
| gegen Israel nach. Der Film bleibt oberflächlich und klischeehaft. |