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# taz.de -- Armut trotz Ruhm auf der Berlinale: Ein Silberner Bär macht nicht …
> Nazif Mujić, bosnischer Berlinale-Preisträger des Jahres 2013, ist
> gestorben – an der Armut, von der der Film handelt, der ihn berühmt
> gemacht hat.
Bild: Der größte Moment seines Lebens: Nazif Mujić mit seinem „Teddybären…
Es ist bittere Ironie, dass Nazif Mujić das, was ihn immer wieder ins
Rampenlicht rückte, am dringendsten loswerden wollte: die Armut und das
Elend, in denen er lebte und an denen der 46jährige in der Nacht zum
vergangenen Sonntag gestorben ist.
Bekannt wurde der bosnische Rom Mujić durch den halbdokumentarischen Film
„Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ von Oscar-Regisseur Danis Tanović, in
dem Mujić und seine Frau Senada sich selbst spielen. Die Handlung beruhte
auf wahren Begebenheiten.
Obwohl klar war, dass das Kind, das Senada seit sechs Monaten in sich trug,
tot war, wurden sie im Krankenhaus nicht behandelt: Die Mujićs hatten, sie
so viele Menschen auf dem Balkan, keine Krankenversicherung und kein Geld
einen Arzt zu bezahlen. Nur mit Hilfe der Krankenversicherungskarte einer
Bekannten konnte Senadas Leben gerettet werden.
Davon las der bekannte Regisseur Tanović in der Zeitung. Er nahm Kontakt zu
den Mujićs auf und drehte den Film, der auf der Berlinale 2013 den großen
Preis der Jury bekam – und dem Laienschauspieler Nazif Mujić einen
Silbernen Bären bescherte.
## Ruhm als Fluch
Die Bilder, auf denen der damals 41-Jährige vor Freude den fast zahnlosen
Mund aufreißt und dankbar die Hand seines „besten Freundes Danis“ ergreift,
drangen bis nach Bosnien, wohin Mujić nach der Prämierung voller Hoffnung
zurückkehrte. Doch zu hause hielt man ihn fortan für einen reichen Mann,
der es im Ausland zu etwas gebracht hatte und den man nun nicht mehr an den
Schrottvorkommen beteiligen musste.
Der Berliner Regisseur Zoran Solomun hat Nazif Mujić 2015 mehrmals besucht
und das Leben sein der Roma-Siedlung einem mehrteiligen
[1][SWR-Radiofeature] beschrieben. Vom Ruhm blieb dem Preisträger nur der
Silberne Bär, ein Preisgeld hatte er keines bekommen. Er war wieder ganz
unten angelangt. Also machte er sich ein Jahr später mit seiner Familie
erneut auf nach Berlin. Der Berlinale-Sieger von 2013 wurde zum
Asylbewerber.
## Flüchtlingsheim statt Hotel
Diesmal wohnten er, Senada und ihre drei Kinder Šemsa, Sandra und der
kleine, nach dem Regisseur benannte Danis nicht im Hotel, sondern in einem
Flüchtlingsheim in Berlin-Spandau. [2][Als die taz sie in ihrem kargen
Zimmer trifft, wo sie auf ihren Asylbescheid warten, stellt Nazif sich so
vor: „Mein Name ist Mujić Nazif, ich bin der beste Schauspieler der
Berlinale.“]
Er sei gekommen, um seien „Teddybären“ einzutauschen für eine faire Chanc…
Er sorge sich um die Zukunft seiner Kinder. „Ich will nicht, dass sie
einmal sagen, das ist unser Papa, er ist der beste Schauspieler, aber uns
hat er nichts hinterlassen“, sagte er damals.
## Zurück in die Armut
Nach dem taz-Bericht fielen Massen von Fernsehteams, Radioreporter und
Zeitungsleute bei ihm in der Unterkunft vorstellig. Mujić ist glücklich, er
steht erneut im Rampenlicht, wieder macht er sich Hoffnungen: Die Berlinale
besorgt eine Anwältin, taz-Leser*innen Spenden Geld, mit dem er seiner Frau
eine Winterjacke und Schuhe kauft, damit sie sie gegen die löchrigen
Sandalen eintauschen kann.
Doch Mujić’Antrag wird abgelehnt, die Familie muss wieder zurück in die
Armut. [3][Im Dezember 2016 verkauft er seinen Silbernen Bären für 4000
Euro.] „Ich musste das tun“, erklärte er seinen Schritt auf der Website
Klix.ba, „jeden Tag schaue ich auf die silberne Figur, während meine Kinder
nichts zu essen haben.“
## Der verkaufte Bär
Am Morgen des vergangenen Sonntags – dem 4. Tag der aktuellen Berlinale –
wurde Nazif Mujić in seinem unverputzten Haus in der Roma-Siedlung Svatovac
nahe der nordostbosnischen Stadt Tuzla tot aufgefunden. Es war bekannt,
dass er seit einigen Jahres Diabetes hatte – und oft das Geld fehlte, um
Insulin zu kaufen.
Beerdigt wird Mujić nach muslimischen Ritus noch diese Woche auf dem
Roma-Friedhof von Svatovac, so Mehmed Mujić vom Rat der nationalen
Minderheiten Bosnien-Herzegowinas. Er hinterlässt seine Frau und seine
Kinder völlig mittellos.
Zur diesjährigen Berlinale wollte Nazif Mujic offenbar wieder nach
Deutschland kommen, um seine Geschichte zu erzählen. Das Busticket hatte er
bereits gekauft. Offenbar hatte er die Hoffnung bis zuletzt nicht verloren.
20 Feb 2018
## LINKS
[1] https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/tandem/swr2-tandem-nazif-und-der…
[2] /!5050269/
[3] /!5365789/
## AUTOREN
Sunny Riedel
Rüdiger Rossig
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