# taz.de -- Dokumentarfilm auf der Berlinale: Ente im Pool | |
> Individualität, Künstlertum und Underground. Das Leben des Pianisten | |
> Chilly Gonzales in „Shut Up and Play the Piano“ in der Panorama-Sektion. | |
Bild: Filmstill aus „Shut Up and Play the Piano“: Chilly Gonzales, Feist, P… | |
Chilly Gonzales zählte wie Peaches ab den späten 1990ern zu den Größen des | |
Berliner Undergrounds. Sie kamen aus Kanada nach Europa, wo sie zuvor | |
gemeinsam mit der ebenfalls noch unbekannten Leslie Feist ihrer | |
Anti-Establishment-Haltung im künstlerischen Unterhosen-Punk frönten. | |
Gonzales – Künstler, Maniac, Entertainer –, 1972 geboren, in Montreal | |
aufgewachsen, gehört zu einer Generation von Musikern, die mit | |
genreübergreifenden Stilen groß wurden. Rap, Punk, Electroclash – und das | |
klassisch erlernte Klavierspiel im Hintergrund. | |
„Shut Up and Play the Piano“, der Titel des Dokumentarfilms von Philipp | |
Jedicke sagt bereits viel über ein selbstironisches, launisch verspieltes, | |
auf künstlerische Brechungen setzendes Prinzip. In pinkfarbenem Anzug und | |
mit zurückgegeltem Haar begrüßt Chilly Gonzales auch sein Filmpublikum. | |
Wer ihn liebe, solle ihn bitte auch hassen. Dazu Scherze über Ruhm und | |
Reichtum. Dann ein kurzer Querschnitt seines glamourösen und musikalischen | |
Schaffens. Elektrorap mit blinkenden Augen, ironische Strophen („Take me to | |
the broadway, take me to the broadway“), im Bademantel gesungen am Flügel | |
in der Philharmonie. | |
Schriftstellerin Sibylle Berg fragt – gewollt(?!) ungelenk –, ob er sich | |
immer schon als „Outsider“ fühlte. Die Antwort kommt filmisch. Eine | |
melancholisch dämmrige Außenaufnahme vom elterlichen Haus im Stil der | |
klassischen Moderne in Montreal, wie bei den Sopranos schwimmt eine Ente im | |
Pool. Erzählungen und Bilder von der Kindheit am Klavier folgen. | |
## Damals noch Jason Beck | |
Damals hieß er noch Jason Beck, wurde vom musischen Großvater in Konkurrenz | |
zum Bruder am Klavier getrieben und geleitet. Dann als Teenager, auf der | |
Suche nach sich und dem Platz in der Welt. Der Film präsentiert historische | |
Archivaufnahmen von Jason Beck, der eben noch schüchtern, jetzt mit | |
abrasierten Haaren einer flotten Postpunkband vorsteht („Joke“). Seine | |
Hybris scheint damals schon nicht eben klein. | |
„Ich war wie ein Diktator“ (Chilly Gonzales). Beck/Gonzales, eine | |
hyperaktive, spontane, sensible, aber auch egomane Type, intellektuell | |
rast- und ruhelos. Schlüsselaspekte seiner Vita interpretiert der | |
Hauptdarsteller in dokufiktionalen Szenen selbst. Humorvoll, durchdacht, | |
mehrdeutig – das Publikum will ja gefordert sein. Der Film ist so stark vom | |
Sound getragen, er würde auch mit geschlossenen Augen funktionieren. | |
Spannend sind aber auch die Bilder, besonders Archivaufnahmen mit Peaches | |
und Feist aus der Toronto-Punk-Phase. Bonusmaterial sind zudem aktuelle | |
Gespräche mit beiden Frauen rückblickend auf ihre künstlerischen | |
Beziehungen zu Jason Beck/Chilly Gonzales. Sie verdeutlichen, wie nahe und | |
wichtig die drei füreinander waren/sind. Ende der 1990er Jahre kam der | |
Umzug nach Berlin, Clubabende zwischen Jazz und Elektro in der Maria, Mr. | |
Maloke und die Puppetmastaz. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Gonzalez | |
in dieser Zeit als Barpianist in Berliner Gaststätten. | |
Peaches und Gonzales genießen augenscheinlich die egalitäre und offene | |
Phase der Berliner Subkultur nach dem Mauerfall und pushen sich weiterhin | |
gegenseitig. Doch mit der Zeit erschöpft sich das immer performativer | |
werdende und laute Spiel des künstlerische Aktivismus für Gonzales. | |
Er sucht und findet Zuflucht bei Jazz und Klassik, bei eigenen, sehr | |
melancholischen und erzählerisch arrangierten Pianokompositionen. Ohne | |
jedoch seine subkulturelle Haltung aufzugeben. Das Album „Solo Piano“ 2004 | |
wird zum Befreiungsschlag. Danach kommt der Umzug nach Paris und später | |
nach Köln. Es ist Leslie Feist, die in einer Szene des Films sein | |
Pianospiel rühmt, um gleichzeitig Distanz zu markieren. Er solle einfach | |
aufhören, sich und alle verrückt zu machen, nur Piano spielen: „Shut Up and | |
Play the Piano“. | |
Das ist schwierig, wenn man wie Chilly Gonzales so vieles sein will und | |
sich dabei als Alien durch den Mainstream des Undergrounds bewegt. Das | |
Spiel mit Illusionen und Authentizität kann tückisch sein, im Fall dieses | |
Films ist es für das Publikum aber ein ganz großer Genuss. | |
20 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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